Ideen zur Veränderung des Textes Gentrifizierung?

1 Antwort

Da fehlen m.E. in Betrachtung des Gesamtkomplexes einige wesentliche Argumente und Fakten. Natürlich verdrängt Kapital einkommensschwache Mieter, aber warum ist das so?

Für eine spätere Diskussion - falls Du Lust hast - ein paar erste Punkte, die auch auf den ersten Blick nicht immer DIREKT etwas mit dem Thema zu tun haben:

  1. Der weitaus größte Teil der Vermieter sind private Investoren. Die Wohnungen sind also zum Anlegen von Kapital, Bildung von Zusatzrente oder auch Erbmasse für Kinder und Enkel.
  2. Der Zuzug gerade auch jüngerer Menschen in die Großstädte verdrängt, da städtebaulich keine ausreichenden Möglichkeiten für die Schaffung von NEUEM Wohnraum vorhanden sind oder sogar blockiert werden.
  3. Die zunehmende Urbanisierung, also Einbindung des ländlichen Gürtels, verteuert auch dort die Preise, da noch die Infrastrukturkosten dazu kommen.
  4. Etliche Wohnungen werden durch zu wenig Menschen genutzt (m² pro Person).
  5. Die Herstellkosten sind - dem Bedarf nach vielen kleinen Wohnungen gerechnet - deutlich höher. Ein Grundriss mit 400m² (Nettowohnfläche, gleiche Personengesamtbelegungszahl) ist mit 4 Wohnungen á 100m² deutlich günstiger als mit 8 Wohnungen á 50 m² (also für Singles), da bei der ersten Variante nur 4x Küche, Bad, Flur, WE-Türen, Briefkästen, Ablesevorrichtungen, usw. gebaut werden müssen als bei 8 Wohnungen. Die Kosten sind aber Basis für die Miete.
  6. Entsiegelung auf der einen Seite und breitere Infrastrukturtrassen (u.a. für zusätzliche breite Radwege) verringern den überbaubaren Raum. Damit werden die Grundstückskosten höher.
  7. Im letzten Absatz ist m.E. der Kardinalfehler: es geht nicht darum, dass Wohnraum im Invest teurer wird sondern dass NEUER Wohnraum bei Zuzug erforderlich wird.
  8. Mehrgeschosswohnungsbau (siehe grüne Lokalpolitik z.B. im Hamburg) als Vorgabe kann sich sozial negativ auswirken, da hier u.U. eine Ghettowirkung ergibt. Dazu gab es schon zu meiner Studienzeit vor 30-40 Jahren Untersuchungen zwischen Architekten und Soziologen.
Woher ich das weiß:Berufserfahrung – seit 30 Jahren Bau-PM/-PS bei Großprojekten aller Art
Bildungsknacker 
Fragesteller
 23.01.2024, 04:19

Danke dir

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oklein  23.01.2024, 14:58
@Bildungsknacker

Gerne. Besonders der Punkt 8 passt noch zu Deinem Text (Absatz 2), denn die Gefahr einer Ghettobildung und damit einer lokalen Parallelgesellschaft, insbesondere im Mehrgeschossbau bei günstigen Mieten, ist nicht von der Hand zu weisen.

in welchem Umfang willst Du die Gentrifizierung betrachten und aus welcher Sicht?

Reich verdrängt arm kann noch ganz andere Stilblüten hervorrufen: Arme werden in Vorstädte und unbeliebte Stadtzonen verdrängt (z.B. am Rand von Gewerbe- und Industriegebieten). Im Zuge der Stadtentwicklung werden solche Gebiete plötzlich "hipp" - man denke an das Aufkommen von Lofts für Wohnzwecke - und schon sind die vormals sozial schwachgeprägten Stadtviertel für die Projektentwicklung interessant und es entsteht eine erneute Verdrängung.

Zu meinem Punkt 2 noch ein sozial-politischer Aspekt: In Berlin wurde über die Enteignung von Wohneigentum diskutiert und abgestimmt. Die dafür erforderlichen Milliarden wären für den erforderlichen Neubau blockiert und wären somit sogar kontraproduktiv ausgegeben => es entsteht noch weniger sozialverträglicher Wohnungsbau und die Spiral der Verdrängung wird noch enger.

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Bildungsknacker 
Fragesteller
 23.01.2024, 15:14
@oklein

Du hast es Super gemacht oben, es passt so wie du das oben geschrieben hast.

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oklein  23.01.2024, 18:59
@Bildungsknacker

Sorry, ich war unterwegs.

Aus welchem Gesichtspunkt schreibst Du den Text? Städtebau/Architektur, Soziologie, Politik, Immobilienwirtschaft, Kultur, ...?

Das ist wichtig fürs Lesen/Kommentieren, denn das Thema kann man wirklich von mehreren Seiten beleuchten und dann kommt auch etwas komplett anderes heraus.

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oklein  23.01.2024, 20:19
@Bildungsknacker

Ich mach es absatzweise:

  1. wirtschaftlich und soziale ist korrekt, aber in dem Absatz ist kein Bezug auf Kultur erkennbar. Ergänzungsbsp: 1) aufgrund der höheren Mietbelastung stehen weniger persönliche Mittel für kulturelle Aktivitäten zur Verfügung. 2) Höhere Mieten sind gerade für freie Kunstschaffende auch für Veranstaltungsorte schwerer aufzubringen.
  2. ist eher soziologisch
  3. Hier kommt es zu Erwähnung aus meinem Punkt 1 aber in Bezug zu Vielfalt. Das sehe ich unter der Gentrifizierung so nicht, denn mit mehr Geld kommen entweder andere kulturelle Kreise oder es steht eben auch mehr Kapital für bisherige Aktionen zur Verfügung.
  4. Infrastruktur ist korrekt, der Absatz hat aber keinen Kulturbezug. Im Gegenteil wirkt er der Gentrifizierung entgegen, da dadurch kulturelles Erlebnis nicht mehr lokal bedingt bleibt. Du schlussfolgerst auf die Wirtschaft - auch richtig, aber eben nicht kulturell.
  5. Der Absatz zu den Investoren gilt nur, wenn diese auch lokal vor Ort sind. Das ist nach meiner Erfahrung eher NICHT der Fall. Bsp: Etliche Wohnungen in z.B. DD oder Leipzig gehören "Wessis", die vielen frisch sanierten Wohnungen auf Rügen (Prora) primär Menschen aus Berlin und Hamburg.
  6. Dazu hatte ich schon geschrieben. Höhere Preise sind zwar für Eigentümer hübsch, verschlechtern aber den Wohnungsneubau und damit auch prozentual die Wohnungen mit günstigeren Mieten => Gentrifizierung findet statt. Das hat aber keinen kulturellen Bezug.

Ich hoffe, ich liege nicht so arg daneben und ich konnte zumindest partiell noch weitere Aspekte mit einbringen.

Dann einfach noch ein paar Stichworte:

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