Klavier - Ersatz Hammerfilze Erfahrungen?

2 Antworten

Als Klaviertechniker kann ich dazu das Folgende anmerken:

Hammerfilze sind sehr wichtig für den Klang. Sie sind einer der wenigen echten Verschleißteile im Klavier, vergleichbar mit den Reifen beim Auto. Hammerfilze kann man abziehen wenn sie deutliche Einkerbungen aufweisen. Ewig kann man sie nicht abziehen, irgendwann müssen sie erneuert werden. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: Eine Neubefilzung machen lassen (das macht die Firma Abel in Deutschland), oder die ganzen Hammerköpfe erneuern.

Leider weiss man oft nicht, welche Qualität die dann wirklich haben, das merkt man erst bei der Ausarbeitung, der Intonation. Das Intonieren ist eine der schwierigsten Arbeiten am Klavier, dazu braucht man viel Erfahrung. Es gibt hier verschiedene Aspekte und Möglichkeiten.

Bis zu einem gewissen Grad kann man die Intonation unterschiedlich gestalten (weicher, härter…), aber der Hammerfilz setzt da auch Grenzen, hängt von seiner zugrundeliegenden Qualität ab.

Im Grossen und Ganzen gibt es drei Firmen, von denen man Hammerköpfe beziehen kann: Abel, Renner, Bechstein. Zur Zeit werden von manchen Kollegen die von Bechstein sehr gelobt, aber da kann man natürlich streiten.

Berate Dich mit Deinem Klaviertechniker. Sind die Hämmer schon stark abgespielt, dann verbessert sich der Klang auf jeden Fall, können sie noch abgezogen werden, dann bleibt der ursprüngliche Klangcharakter weitgehend erhalten, bei neuen Filzen kann sich auch Einiges ändern…

Zur Sicherheit folgende Bemerkung: Auf Grunde des Alters alleine braucht man die Hammerfilze nicht erneuern, im Gegenteil, oft haben alte Filze eine bessere Qualität. Ausschlaggebend für eine Erneuerung ist lediglich der Grad der Abnützung!

Woher ich das weiß:Berufserfahrung
Bachmann90 
Fragesteller
 16.09.2022, 11:51

Allerbesten Dank für die ausführliche Erklärung! Das freut mich sehr. Es ist wirklich der Fall, dass die Hämmer nicht mehr abgezogen werden können, daher wären neue Hämmer wohl das sinnvollste. Meine Sorge ist die, dass mir nach der Intonation der Klang nicht wirklich gefallen könnte und dies frustriert vermutlich auch sozusagen. Klingt etwas extrem, aber man kauft ja nur ein Klavier, wenn es rinem gefällt. Bei neuen Hämmer kann man wohl nicht abschätzen, was dabei herauskommt. Bleibt wohl ein Wagnis sozusagen. Beste Grüsse!

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Bluemilk  16.09.2022, 13:35
@Bachmann90

Gern geschehen! Ich kann insoferne beruhigen, dass, wenn jetzt schon wenig Hammerfilz vorhanden ist, es sicher zu einer deutlicher Verbesserung kommen sollte. Wichtig ist, dass die Filze elastisch sind, damit lässt sich dann klanglich Verschiedenes gestalten!

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Bachmann90 
Fragesteller
 16.09.2022, 15:29
@Bluemilk

Kennen Sie diese Brockenstuben-Klaviere, die verstimmt sind und unglaublich gut klingen für meinen geschmack? Wenn man darauf spielt, schwingen diese so richtig groovig bzw drückt man auf einen ton, schwingt oder johlt dieser sozusagen. Wenn man in der Basslinie spielt, schwingen diese. Komnt dies von der Elastizität der Hämmer und der Saitenverstimmung? Klassische gestimmte Klaviere haben dies nicht so, aber ein älteres, nicht mehr gestimmtes klavier fängt an zu ,,schwingen,, sag ich jezt mal. Woher kommt das eigentlich, den ich möchte diesen effekt gerne bei meinem Klavier erzeugen. Das jetzige ist zwar verstimmt, aber es schwingt sozusagen nicht, da die hämmer vermutlich zu hart geworden sind. Beste Grüsse

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Bachmann90 
Fragesteller
 16.09.2022, 15:34
@Bachmann90

Den dieses schwingen oder nennen wir es federn, wie auf einem trampolin, erzeugt meiner meinung nach etwas ganz schwingiges. Hört sich richtig gut an für meinen Geschmack und passt sehr gut zB für Boogie Woogie.

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Bachmann90 
Fragesteller
 16.09.2022, 15:36
@Bachmann90

Klassisch gestimmte klaviere sind eher ruhig, verstimmte schwingen in diesen Brockenstuben.

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Bluemilk  16.09.2022, 19:20
@Bachmann90

Hmmmm..., jetzt wird's spannend. Ich hoffe, ich verstehe Sie richtig.

Zum ersten musste ich jetzt einmal gooogeln, was unter Brockenstuben-Klaviere gemeint ist, den Ausdruck kannte ich noch nicht. Ich gehe davon aus, dass das ältere Klaviere sind, nicht in bestem Zustand, jedenfalls verstimmt, also ein Klavier in einem Gebrauchtwaren-Geschäft, wir in Österreich würden sagen, bei einem Trödler, in Bayern sagte man dabei Tandler.

Zum einen: Alte Klaviere klingen oft besser, "schwingen" besser, weil das Rosonanzbodenholz früher oft besser war, nicht mit einer mehr oder weniger dicken Schicht Kunstharzlack am freien Schwingen gehindert wird, schon gar nicht - wie bei billigen neuen - aus Sperrholz bestand.

Weiters: Man kann den Eindruck haben, dass ein (nicht zu arg) verstimmtes Klavier lebendiger klingt als ein exakt sauber gestimmtes. Das ist wahrscheinlich der gleiche Effekt, den man bei Sängern erleben kann: Vibrato in der Stimme macht - oder sollte zumindest - die Stimme lebendiger (machen). Ein von einem Sänger/ einer Sängerin sehr rein gesungener Ton klingt scharf, vielleicht kalt.

Man kann ein Klavier so stimmen, dass es etwas "falsch" aber "lebendig" klingt, trotzdem aber "richtig" gestimmt ist: Man stimmt das Klavier "klassisch" wie Sie es nennen, stimmt dann bei den dreichörigen Tönen jeweils eine Saite gezielt einige wenige Cent tiefer. Manchmal wird das verlangt, meist wird so eine Stimmung dann "Western-Stimmung" genannt.

Schließlich hat die Stimmung des Klaviers überhaupt einen ganz wesentlichen Anteil am Klang. "Klassisch" wird ein Klavier gleichschwebend bzw. gleichstufig temperiert gestimmt, das bedeuten insbesonders, dass die Terzen und Sexten gegenüber den reinen völlig "falsch" sind, die Tonartencharakteristik nicht vorhanden ist, man dafür aber von jeder Tonart in jede andere wechseln kann und alle klingen gleich. Gleich falsch, gleich langweilig, aber so ist es eben. Ich stimme so gut wie jeden Tag Klaviere gleichschwebend/gleichstufig, weil das eben so verlangt wird, manchmal, bei Hammerflügeln und Cembali, werden sogenannte historische Stimmungen verlangt (da gibt es eine Menge davon), das mache ich viel lieber, weil das dann viel lebendiger klingt. (Hat man sich an reine Terzen einmal gewöhnt, dann erschrickt man, wie grauslich gleichstufig temperierte Terzen klingen, man gewöhnt sich aber auch daran, genauso, wie man sich kulinarisch an Fastfood gewöhnen kann.)

Wie man Töne und Intervalle erlebt, das ist sowieso ein ganz eigenes Kapitel, darüber kann man sich ewig unterhalten.

Zum anderen: Ein elastischer Hammerfilz ermöglicht erst eine ordentliche Dynamik, überhaupt erst einen schönen Ton, da er die Saite im sauberen Schwingen unterstützt. Das ist aber auch wieder ein kompliziertes Kapitel. Neben der Elastizität des Hammerfilzes ist auch der Anschlagspunkt - der soll wirklich ein Punkt sein, keine Fläche - extrem wichtig. Wie wichtig der Kontakt zwischen Saite und dem "Gegenstand", der die Saite zum Schwingen bringt erkennt man auch an der Wichtigkeit des Bogens der Streicher (eine Geigenbogen kostet oft mehr als die Geige), dem Zustand der Fingerkuppen der Harfenspieler (nach einem Saunaabend ist die Hornhaut auf den Fingerkuppen weg und muss neu aufgebaut werden), oder auch daran, dass Profigitarristen dan ganzen Tag damit beschäftigt sind, die Fingernägel der rechten Hand zurecht zu feilen.

Ein Thema ohne Ende. Ich hoffe, ein paar Unklarheiten beseitigt zu haben bzw. ein paar brauchbare Anregungen gegeben zu haben. Begriffe die unklar sind bitte googeln.

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Bachmann90 
Fragesteller
 16.09.2022, 22:40
@Bluemilk

Wow. Danke für die ausführlichen Erklärungen! Sie sind Klavierbauer stimmts? Habe ich Sie richtig verstanden, Sie wohnen und arbeiten in Österreich? Ja genau, Brockenstuben nennen wir Warenhäuser-Second-hand. Ich muss sagen, Sie sind von den Klavierbauern der erste, der versteht, was ich meine :-). Jetzt wird mir einiges klarer in sachen Hämmer und der entstehende Klang. Ja Vibrato! Das Klavier singt, ich nenne es beim Boogie Woogie spielen der entstehende groovige charakter, der sozusagen parallel mitschwingt und einem mitreist, weil es, für mein empfinden, einfach lebt bzw singt.

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Ich würde mich da ganz auf den Fachmann verlassen.

Der Klang eines Klaviers ist ja nicht allein von Hammerfilz und Intonation abhängig. Für eine "klassische Stimmung" gibt es auch nicht so viele Möglichkeiten.