Ist Hitlers Buch "Mein Kampf" lesenswert oder eher nicht?

6 Antworten

Das Buch beginnt mit einer autobiographischen Darlegung Hitlers wichtigster Lebensstationen und prägender Erlebnisse in der Jugend sowie seinen Zeiten in Linz, Wien und München und führt von dort direkt zu den großen damaligen zeitgeschichtlichen Fragen.

Hitler beschäftigt sich hier mit der Lage Deutschlands nach Weltkrieg und Versailler Vertrag. Er entwickelt sein Konzept, um Deutschland wieder aus der Versailler Knechtschaft herauszuführen und aus Deutschland wieder ein Land zu machen, das an der Seite des Westens stehen kann und von diesem gleichwertig behandelt wird. Seine eigentliche Sorge war der Aufstieg des Marxismus und der Sowjetunion, in der er eine Bedrohung für die abendländische Kultur sah. Dabei entwickelt er die Idee, daß Deutschland einen Militärpakt mit dem katholisch-konservativen Italien sowie dem imperialistischen Großbritannien gegen die UdSSR schließen soll. Er ging davon aus, daß diese beiden Staaten ein vitales geopolitisches Interesse an der Zerschlagung des Sowjetimperiums gehabt haben würden.

Ferner beschäftigt er sich mit dem Einfluß der Romkirche auf Deutschland und Österreich. Obgleich selbst Katholik, stand er der Kirche kritisch gegenüber und sympathisierte mit der Los-von-Rom-Bewegung, also Katholiken, die eine weniger romhörigere Variante des Katholizismus, ähnlich des französischen, entwickeln wollten.

Einen breiten Raum nimmt in seinem Buch auch die Analyse der Rolle von Sozialdemokratie und Gewerkschaften ein, die er sehr kritisch, da dem Potential nach volksverräterisch, sieht. Ebenfalls ablehnen tut er die parlamentarische Republik als Staatsform – für ihn war das Weimarer Parlament nur eine hohle „Schwätzerbude“, die keine effektive Politik im Sinne des Volkes zustande brächte.

Ferner analysiert er viele Detailfragen wie z. B. die der Überlegenheit der britischen Propaganda gegenüber der Deutschen im Weltkrieg, die Rolle der richtigen Erziehung der Jugend zu Kämpfertypen, die Unterschiedlichkeit von Staatsangehörigkeit und Staatsbürger und vieles mehr.

Fragen des Volkstums werden behandelt, doch auch wenn eines der 27 Kapitel des Buches „Volk und Rasse“ heißt, so liefert er dort nur Betrachtungen allgemeinster Art, die damals in Ländern wie England als Gemeinplätze betrachtet worden wären: Daß z. B. Weiße (Arier) aufgrund ihrer Überlehgenheit die Erde beherrschen würden (die Angelsachsen meinten damit allerdings in erster Linie sich selbst) und es in der Natur der Dinge liege, daß der Stärkere über den Schwächeren herrsche. Hitler folgt hier der moralphilosophischen Auffassung des Thrasymachos, den Platon in seiner Politeia als Gegenspieler des moralischen Sokrates aufbaut.

Hitlers Philosophie ist im Kern agonistisch. Für ihn ist das Leben des Einzelmenschen wie das von Völkern ein beständiger Kampf ums Dasein. Dabei aber übernimmt er nicht nur den englischen Sozialdarwinismus Galtons, sondern erweitert diese um die Rolle der Kultur und Erziehung, womit er den reinen Biologismus hinter sich läßt. Ähnlich wie der Schotte Carlyle sieht er als wesentlichen Faktor in der Geschichte die Persönlichkeit, ohne sich dabei zu der intellektuellen Arroganz eines Nietzsche zu versteigen, für den ein Volk nur ein „Umweg der Natur“ sein, um zu „einigen großen Männern“ zu gelangen. Hitler kehrt vielmehr diesen Gedanken Nietzsches um und sieht im großen Menschen den ersten Diener des Volksganzen mittels des Staates. Jedoch ist Hitlers Staatsphilosophie letztlich dadurch weniger etatistisch als z. B. die Friedrichs des Großen (der sich als erster Diener des Staates, nicht des Volkes verstand), daß er stets betont, daß der Staat wiederum nur dem Volke zu dienen habe.

Hitler betrachtete Volk und Staat als eine Einheit bzw., in der Metapher gesprochen, das Volk als ein Getränk, die in einer Flasche (dem Staat) gelagert wird. Eine leere Flasche ist sinnlos, aber ein Getränk, das nicht in einem Gefäß gelagert wird, versickert im Boden. Im Marxismus sah Hitler hier eine Philosophie, deren Ziel die Vernichtung des Staates war: Die Flasche wird zertrümmert, das Volk versickert. Die reale staatliche Organisation der Sowjetunion z. B. betrachtet Hitler nicht als Staat im klassischen Sinne, sondern vielmehr als eine Art Sklavenhalterdespotie einer Partei-Elite (bolschewistische Parteifunktionäre) über eine rechtlose Herde von Arbeitssklaven (den „befreiten“ Massen Russlands).

Wenn man Hitlers Philosophie in eine Schublade der –ismen „einordnen“ will, so muß man die Schubladen „Etatismus“ und „Völkischer Gedanke“ öffnen. Diese amalgamierte er in seiner Idee der deutschen Volksgemeinschaft. Nach der Terminologie Karlheinz Weißmanns war Hitler somit eine Mischung aus „Bonapartisten“ (Faschisten) und Völkischem (nationalem Sozial-Utopisten).

Hitlers Weltanschauung ist stark antisemitisch aufgeladen. Anders als viele zeitgenössische differenziertere Kritiker jüdischen Einflusses sieht er tatsächlich in „dem Juden“ per se die Kraft des Verrates des deutschen Volkes, einmal in Form jüdischer Journalisten, die für den „Dolchstoß“ 1918 verantwortlich gewesen wären, zum anderen als treibende Kraft des Marxismus, nicht nur in Russland und Deutschland, sondern allgemein in der Welt. Ähnlich wie der Engländer Houston Stewart Chamberlain polarisiert Hitler Jude und Arier zu zwei ihrem Wesen nach unversöhnlich gegenüberstehenden Antipoden, wobei er aber interessanterweise, anders als Chamberlain, tatsächlich den Arier allgemein (also jeden nichtjüdischen Europäer) als schöpferischen Gegensatz zum destruktiven Juden sehen will, während Chamberlain sich noch explizit auf den „Germanen“ als eigentlichem Antipoden bezog. Dennoch ist von einem paneuropäischen Gedanken eines „judenfreien“ und vom Marxismus geheilten europäischen Großreiches noch wenig zu lesen. Hitler dachte damals, Anfang der 1920er, noch stark großdeutsch-national.

Seine Kritik am Judentum führt ihn zu einem 12stufigen abstrakten Erklärungsmodell für die Zersetzung von Völkern durch den jüdischen Einfluss. Ferner wird auch die Kritik am Finanzsystem, wo er sich auf Gottfried Feder bezieht, sowie am Bolschewismus, immer mit Blick auf den Rolle von jüdischen Kräften hinter diesen beiden Faktoren entwickelt. Den damals von anderen Antisemiten (z. B. dem Italiener Julius Evola) thematisierten Einfluss von Juden auf das britische Imperium ignoriert er hingegen gänzlich. So judenfeindlich Hitler sich auch gebärdete, so englandfreundlich war er auf der anderen Seite.

Das ganze Buch ist durchzogen von lauter persönlichen Gedanken Hitlers, die er in den steten Fluß seines suggestiven Duktus mit einbringt. So erwähnt er z. B. daß die Kinder in der Schule nicht die ganze Zeit rumsitzen sollten, da durch die Blutstauung in der Beckenregion gewisse Weichteile übermäßig mit Blut versorgt werden und dadurch die Kinder leicht zur Onanie verleitet werden könnten. Hitler wollte aber eine gesunde, nichtsüchtige, selbstbeherrschte Jugend für seinen Wunsch eines starken, sich in der Welt behauptenden großdeutschen Reiches.

Im zweiten Teil beschreibt er weitschweifig seine Idee für den Aufbau der NSDAP. Auch hier kommt immer wieder sein Sinn für kleinste Details durch, etwa wenn er über die Farben der Flagge räsoniert oder die Psychologie parteiinterner Kämpfe zu skizzieren sucht.

Das ganze Werk ist von vorne bis hinten von einer philosophischen Weitschweifigkeit geprägt, durch welche es auf insgesamt 781 Seiten anschwellt. Ein dicker Wälzer, den sich anzutun heute nur sehr wenige Muße und Ausdauer haben. Die Eingangsfrage, ob das Werk lesenswert sei, beantworte ich dennoch mit einem klaren JA. Es liefert nicht nur viele interessante philosophische Gedanken und Analysen der damaligen politischen Lage in Deutschland und Europa, sondern gibt auch einen Einblick in die Denkweise von solchen gewaltigen, rücksichtslosen Machtmenschen wie es Hitler gewesen war.


AdolfM  20.10.2024, 16:55

"Die Eingangsfrage, ob das Werk lesenswert sei, beantworte ich dennoch mit einem klaren JA."

Ehrlich gesagt, für sowas ist mir die Zeit zu Schade. Deine Ausführung finde ich allerdings gut.

Ich versteh zb. den Humor von einem Aleister Crowley. Solche Sachen die mega um die Ecke sind. Aber, Mein Kampf fand ich einfach nur nervig.

"Das ganze Werk ist von vorne bis hinten von einer philosophischen Weitschweifigkeit geprägt, durch welche es auf insgesamt 781 Seiten anschwellt."

Weitschweifig, .. also ich empfand das sehr verschachtelt. Eine Form von Leerschwatzen.

Ich hab Zeitnahe Schulbücher von meinem Großvater. Das hat mich beeindruckt wie klar deren Ausdrucksweise ist, und das Worte im wesentlichen viel beinhalten.
Wenn ich Hitler Leerschwatzend empfinde, dann kann ich das vergleichend begründen.

Ich kenne die Geschichte zwischen 1933 und 1945 sehr gut, aber dieses "Buch" muss ich nun wirklich nicht lesen.


Siemensbahn  26.02.2025, 17:20

Das ist auch nicht sehr einfach, das durchzuhalten. Hitler hat auch keine Schulbildung besessen.

Nein, das ist grotten schlecht. Der hat so extrem viel verschachtelte Sätze.
Schlimmer ist möglicherweise nur Karl Marx mit 'Das Kapital', bei Marx braucht das bei manchen nur Jahrzehnte bis sie das merken. - Die Frage ist ob es das besser oder schlechter macht.

Für den Geschichtsunterricht vielleicht bis ja, aus Interesse auch vielleicht, ansonsten- nein.

Woher ich das weiß:Hobby – Kenne mich gut mit Deutschland aus 🇩🇪

Ich denke nicht, dass es lesenswert ist.

Vielleicht aus geschichtlichem Interesse. Inwiefern wurden Holocaust, Gleichschaltung, ... hier bereits beschrieben?...

Ich selbst würde meine Zeit eher auf die Fragen

  • Wie konnte es dazu kommen?
  • Was können wir tun, dass sich so etwas nicht wiederholt?

verwenden. Das erscheint mir persönlich sinnvoller.