Kann jede Aussage wahr sein, wenn wir an anderer Stelle im System drastische Anpassungen vornehmen?

2 Antworten

Das Wort alle ist das Problem. Alle sind nämlich ziemlich viele, genauer gesagt unendlich viele. Da hat Kurt Gödel Wichtiges dazu zu sagen. Schau mal unter den Unvollständigkeitssätzen von Kurt Gödel nach !

Auf den ersten Blick würde ich so aufbauen, das Zitat mit verschiedenen Definitionen der Wahrheit zu untersuchen.

Den Grund versuche ich mal zu veranschaulichen: Definiert man "Wahrheit" beispielsweise als für jeden im Ergebnis subjektiv, stimmt die obige Aussage nur zum Teil. Denn steht für jede Person eine ganz subjektive Wahrheit fest und sieht man jede subjektive Wahrheit als richtig an, ist gar keine Anpassung des Systems erforderlich, damit alle Aussagen wahr sind. Denn dann wäre unabhängig von Systemanpassungen jede Sichtweise eine (subjektiv) richtige.

Offenbar definiert der Verfasser "Wahrheit" jedoch als Ergebnis objektiver Umstände, die für uns auch erkennbar sind. Denn nur dann ergibt es Sinn, dass er von einer Systemänderung spricht (die objektiv für uns erkennbar ist), die zur Änderung der Wahrheit führen würde. Das ginge nicht, wenn "Wahrheit" etwas ist, was von uns erkennbaren objektiven Umständen unabhängig wäre, da dann jede Systemänderung auf die Wahrheit keinen Einfluss hätte. Platon würde daher z.B. die genau gegenteilige Auffassung vertreten. In seinem Höhlengleichnis geht dieser ja meiner Erinnerung nach von einer Wahrheit aus, die für uns nicht wahrnehmbar ist. Wir könnten also im Sinne deines Zitats so viel am für uns wahrnehmbaren System ändern wie wir wollten, die letztliche (für uns nicht wahrnehmbare) Wahrheit (ichg glaube er nannte sie "Idee") würden wir nie herausfinden.

Es bietet sich daher mE für deinen Essay an, etwas ausführlicher als ich es gerade getan habe, zunächst umfassend darzustellen, welcher Wahrheitsbegriff dem Zitat vom Verfasser zugrunde gelegt wird. Im Anschluss kannst du schauen, welche alternativen Wahrheitsbegriffe es gibt und unter Anwendung dieser Definitionen herausfinden, ob das Zitat immernoch funktioniert. Abschließend könnte man überlegen, eine ganz persönliche Definition der Wahrheit herauszuarbeiten und darunter auch nochmal das Zitat zu überprüfen.

Man könnte btw auch vergleichend etwas politisch werden: Es heißt ja "Geschichte wird von den Siegern geschrieben." Geschichte wird von uns als "Wahrheit" über Vergangenes aufgefasst. D.h. wer die Geschichte schreibt, bestimmt in diesem Zusammenhang die Wahrheit. Auf das Zitat übertragen: Siegt Macht "A", wird das System iSd Zitats von Macht A bestimmt und einige Aussagen werden wahr oder unwahr. Siegt Macht "B" geschieht dasselbe, nur dass dieselben Aussagen einen anderen (Un)wahrheitsgehalt als bei Macht A erhalten könnten. Insofern führt eine Änderung des Systems zu unterschiedlichen Wahrheiten. Aber auch hier muss man wieder mit dem Begriff der "Wahrheit" aufpassen. Geht man mit Platon, könnte man hier gar nicht von zwei unterschiedlichen Wahrheiten für zwei unterschiedliche Szenarien (Macht A versus Macht B) sprechen, da es ja nur eine Wahrheit gibt. Platon würde wohl sagen, entweder Macht A oder Macht B oder keiner von beiden hat Recht. Je nach dem, was sich mit der tatsächlichen Wahrheit deckt.

Du merkst, es kommt letztlich darauf an, wie du Wahrheit definierst, deshalb würde ich mich dafür an verschiedenen Definitionen entlang hangeln (und das ganze etwas strukturierter darstellen als ich das hier in 10min konnte xD)