Tugenden als Ordnungsprinzip des Staates Platon?

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Platons Aufasssung, wie ein guter Staat aufgebaut werden sollte, geht vor allem aus seinem Dialog »Politeia« hervor, dessen Hauptthema die Gerechtigkeit ist.

Aufbau der Seele und Aufbau des Staates sind aufeinander bezogen und es gibt eine Entsprechung (Analogie/Isomorphie).

Seelenmodell

Es gibt in der Seele (vgl. besonders Platon, Politeia 435 – 445):

1) das Vernünftige (τὸ λογιστικόν)

2) das Muthafte/sich Ereifernde (τὸ θυμοειδές) [gemeint ist nicht wütend sein, sondern eher etwas wie engagiert sein]

3) das Begehrende (τὸ ἐπιθυμητικόν)

Die drei Seelenteile, die Arten der seelischen Ausrichtung/seelische Strebeformen sind, werden zu den Ständen/Klassen im Staat und zu Tugenden in Beziehung gesetzt.

Tugenden

Die vier Haupttugenden sind nach Platon:

1) Weisheit (σοφία)

2) Tapferkeit (ἀνδρεια)

3) Besonnenheit (σωφροσύνη)

4) Gerechtigkeit (δικαιοσύνη)

Verbindung von Seelenmodell und Tugenden

Nach Platons Verständnis ist bei der Tugend eine innere Einstellung wesentlich. Die Seelenteile haben ihnen eigentümliche Tugenden, mit denen jeweils auf besondere Weise verbunden sind (auch wenn sie alle Vernunft voraussetzen): Die Besonnenheit mit einer Kontrolle über das Begehrende (τὸ ἐπιθυμητικόν), die Tapferkeit mit dem Muthaften/sich Ereifernden (τὸ θυμοειδές), die Weisheit mit dem Vernünftigen (τὸ λογιστικόν) und die Gerechtigkeit mit einer Übereinstimmung/Harmonie aller Seelenteile/Seelenvermögen.

Weisheit bedeutet, mit der Vernunft wesentliche Dinge erkannt zu haben, bis hin zur Idee des Gutern als größtem Erkenntnisgegenstand.

Gerechtigkeit bedeutet, das Seine zu haben und das Seine zu tun (Platon, Politeia 433 b τὸ τὰ αὑτοῦ πράττειν). Der Begriff des Gerechten ist in Platons Auffassung durch eine richtige Ordnung bestimmt. Er beschreibt Gerechtigkeit als ein inneres Verhältnis der Seelenteile/seelischen Strebeformen zueinander. Die Teile der Seele dürfen in Bezug aufeinander nichts Fremdes tun und nicht vielerlei treiben, sondern der Mensch muß ihnen das ihnen Eigentümliche gut vorschreiben, über sich selbst herrschen, eine Ordnung einrichten, mit sich selbst Freund sein und die drei Teile/seelischen Strebeformen zusammenfügen. So entsteht im einzelnen Menschen und im Staat Einheit. Eine Handlung, die diesen Zustand bewirkt und bewahrt, ist gerecht. Die Ungerechtigkeit ist ein Zwiespalt der drei Arten der Seele, Vielgeschäftigkeit, Tun des Fremden, Aufruhr eines Teils gegen das Ganze der Seele und Herrschaft dessen in ihr, dem dies nicht zukommt (444a – b). Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit sind in der Seele wie Gesundheit und Krankheit im Körper (444c).

Alle Seelenteile/Strebeformen umfassen Denken, Fühlen und Wollen. Das Vernünftige ist mit Erkenntnis verbunden, das sich Ereifernde mit Meinung und das Begehrende mit Sinneswahrnehmung. Die Vernunft soll die Leitung übernehmen, eine kluge Fürsorge/Voraussicht (προμήθεια). Platon beschreibt das Verhältnis bei gutem Zusammenspiel (dem gerechten Zustand) als Freundschaft (φιλία), Übereinstimmung/Einklang (συμφωνία) und Harmonie (ἁρμονία).

Alle Seelenteile haben ein Eigenrecht. Begierden sollen nicht die Leitung übernehmen und nicht die Vernunft bloß als dienendes Hilfsmittel ohne Kontrollfunktion benutzen. Sie sind dafür anfällig, sich von einem Anschein täuschen zu lassen („blind“ vor Begierde) und das Gute, nach dem sie streben und das die Menschen zum Ziel haben, nicht zu erreichen. Das Begehrliche hat aber eine Zuständigkeit, ein Lustgefühl wahrzunehmen, festzustellen (etwas fühlt sich angenehm an) und zu melden, während das Vernünftige dies nicht kann und nicht dafür da ist.

Die drei Stände/Klassen sind:

1) Philosophen/Philosophinnen

2) Wächter/Wächterinnen

3) Erwerbsbarbeit Betreibende

Es sind als in Entsprechungen aufeinander bezogen:

Philosophen/Philosophinnen – Weisheit – das Vernünftige

Wächter/Wächterinnen – Tapferkeit – das Muthafte/sich Ereifernde

Erwerbsbarbeit Betreibende – Besonnenheit – das Begehrliche

Ein einfacher Grund für die Entstehung eines Staates ist der erforderliche Schutz- und Freiraum für die Entfaltung der Bedürfnisbefriedigung. Als Ziele des Staates versteht Platon aber Gerechtigkeit, Einheit und Glück der Bürger (sowohl der Einzelnen als auch der Gemeinschaft). Im idealen Staat sollen alle Bürger ihre Fähigkeiten auf bestmögliche Weise entfalten können.

Es gibt in dem Staat Arbeitsteilung und Hierarchie (Unter-/Überordnung). Platon denkt an eine begrenzte Größe und Einwohnerzahl, bei der die Möglichkeit direkten Kontaktes zwischen Bürgern und Herrschenden besteht.

Der Staat wird von Philosophen/Philosophinnen als Herrscher/Herrscherinnen geleitet, die mit Hilfe ihrer Vernunftbegabung Einsicht in das Gute an sich haben, gestützt auf ihre Ideenerkenntnis Ordnung erkennen, für sie sorgen und Mitmenschen von ihr überzeugen können (vgl. zum Zusammenkommen von Macht und Philosophie, den Philosophenkönigen, Platon, Politeia 473 d). Es gehört zur Aufgabe der Philosophen/Philosophinnen, sich auch mit Praxis zu befassen und um ihre Mitmenschen zu kümmern.

Erziehung und Bildung sind wichtig. Das weibliche und das männliche Geschlecht sollen auf gleiche Weise erzogen und (aus)gebildet werden. In der allgemeinen Art der natürlichen Begabung gebe es keinen Unterschied, nur seien Frauen dabei im allgemeinen schwächer als Männer (womit ein Übertreffen im Einzelfall nicht ausgeschlossen ist).

Bei den ersten beiden Ständen, den Philosophen/Philosophinnen und den Wächtern/Wächterinnen (die aufgrund ihrer Vernunftbegabung geeigneten Wächter Wächterinnen sind es, die zu Philosophen Philosophinnen werden) gibt es Frauengemeinschaft, Kindergemeinschaft und Gütergemeinschaft.

Die Verwirklichung des Staatsentwurfes hält Platon für sehr schwierig, aber nicht unmöglich.