Platon, Gefangene und Puppenspieler?

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Für die Beantwortung ist es bei solchen Fragen günstig, die Textstelle oder zumindest einen ziemlich genauen Zusammenhang in der Fragebeschreibung anzugeben.

Offenbar bezieht sich die Frage auf Platons Höhlengleichnis.

A) Gefangene

Die Gefangenen sind Menschen, die dem Anschein der Sinneswahrnehmung verhaftet und von der Fixierung auf einen einzigen Blickwinkel (ohne geistige Bewegungsfreiheit, sich ringsum drehen und andere Gesichtspunkte einzubeziehen zu können) gefesselt sind. Ihre Lage/Situation ähnelt der normaler Menschen („sie gleichen uns“ Platon, Politeia 515 a). Die Gefangenen sind Menschen, die sich in einem Zustand befinden, auf den Schein/die Erscheinung beschränkt bleiben (aufgrund einer Vernachlässigung andere Erkenntnisfähigkeiten als der Sinneswahrnehmung), und damit nach Platons Auffassung der Gefahr von Täuschung, Irrtum und mangelnder Erkenntnis ausgesetzt sind. Sie meinen, etwas zu wissen, haben aber kein echtes, wahrhaftes Wissen. Die Gefangenen sind auf den Bereich der sinnlich erfahrbaren Wirklichkeit (die Höhle) eingeschränkt. Ihnen ist nicht der Aufstieg zu Ideen gelungen.

B) Puppenspieler

Die Puppenspieler kommen innerhalb der Beschreibung in einem Vergleich vor. Zwischen dem Feuer in der Höhle und den Gefangene befindet sich entlang eines quer verlaufenden Weges eine kleine Mauer. Diese Mauer ist ähnlich wie vor den Menschen (den Zuschauern/dem Publikum) aufgestellte Brüstungen/Schranken/Sichtblenden der Gaukler/Taschenspieler/Puppenspieler (ὥσπερ τοῖς θαυματοποιοῖς πρὸ τῶν ἀνθρώπων πρόκειται τὰ παραφράγματα Platon, Politeia 514 b; θαυματοποιός ist jemand, der Wunderdinge/Wunderwerke tut/Bewunderung bzw. Verwunderung hervorruft), die darüber Wunderdinge/Kunststücke zeigen.

Die Gaukler/Taschenspieler/Puppenspieler kommen also in einem zur Erläuterung verwendeten Vergleich vor. Auf die Verhältnisse in der Höhle könnte der Umstand bezogen werden, daß etwas verborgen bleibt. Es hat Deutungen gegeben, die Gaukler/Taschenspieler/Puppenspieler auf die Sophisten zu beziehen (Platon, Sophistes 235 wird bei dem Versuch einer Begriffsbestimmung, was ein Sophist ist, dieser zur Gattung der Gaukler/Taschenspieler/Puppenspieler gezählt), was aber zumindest in dieser Ausschließlichkeit eine unsichere Spekulation ist.

Innerhalb der Szenerie der Höhle werden die Leute, die Geräte und Kunstwerke (Artefakte) tragen, die über die Mauer hinausragen, benötigt, damit Schattenbilder von diesen Gegenständen entstehen. Die Mauer verhindert beim Parallelismus des Bildes der Höhle ein Hereinkommen des Sonnenlichtes von oben in die Höhle hinein und verbirgt offenbar die Träger von Gegenständen vor den Gefangenen. Sie steht für das, was von klarer Erkenntnis trennt und am Erfassen von Zusammenhängen hindert.

Das berühmte Höhlengleichnis, das Platon in seinem Werk »Politeia« (514 a – 517 a) geschrieben hat, ist nach im Text selbst gegebenen Hinweisen (517 a – 521 b und 532 a– 535 a) im Zusammenhang mit dem Sonnengleichnis (507 a – 509 d) und dem Liniengleichnis (509 d – 511 e) zu deuten. Dies ist eine methodische Hilfestellung.

Der Zusammenhang ist eine nähere Erläuterung der Erziehung/Bildung (παιδεία [paideía]) der Philosophinnen/Philosophen. Das Höhlengleichnis verdeutlicht die Aufgabe, nach der eigenen Befreiung und einer Umwendung der Seele (ψυχῆς ττεριαγωγή 521 c) zur erhellenden Erkenntnis zu den noch in Unkenntnis befindlichen Menschen zurückzukehren.

Beim dem Gleichnis können Entsprechungen angegeben werden:

a) die Höhle: Sie steht für das gewöhnliche Dasein der Menschen. Sie ist der Bereich der Sinneswahrnehmungen und der Beschränkung auf den Anschein bei einer Erfahrung. Das Umschließen symbolisiert die Begrenztheit, die Dunkelheit die mangelnde Klarheit und das fehlende Wissen.

b) die Gefangenen: Sie sind Menschen, die an den Anschein in einer Sinneswahrnehmung gefesselt sind. Ihre Lage ist ähnlich wie die der normalen Menschen („sie gleichen uns“). Sie sind einem einzigen Blickwinkel verhaftet (wegen der Fesselung an Hals und Schenkeln können sie weder Kopf noch Rumpf drehen). Sie meinen aber, etwas zu wissen.

c) das Feuer: Es steht für die Sonne, die mit ihrem Licht das Sehen ermöglicht.

d) die Objekte (natürliche Gegenstände) in der Höhle: Sie stehen für Ideen, deren Abbilder sie sind.

e) die Schatten: Die Schatten von Figuren in der Höhle stehen für Abbilder von sichtbaren Gegenständen (Spiegelungen, Schattenbilder). Ethisch gesehen gehören dazu falsche Meinungen, z. B. über die Gerechtigkeit. Die Schatten in der Welt draußen stehen wohl für mathematische Gegenstände und Formen.

f) die Welt außerhalb der Höhle: Sie ist der Bereich der Ideen, des Denkbaren und mit der Vernunft Einsehbaren. Dort ist Erkenntnis möglich und Menschen können die Wahrheit entdecken.

g) die Sonne: Sie steht für die Idee des Guten (ἡ τοῦ ἀγαθοῦ ἰδέα Platon, Politeia 517 c).

Albrecht  24.08.2013, 07:39

Die Erkenntnis durchläuft folgende 4 Phasen (die 2 für den sichtbaren Bereich[ὅρατος γένος/τόπος] gehören zur Meinung [δόξα], die 2 für den denkbaren Bereich [νόητος γένος/τόπος)] zum Wissen [ἐπιστήμη] der Vernunft [νοῦς]):

1) Mutmaßung (εἰκασία)

2) Fürwahrhalten (πίστις)

3) hin- und herlaufendes (diskursives) Denken (διάνοια)

4) einsehendes Denken (νόησις)

Der philosophische Weg ist zunächst der Aufstieg in den Bereich des Denkbaren, zu den Ideen, und das Gewinnen von Erkenntnis, dann die Rückkehr/der Abstieg in die Höhle zu den ehemaligen Mitgefangenen, die noch an den bloßen Anschein des Gesichtssinnes gefesselt sind, und ihre Befreiung durch Vermittlung des Wissens. Dieser Versuch ist mit Schwierigkeiten verbunden (bis hin zu der Gefahr, getötet zu werden). Der Aufstieg philosophisch Veranlagter ist aber für Platon die Bedingung der Möglichkeit der Befreiung von Staaten als ganzer aus Übeln/einer schlechten Lage und einer Umsetzung des von ihm dargestellten gerechten Staates (vgl. das Zusammenkommen von Macht und Philosophie PLaton, Politeia 473 d – Philosophen werden Könige oder Könige oder andere Machthaber befassen sich gründlich mit Philosophie - als größte von drei Fragen, die wie hereinbrechende Wogen sind).

Platon nimmt bei gewöhnlichen Menschen/den meisten keine Befreiung aus bloßer Eigeninitiative an. Der Übergang erfordert in beide Richtungen Vorsicht und Behutsamkeit, weil die Menschen ohne richtige Erkenntnis sich an ihren Zustand gewöhnt haben und erst einmal kaum etwas verstehen (der Gewinn, den Philosophie bringen kann, ist für sie nicht offensichtlich) und die Umgewöhnung anstrengende und unangenehme Seiten haben kann, auch für die zu Einsichten Vorgedrungenen bei einer Rückkehr zu Verhältnissen ohne ausreichende Erkenntnis, die Welt des Scheins. Platon begründet diese Aufgabe und damit eine Hinwendung auch zur Praxis mit dem Glück der Gesamtheit, auf das es ankommt.

Es gibt nach platonischer Auffassung bestimmte Schwächen/Anfälligkeiten der Sinneswahrnehmung bzw. einer zu unkritischen Überbelastung mit Leistungen, für die sie angeblich alleine schon eine ausreichende Grundlage ist:

a) Bei der Sinneswahrnehmung können Sinnestäuschungen vorkommen.

b) Bei einer einzelnen Sinneswahrnehmung kann eine Blickverengung/eine Fixierung auf eine einzige Perspektive zu einer falschen Gesamtbeurteilung führen.

c) Die Sinneswahrnehmung kann etwas an Einzeldingen erfassen, aber sie neigt zu unmittelbarer Verallgemeinerung, ohne einen Sachgehalt (etwas Bestimmtes in seiner Sacheinheit) richtig zu erfassen. Dies leistet erst begriffliches Denken. Bei den Dingen gibt es etwas, das seinem Wesen nach zur Sache selbst gehört, und etwas, das nicht dazugehört (bei einem Tisch können z. B. Form und Material unterschiedlich sein, aber es gibt eine Grundfunktion bei jedem Tisch, etwas daraufstellen zu können). Die Sinneswahrnehmung gewährleistet keine angemessene Unterscheidung dazwischen.

Platon will nicht die Sinneswahrnehmung als Mittel beseitigen und empirische Wissenschaft abschaffen, sondern auf die Beschränktheit eines einzelnen Sinneseindruckes hinweisen. Die Sinne sind für das Unterscheiden in der Wahrnehmung zuständig. Es geht ihm darum, für Erkenntnisse die Sinneswahrnehmung durch Denken zu erweitern.

Bei der Deutung helfen Bücher über Platon (jede Gesamtdarstellung geht auf das Höhlengleichnis ein; spezielle Literatur, auf die dort hingewiesen wird, kann in wissenschaftlichen Bibliotheken gesucht werden) und speziell zu seinem Werk »Politeia«, z. B.:

Michael Erler, Platon. München : Beck, 2006 (Beck`sche Reihe: bsr - Denker; 573), S. 92 - 94

Michael Erler, Platon (Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Herausgegeben von Helmut Holzhey. Die Philosophie der Antike - Band 2/2). Schwabe : Basel ; Stuttgart, 2007, S. 401 – 402

Rudolf Rehn: Sonnen-, Linien- und Höhlengleichnis. In: Platon-Handbuch : Leben, Werk, Wirkung. Herausgegeben von Christoph Horn, Jörn Müller und Joachim Söder. Unter Mitarbeit von Anna Schriefl und Simon Weber. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2009, S. 330 – 334

Thomas Alexander Szlezák, Das Höhlengleichnis (Buch VII 514 – 521 b und 539 d – 541 b). In: Platon, Politeia. Herausgegeben von Otfried Höffe. 3., überarbeitete Auflage. Redaktionelle Bearbeitung der 3. Auflage: Moritz Hildt: Berlin : Akademie-Verlag, 2011 (Klassiker auslegen ; Band7), S. 155 – 173

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Albrecht  24.08.2013, 07:39

zur platonischen Ideenehre, Erkenntnistheorie und ihrem Verhältnis zum Empirismus:

Gyburg Radke, Platons Ideenlehre. In: Klassische Fragen der Philosophiegeschichte I: Antike bis Renaissance. Herausgegeben von Franz Gniffke und Norbert Herold. Münster ; Hamburg; London : Lit Verlag, 2002 (Münsteraner Einführungen - Philosophie; Bd. 3/I), S. 17 – 64

Arbogast Schmitt, Platonismus und Empirismus. In: Gregor Schiemann/Dieter Mersch/Gernot Böhme (Hrsg.), Platon im nachmetaphysischen Zeitalter. Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft : Darmstadt, 2006, S. 71 – 95

Jan Szaif, Epistemologie. In: Platon-Handbuch : Leben, Werk, Wirkung. Herausgegeben von Christoph Horn, Jörn Müller und Joachim Söder. Unter Mitarbeit von Anna Schriefl und Simon Weber. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2009, S. 112 – 130

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Du beziehst dich auf das Höhlengleichnis in der Politeia, oder?

Ich kann mich nicht erinnern, dass da von Puppenspielern die Rede ist. Die Leute, die die Objekte vor dem Feuer entlangtragen, werden im altgriechischen Original einfach nur als ἄνθρωπους (Menschen) bezeichnet.

Die Gefangenen in der Höhle stehen allegorisch für all diejenigen, die nicht zu der philosophischen Einsicht gelangt sind, dass das, was sie für die Wirklichkeit halten, nur schattenhafte Abbilder sind.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung

Welche Geschichte meinst Dú denn? Nicht das Höhlengleichnis, oder?

Viele Grüße!

Hume91 
Fragesteller
 21.02.2013, 23:52

Doch Höhlengleichnis stimmt schon :)

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AFool  21.02.2013, 23:56
@Hume91

Hm, diese Geschichte steht ja nicht für sich allein... wenn Du genau wissen willst, was seine Absicht war, versuch mal den ganzen Originaltext zu finden...

Ansonsten: Es geht da um Erkenntnistheorie. Er meinte keine konkreten Personen oder Personenguppen. Es ist halt eine Geschichte, die einen dazu bringen soll zu überlegen, wie sehr wir unseren Sinnen eigentlich vertrauen können, wie sehr (und ob überhaupt) wir uns auf das, was wir als Realtität kennen verlassen können. Das ist eine ähnliche Botschaft wie in Matrix falls Du das mal gesehen hast.

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