Ist es egoistisch von mir, genervt zu sein?
Liebe Community,
nach vielen Jahren ohne Kontakt hat sich eine ehemalige Bekannte wieder bei mir gemeldet. Sie war sehr verzeifelt, weil ihr Partner oder Vaterersatz (er war 40 Jahre älter als sie) im Alter von 85 Jahren verstorben ist.
Wir treffen uns jetzt seit einem Monat regelmäßig. Ich habe sie schon oft getröstet und mir immer wieder ihre Probleme mit dem Alleinsein und Angstzuständen angehört. Doch wirklich helfen kann ich ihr nicht. Sie nimmt schon Psychopharmaka, um ruhiger zu werden. Doch angeblich helfen sie nicht genug. Ich habe ihr geraten, zu einem anderen Psychiater zu gehen, aber sie unternimmt nichts.
Sie hat sich in den Kopf gesetzt, möglichst schnell einen neuen Partner zu finden. Daher bin ich schon an zwei Wochenenden mit ihr in die Altstadt gezogen. Natürlich kann ich ihre Trauer nachvollziehen. Doch die Abende waren ein absoluter Reinfall. Wie will sie einen Mann auf sich aufmerksam machen, wenn sie die ganze Zeit nur mit missmutigem Gesicht dasitzt? Sie lässt sich dann darüber aus, dass wir ja gar nicht angesprochen werden! Sie hat wirklich gedacht, wir gehen einmal zusammen raus und sie findet dann den Partner fürs Leben!
Auch verteufelt sie die ganzen Menschen, die am Wochenende unterwegs sind und ihren Spaß haben. Sie will auch nicht allein in ihrer Wohnung sein und jammert immer nur, dass sie sich dort isoliert fühlt. Dann fragt sie mich bestimmt zehnmal pro Abend, ob ich mich denn in ihrer Wohnung wohl fühlen oder mich auch isoliert fühlen würde.
Ich habe schon keinen Nerv mehr auf sie, finde das aber eine egoistische Haltung von mir. Nur habe ich auch einen psychisch anstrengenden Job in einem Altenheim. Ich selbst bin auch ein sehr sensibler Mensch.
Was würdet ihr tun?
Liebe Grüße
6 Antworten
Das ist von dir nicht egoistisch.
Unsere Gesellschaft hat einen sehr merkwürdigen Anspruch an Menschen, der beinhaltet, dass es lobenswert ist, sich gänzlich für andere aufzuopfern.
Die ganze platonische Beziehung, die ihr beiden habt ist von Defiziten gekennzeichnet, dass zieht deine ganze Energie runter. Nach einem Treffen mit Freunden sollte man sich, zumindest die meiste Zeit, gut fühlen und nicht so, als müsste man jetzt erstmal drei Wochen Urlaub machen.
Persönlich würde ich mich entschuldigen und ihr mitteilen, dass ich den Kontakt beenden werde.
Es ist eher egoistisch, es als selbstverständlich zu nehmen und aktiv zu erwarten, dass jemand einem zuhört. Völlig verständlich, wenn du dich nicht von ihren Problemen runterziehen lassen willst. Diese Gesellschaft ist aber leider noch nicht so weit, das zu verstehen. Deshalb über die Egoismus-Vorwürfe hinwegsehen und dein Ding machen.
Du bist nicht ihr seelischer Mülleimer.
Setze für dich Grenzen - und teile ihr diese mit.
Wenn bei ihr keine Entwicklung zu sehen ist - verschwende nicht deine Lebenszeit.
Zum Helfen gehören immer zwei. Der andere muss Hilfe auch annehmen - und auch unbequeme Wahrheiten verkraften.
Das Problem ist, dass Einsamkeit zu einem verminderten Verlangen nach Bindung führt, aber auch zu mehr Stress, denn neue Leute kennenzulernen verursacht immer Stress. Bei Einsamkeit fährt der Körper Stresssysteme hoch, um besser auf Raubtiere reagieren zu können, was früher evolutionär nützlich war, aber heute nicht mehr. Einsame Menschen verlernen, wie sie mit anderen Menschen umgehen müssen. Deine Freundin ist quasi in einem Überlebenskampfmodus. Gegen ihre Angstzustände können eine gesunde, ballaststoff-, vitamin- und Omega-3-Fettsäurehaltige Ernährung nützlich sein. Auch Vitamin D Mangel ist weit verbreitet und fördert Angstzustände. Meditation kann auch nützlich sein.
Dass du genervt bist, ist verständlich, aber du scheinst ja ein guter Freund zu sein, denn nicht jeder investiert so viel in eine Freundschaft.
Sie sollte mal an ihrem Selbstbewusstsein arbeiten, denn die wenigsten Menschen machen den ersten Schritt bei der Partnerwahl und idR auch nur, wenn man ungestört ist, denn wenn man einen Korb bekommt, ist es unangenehm, wenn andere dies mitbekommen.
Deine Bekannte (Freundin) ist ein schwieriger Fall. Ich wäre so wie du es hier schilderst, sehr genervt von ihr. (Wer nicht?) Aber nur du kannst entscheiden, ob du das weiterhin mitmachen möchtest. Ein Treffen mit Freunden sollte doch nicht frustrierend sein. Meine ehrliche Meinung- ich würde das nicht mehr mitmachen.