Kann/sollte man das verzeihen?

9 Antworten

Verzeihen ist etwas, was man für die eigene Seele tut.

Ermessen kann man das wohl erst in vollem Umfang, wenn man selbst Kinder hat und in einer totalen Überforderungssituation landet. Wenn man es dann dennoch schafft, es gut und richtig zu machen, dann Hut ab! Die Chance, ebenso zu versagen, ist jedoch hoch. Und genau dann beginnt die Arbeit, dass man lernen muss, sich selbst zu verzeihen. In diesem Zusammenhang wächst das Mitgefühl für sich selbst, das Verständnis für die eigene Mutter und es entwickelt sich auch auf der emotionalen Ebene echtes Mitgefühl für die Mutter. Erst dann findet wirkliches Verzeihen statt.

Ich würde zur radikalen Minimierung des Kontaktes zur Mutter und einer umfassenden Trauma-Therapie raten.

BellaItalia786 
Fragesteller
 05.08.2023, 13:14

Danke für Deine Antwort.

Angenommen, die Mutter sagt diese schrecklichen Dinge einmal, aus kompletter Überforderung heraus in einer Ausnahmesituation, welche auch immer das gewesen sein könnte, dann könnte ich Deine Aussage bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehen. Aber die Mutter hat dem Kind diese Dinge wieder und immer wieder gesagt, fast 30 Jahre lang! Sieht es da nicht anders aus mit dem Verzeihen und Verständnis?

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GutenTag2019  05.08.2023, 13:21
@BellaItalia786

Ich kann dir keine eindeutige Antwort geben und selbst Therapeuten halten sich da sehr bedeckt.

Meine Mutter war kriegstraumatisiert und hat mir schon auch eine Schippe voll mitgegeben. Später habe ich eine Gewaltsituation erlebt und dachte auch viele Jahre, dass ich die gut weggesteckt habe. Mittlerweile bin ich 61, meine Mutter ist seit 2 Jahren tot. Ich hatte es bis zu ihrem Tod nicht geschafft, wirklich zu verzeihen. Erst jetzt, nachdem ich wieder seit einem halben Jahr eine Therapeutin habe und viel Verena König zugehört habe, findet langsam Heilung in mir statt. Wichtig ist, dass man den Punkt der radikalen Akzeptanz erreicht.

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GutenTag2019  05.08.2023, 13:24
@BellaItalia786

Die Mutter hat das wiederholt, um dich in der emotionalen Abhängigkeit zu halten (Ich habe dich gerettet - jetzt rette du mich!).

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Wie Du geschrieben hast, ist die Mutter selbst ein Opfer. Wie kann sie also eine gute Mutter sein, wenn sie unter solch schwierigen Umständen groß geworden ist? Das ist keine Entschuldigung für ihr Verhalten, aber eine Erklärung.

Es ist sehr schlimm, was die Mutter zu ihrem Kind gesagt hat und für das Kind war dies mit Sicherheit sehr schlimm. Ich kenne solche Verhältnisse, habe es selbst erlebt.

Vergessen kann man so etwas nicht, aber man kann vergeben und verzeihen. Denn es bringt nichts, auf diese Eltern sauer zu sein. Dennoch muss man sehen, wie man damit klarkommt. Deshalb ist es ratsam, dies mithilfe einer Therapie aufzuarbeiten.

BellaItalia786 
Fragesteller
 05.08.2023, 13:03

Die Mutter wusste ja um ihre schwierige Vergangenheit und sie wusste auch, wie man sich als Opfer fühlt. Trotzdem hat sie ihr Kind ebenfalls zum Opfer gemacht, wie denkst Du darüber? Und nicht nur einmal, sondern bis das Kind selbst erwachsen war. Hatte sie da nicht genug Zeit zu reflektieren und ihr Verhalten zu überdenken und sich ggf Hilfe zu holen?

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GutenTag2019  05.08.2023, 13:15
@BellaItalia786

Von außen betrachtet, sieht das alles so klar und "einfach" aus: Man hat zu erkennen, dass man mit einer schwierigen Vergangenheit Therapie braucht. In der Realität findet jedoch überwiegend Verdrängung statt, um überhaupt selbst irgendwie damit zu "überleben". Aus der Verdrängung heraus merkt man dann gar nicht, dass man das eigene Kind ebenfalls verletzt. Verletzte Menschen verletzen andere! Das kann man pauschal so sagen und es passiert völlig unbewusst.

Als die Mutter die Abtreibung bildlich so abscheulich erklärt hat, war sie wohl innerlich voller Hass auf den Erzeuger. Sie hatte erhofft, dass dieser zu ihr und dem Kind steht, stattdessen hat er zur Abtreibung geraten und damit Kind und Mutter abgelehnt. Das ist eine schwerwiegende Verletzung des Ichs der Mutter.

Sie wollte unbewusst mit dieser abscheulichen Erklärung dem Kind beweisen, dass der Erzeuger noch viel schlimmer als sie selbst ist und damit ihr Ich ein Stück weit retten und sich der Bindung zum Kind vergewissern = "Ich habe dich behalten und vor dem Tod gerettet!"

Die Mutter ist wohl aktuell immer noch schwer damit beschäftigt, ihr Selbst irgendwie zu retten und da ist jedes Mittel recht.

In traumatischen Situationen (Vergewaltigung) entwickelt sich Verdrängung als Grundmuster, um das irgendwie überhaupt auszuhalten und zu überleben. Dieses Grundmuster ist schwer abzulegen.

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BellaItalia786 
Fragesteller
 05.08.2023, 13:26
@GutenTag2019

Ich verstehe, was Du sagst und finde auch Deine Erklärung gut.

Denkst Du denn, dass dieses Kind, das mit dem Gefühl, nicht einmal von den eigenen Eltern gewollt zu sein, aufgewachsen ist, jemals ein normales Gefühl für sich selbst entwickeln kann? Es ist ja aufgewachsen mit dem Gefühl und dem Wissen, dass die Eltern es lieber tot gehabt hätten. Kann man das verarbeiten? Ich denke, das ist eine besonders schlimme Ausgangssituation für das Kind.

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GutenTag2019  05.08.2023, 14:05
@BellaItalia786

Nein, die Mutter hätte das Kind nicht lieber tot gehabt. Sie hat es ausgetragen und sie hat es auch nicht weggegeben. Leider überträgt sie den Hass auf den Erzeuger auf das Kind. Sie spürt aber auch, dass die Bindung zum Kind nicht sicher ist und greift deshalb zur wiederholten Manipulation, natürlich auf völlig verdrehte Weise.

Am Ende muss man akzeptieren, dass man dieses Leben bekommen hat und dann versuchen, das Bestmögliche daraus zu machen. Wichtig ist, Bewusstheit zu erlangen, um selbst nicht auch weiter zu verletzen und eine Perspektive für das eigene Leben zu entwickeln.

Mir stellte sich irgendwann die Fragen: Wie will ich gelebt haben? Wie soll man mich in Erinnerung behalten? Wer will ich gewesen sein?

Meine Antworten: Als Frau, die nie aufgegeben hat, die immer Wege gefunden hat, immer wieder kreative Lösungen umgesetzt hat und vor allem ihre eigenen Kinder freigelassen hat und sich immer überlegt, welche Konsequenzen ihr Handeln hat.

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alterbaer74  05.08.2023, 14:28
@BellaItalia786

Die Frage ist, wann dies alles vorgefallen ist. Wie lange ist das her. Denn vor 20-30 Jahren ging man noch nicht so offen mit psychischen Erkrankungen um wie heute. Das Hilfs- und Betreuungsangebot war auch nicht so groß. Psychiatrie war früher etwas Abschreckendes, da kamen nur die "Verrückten" hin.
Von dem her wusste die Mutter eventuell gar nicht, welche Hilfe sie in Anspruch nehmen kann und/oder hatte auch Angst vor Stigmatisierung.

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alterbaer74  05.08.2023, 14:32
@BellaItalia786

Die Frage ist, wie sich die Mutter ansonsten gegenüber dem Kind verhalten hat. Bleib es bei diesem einen schlimmen Vorfall als das Kind 8 Jahre alt war oder wurde das Kind seitdem durchgehend vernachlässigt und beschimpft? Wurde das Kind durchgehend von den Eltern abgelehnt oder hat es auch irgendeine Art von Liebe und Aufmerksamkeit erfahren?
Je weniger passiert ist, desto eher besteht für das Kind die Chance auf Heilung. Je mehr es abgelehnt wurde, über einen längeren Zeitraum, desto schwieriger wird es für das Kind eine gesundes Verhältnis zu sich selbst zu entwickeln.

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BellaItalia786 
Fragesteller
 05.08.2023, 14:50
@alterbaer74

Die Mutter hat diese spezielle Aussage wiederholt, bis das Kind fast 30Jahre alt war. Immer und immer wieder. Das Kind hatte als Kind keinen Kontakt zum Vater, dieser hatte auch kein Interesse.

Die Mutter hat das Kind auch geschlagen, wenn ihr dann die Hände wehgetan hatten, warf sie auch das dem Kind vor. Sie hat dem Kind vorgeworfen, es hätte ihr Leben zerstört und ohne es oder mit einem anderen Kind wäre sie viel besser dran.

Sie hat dem Kind gesagt, aus dem Kind würde nie etwas werden, es könne sich später an den Bordstein stellen, für mehr würde es nicht reichen. Sie hat dem Kind eine Vergewaltigung gewünscht, weil es danach vielleicht endlich den Mund halten würde. Auch da war das Kind erst 8 Jahre alt.

Das Kind hatte keine andere richtige Bezugsperson, die da etwas hätte ausgleichen können. Die Mutter hat das Kind bei allen Bekannten schlecht gemacht, diese haben dann auch noch das Kind ermahnt, es solle der Mutter nicht immer so viele Sorgen machen.

Die Mutter hat das Kind einmal bei der Polizei abgegeben, gesagt, sie würde es nicht mehr haben wollen und es ist ihr egal, wo es landet. Nach ein paar Tagen war das Kind wieder zu Hause.

Das Kind war öfter weg von zu Hause, Heim, Pflegefamilie, betreute Wohngruppe, kam aber immer wieder zu der Mutter zurück.

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GutenTag2019  05.08.2023, 15:07
@BellaItalia786

Oh Gott, das ist ja alles einfach nur furchtbar :(

Um zur eigentlichen Frage zurückzukehren: Brich den Kontakt völlig ab. Diese Mutter hat eine völlig gestörte Persönlichkeit! Du wirst im Kontakt sonst immer weiter darauf hoffen, dass doch mal ein Fünkchen Liebe von ihr kommt, weil sich deine Wunden danach sehnen. Sie wird dir vielleicht mal "Krümel" hinwerfen, um dich weiterhin zu halten, wie ein Drogendealer!

Such dir Hilfe und kümmere dich nur noch um dich und dein Leben!

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GutenTag2019  05.08.2023, 15:11
@BellaItalia786

Da spielt sicher auch Selbsthass mit rein. Vergewaltigungsopfern wurde ihre Würde genommen. Nicht ohne Grund, ist die Würde des Menschen im Grundgesetz als unantastbar hinterlegt! Weil man heute die weitreichenden Folgen kennt, hat aber die Me too Debatte eine Chance gehabt mit ihren weitreichenden Auswirkungen.

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Natürlich nicht, es wäre ungesund so was zu verzeihen. Man sollte akzeptieren das es so war und den Kontakt beenden.

Ab einen gewissen Alter müssen Kinder ihre Eltern nicht mehr Lieben oder mögen und können sie sehr leicht aus ihrem Herzen entlassen.

Und ja, - natürlich ist dein Beispiel unverzeihbar und gehört dazu.