Politiker werden?

2 Antworten

Der erste Weg führt in den Ortsverband der jeweiligen Partei, dann in ein Vorstandsamt (irgendwas Banales wie Schriftführer oder Kassenprüfer reicht) und dann immer weiter. Man geht zu regionalen Partei-Events, Kreisparteitag usw., lernt Leute kennen, macht sich beliebt vor allem bei den Alten, schindet Eindruck, plappert das nach, was die Alten sagen und hat dann gute Chancen, weiter zu kommen, sowohl in der Partei mit Ehrenämtern als auch auf dem Weg als Berufspolitiker. Auch die gern kolportierte Mär vom Arbeiter oder Bauer auf dem Land, der wie die Jungfrau zum Kinde zur Politik kommt, einer Partei beitritt und sich hocharbeitet bis in Land- oder Bundestag, ist eine glatte Lüge - der hat sich bis dahin auch überall andienen und aufgeben/verkaufen müssen.

Wer dann fleißig den Altvorderen immerzu nach dem Mund redet, indem er sagt was diese hören wollen und sich überall anbiedert, der kann das eventuell schon schaffen, aber der Weg dorthin ist nicht schön (er ist eigentlich blutig) und sieht auch vor, dass man alle "möglichen Gegner" eliminiert. Man muss sich überall anwanzen, gibt sich selbst im weitesten Sinne auf und kann es dann durchaus schon vor der 30 schaffen.

Ich hätte in der CDU dank der Unterstützung "Altvorderer", die einen Nachfolger gesucht hatten, so was in der Art vor Jahren packen können und das mit Ende 20, habe mich aber dagegen entschieden, weil ich sagte, ich verkaufe meine Seele nicht und mich selber ebenso wenig. Konkret: Ich wäre erstmal, was für einen "Jungen" schon viel ist, CDU-Kreistagskandidat gewesen mit sehr guten Chancen (mir wurde gesagt, das kriege man schon hin, mich da rein zu wählen, der Support sei da) und mir wurde damals von den "Altvorderen" zugesichert, dass ich mich garantiert weiter hoch arbeiten werde und sie mich unterstützen - deren Ziel für mich wäre ein paar Jahre später der Landtag gewesen. Ich habe mir das zusammen mit meiner Freundin drei Tage lang überlegt und dann abgelehnt.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
vanOoijen  18.04.2023, 17:27

Kenne ich gut.

Danke.

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rotesand  18.04.2023, 17:30
@vanOoijen

Für mich war es eine Gewissensfrage und ich sah mich weder in der Landeshauptstadt noch in einem Gremium wie einem Kreistag, der aus altgedienten, passiven Jasagern besteht, die da seit drei Perioden sitzen und für die das eine Spaßveranstaltung ist oder etwas, auf das sie sich zu viel einbilden. Das ist nicht meine Welt.

Mir war es das nicht wert und ich habe am Ende auch ohne Parteikarriere und Altherren-Unterstützung vieles erreicht, beruflich wie privat - ich habe eine sehr gute Stellung mit viel Handlungsspielraum, gehe darin auf und habe tolle Kollegen, fahre meine schöne E-Klasse, habe eine schöne Wohnung, bin gesund und habe echte Freunde sowie eine zwar skurrile, aber bereichernde Beziehung. Passt!

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vanOoijen  18.04.2023, 17:39
@rotesand

Genau das war es 2003/2004 für mich auch.

Nach Praktikum im Kabinett Steinbrück im Landtag NRW und als Vorstandsmitglied im UB Aachen-Stadt der Jusos in der SPD hätte ich durchaus in der NRW-SPD Chancen gehabt.

Aber ich bin zu Schröder-Zeiten in die SPD eingetreten um die Agenda 2010, bzw. Teile davon, parteiintern zu verhindern.

Ich habe bis dahin immer SPD gewählt und war jung und idealistisch und bin genau dann eingetreten als und weil mir die Partei nicht mehr gefiel.

Ich bereue die Jahre nicht und sie waren persönlich wertvoll.

Aber ich war dort nicht um Karriere zu machen, sondern um ein Ziel zu erreichen (so unrealistisch das heute auch anmutet), und da ich das nicht erreichen konnte, bin ich dann auch depressiv ausgetreten.

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rotesand  18.04.2023, 18:11
@vanOoijen

Bei mir ergab es sich rund zehn Jahre später und es war etwas anders - ich war seit der Oberstufe im Jugendhaus engagiert, Mitglied einiger Vereine und erschien einigen "älteren Herren" als seriös genug, um in die CDU eingeladen zu werden - das war damals noch so; der Fraktionssprecher und einer seiner Freunde luden mich in einen obskuren Kellerraum ein, wo ich "bearbeitet" wurde mit dem Hinweis auf eine "glänzende Karriere", die mir bevorstehe; es sei "sehr wichtig für meine Zukunft" und mir wurde das Formular überreicht. Ich fühlte mich zwar überrumpelt, wurde aber Mitglied - auch weil ich wusste, wenn ich nein sage, bin ich untendurch und habe ich in meiner Heimat für immer nicht mehr zu lachen. Außerdem empfand ich es als schmeichelhaft, dass sich diese "seriösen alten Männer" für einen wie mich, für einen seit Kindergartenzeiten oft diffamierten "Ausländer aus der Platte" interessierten, für den Abitur und Studium kein Thema waren. Diese alten Männer waren wirklich merkwürdig, aber sie waren freundlich zu mir im Gegensatz zu anderen; es waren ja keine Gleichaltrigen, sondern Erwachsene, die es auf meine Familie und mich immer abgesehen hatten.

Ich wollte wirklich was verändern in der CDU und weiß, dass mich damals vorrangig Russlanddeutsche, Zugezogene aus Ostdeutschland und Leute aus der Platte wählten, für die ich glaubwürdig und "einer von ihnen" war. Ich habe mich sehr für eingesetzt auch im Gemeinderat, wurde aber von den "Altvorderen" ausgebremst, es hieß auch, ich setze mich für Leute ein, die man nicht haben wolle. Andererseits zeigten sie sich mit denen auf Pressefotos und lachten - die waren zwar nach außen hin freundlich und gefällig, aber innerlich unmöglich. Typen eigentlich, die zwar pro forma der CDU angehörten, ideologisch aber sicher der NSDAP beitreten würde, gäbe es diese noch.

Ich wurde dann auch Gemeinderat. Anfangs wollte ich sachlich mitmischen, bis mir einer dieser Herren in der selben Kammer - in der lauter Nazi-Reliquien und Bundeswehr-Devotionalien rumhingen, es war befremdlich - klar machte, man wolle so was nicht und vertrete Fraktionsinteressen oder Eigeninteressen, aber nicht die Interessen der Wähler oder irgendwelcher "Russengesichter", wie er sagte. In die Zeit fielen auch die Debatten bezüglich Kreistag und Landtag. Ich wollte mich nicht verkaufen und auch kein "junger Quotenausländer" sein - zumal es mir echt missfiel, wie es hieß, man müsse an meiner Optik arbeiten; es sei nicht seriös genug, ein weißes Langarmshirt zu Chino und Sakko anzuhaben. Andererseits erfuhr ich ständig Lob für einen gebrauchten BMW 728i in Dunkelblau Uni, den ich mir damals gekauft habe - ich glaube, der hat denen echt imponiert, wobei ich persönlich den Wagen nie gemocht habe. Auch war meine Freundin denen "nicht gut genug" und es wurde versucht, eine Beziehung mit einer jungen Bankangestellten herbei zu führen - und meine Kumpels oder mein Cousin (Frührentner und schwer krank) waren denen auch zu lumpig. Da dachte ich mir dann ... nee, ich bin nicht euer Leo. Sie waren enttäuscht.

Ich bin dann auch immer seltener zu Sitzungen gegangen und demonstrativ nie im Hemd wie von denen erwartet; die alten Herren haben dann meine Freundin blöd angemacht und belästigt, am Ende habe ich ihnen dann gekontert und sie waren einerseits tief betroffen, dass "so ein Junger" ihnen selbstbewusst den Marsch blies, aber andererseits waren sie dann auch nciht mehr gut auf mich zu sprechen. Trotzdem wollten sie mich dazu bringen, nochmals zu kandidieren, was ich aber ablehnte.

Im Nachgang haben sie dann einen anderen aus dem Hut gezogen und ihn soweit gebracht, dass er als CDU-Kandidat in meiner Heimatstadt für den Bürgermeisterposten kandidierte und krachend versagte, was ihm psychisch das Genick gebrochen hat. Sie hatten dem zuvor im selben Zimmer, in dem ich damals war, auf die Hand versprochen, "dass er es wird"; nach der Wahl ließen sie ihn fallen. Heute denke ich mir ... zum Glück bin ich da raus.

Ich bereue heute auch nichts, es war eine wertvolle Erfahrung zu mehr Selbstbewusstsein und auf dem Weg nach vorne. Und manche Kontakte in der CDU sind nicht schlecht, ich bin heute noch dabei. Karriere machen wollte ich auch nie - ich wollte wirklich helfen.

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Von Experte rotesand bestätigt

Du kannst entweder die klassische Ochsentour machen - also Dich von der kommunalen Ebene hocharbeiten und braver Parteisoldat werden. Wobei in einem 3500 Seelen-Kaff vermutlich nicht einmal Ortsvereine von allen im Bundestag vertretenen Parteien vorhanden sind.

Oder Du machst Karriere als z.B. Richter und baust ein privates Netzwerk auf, dass Dich bei einer späteren Kandidatur protegiert.

Eine Parteimitgliedschaft in jungen Jahren ist nie verkehrt.

Dabei solltest Du dann aber auch bleiben.

Zudem solltest Du finanziell gut aufgestellt sein. Denn außer der Linken erwarten alle Parteien bei einer Kandidatur für Landtag oder Bundestag, dass Du zwischen 50.000 und 120.000€ in den eigenen Wahlkampf steckst. Ausgang ungewiss.

Dieses "Spielgeld" sollte also vorhanden sein.

Noch ein Grund warum nur noch Mitglieder der oberen Mittelschicht in unseren Parlamenten sitzen.

https://www.politik-kommunikation.de/politik/was-kostet-eine-bundestagskandidatur/

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Langjährige Erfahrung in der Parteipolitik und als Reporter
rotesand  18.04.2023, 17:28
Oder Du machst Karriere als z.B. Richter und baust ein privates Netzwerk auf, dass Dich bei einer späteren Kandidatur protegiert.

Bin zwar kein Richter, aber trotz aller Querelen hilft mir dieses Netzwerk noch heute und das ist auf seine Weise beruhigend, weil es in meinem Fall auch mit echten Freundschaften außerhalb der CDU zu tun hat. Man ist zwar in der CDU, aber man versteht sich auch privat und hilft sich.

Eine Parteimitgliedschaft in jungen Jahren ist nie verkehrt.

Kann ich bestätigen. Ich habe zwar keine klassische JU-Karriere hinter mir und war nie in der JU, weil die mir zu "rechtsaußen" waren/sind (die JU fischt meiner Meinung nach am Rechtsrand der CDU, ich bin hingegen ein linker Konservativer), aber es hat alles schon sein Gutes gehabt.

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vanOoijen  18.04.2023, 17:45
@rotesand

Ich habe auch einen Freund, der CDU-Mitglied ist.

Aber Dein Nickname ist irreführend. 😉

Ich war halt bei den "roten", aber der Politikbetrieb und wie es intern läuft unterscheidet sich nur in Nuancen.

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