Ich bin süchtig nach vielen Sachen (z.B. gutefrage)?
Folgendes Problem:
Ich bin 31 Jahre alt, Familienvater, habe ein Haus gekauft, arbeite in einer Vier-Tage-Woche und habe nebenbei noch ein Gewerbe.
Ich trage somit viel Verantwortung.
Nun habe ich das Problem, dass ich sehr suchtanfällig bin und daher manchmal nicht hinterherkomme. Es gibt Zeiten, in denen ich viel bewältige, und in manchen Monaten klappt es einfach nicht. Es kostet mich dann sehr viel Überwindung, wieder in die „gute Routine“ zu wechseln.
Es gibt Zeiten, in denen ich kaum bis wenig Süßes esse, mich clean und nährstoffreich ernähre, auf der Arbeit fokussiert bin, wenig am Handy bin, Sport mache und für meine Familie da bin.
Dann gibt es aber Zeiten wie jetzt und die letzten zwei Wochen. Dann esse ich 4.000 Kalorien am Tag, viel Süßes (ich spreche da von Binge Eating, bei dem ich 5–8 Kinderriegel auf einmal esse), bin nicht verantwortungsvoll (z. B. Arbeitszeitbetrug, ich habe dann mein Gaming-Laptop auf der Arbeit und zocke dort), schaue auf der Toilette Pornos und hole mir einen runter.
Das ist einfach abartig, und in der oben genannten Phase ekel ich mich vor „solchen” Menschen. Aber das bin ich nun mal hin und wieder selbst.
Ich verstehe diesen kompletten Wandel nicht.
Entweder 15 kg weniger, mehr Umsatz, mehr Selbstbewusstsein.
Oder ich nehme wieder 15 kg zu, arbeite kaum, lüge und betrüge nur.
Wie kommt es dazu? Das ist ein Kreislauf seit Jahren. Alle zwei bis drei Monate ändert sich meine komplette Denkweise.
1 Antwort
Danke, dass du so offen schreibst – darin liegt bereits viel Klarheit und Mut. Was du beschreibst, ist kein individuelles Versagen, sondern ein weit verbreitetes Muster in einem leistungsorientierten Leben: Du funktionierst eine Zeit lang auf einem hohen Level, bist präsent, diszipliniert, verantwortungsvoll – und kippst dann plötzlich in das Gegenteil. Es ist, als würde ein innerer Schalter umgelegt, und du lebst in einer völlig anderen Energie. Viele erleben das – vielleicht nicht so deutlich wie du, aber im Kern ähnlich.
Was hier wirkt, ist nicht einfach nur „Sucht“, sondern ein Zusammenspiel aus Erschöpfung, emotionalem Rückstau und dem Bedürfnis nach Selbstregulation. Wenn du wochenlang „durchziehst“, ohne innezuhalten, baust du inneren Druck auf – und irgendwann will etwas in dir einfach nur entkommen, betäuben, loslassen. Der Körper holt sich dann auf seine Weise, was er meint, zu brauchen: Zucker, Dopamin, Fantasieflucht, Ablenkung. Du lebst quasi in einer Pendelbewegung zwischen Kontrolle und Kontrollverlust – ein klassischer Erschöpfungszyklus.
Der Schlüssel liegt darin, nicht noch mehr Kontrolle zu entwickeln, sondern bewusste Präsenz – ein anderes Verhältnis zu dir selbst. Nicht „durchhalten“ oder „funktionieren“, sondern in regelmäßigen Momenten zurückkehren. Zu dir. In den Körper. In die Stille. Hier setzt Meditation an – nicht als spirituelle Technik, sondern als Training der Rückverbindung. Du setzt dich einmal täglich (auch 5 Minuten reichen) einfach nur hin, atmest, nimmst wahr. Nicht bewerten. Nur da sein. Je früher du die Spannungsaufbau-Phase spürst, desto besser kannst du gegensteuern – nicht mit Disziplin, sondern mit bewusstem Raum.
Zusätzlich kann dir helfen, sogenannte Mikrogewohnheiten einzubauen – kleine, regelmäßige Akte der Selbstverbindung, die nicht viel Zeit brauchen: ein Glas Wasser ganz achtsam trinken. Einen Spaziergang ohne Handy. Eine Minute bewusst in den Bauch atmen, wenn du morgens aufwachst. Eine Frage, die du dir stellen kannst, wenn du einen Impuls spürst, etwa beim Griff zur Schokolade oder zum Gaming-Laptop: „Was fehlt mir gerade wirklich?“ Du wirst merken – es ist selten das, wonach du greifst.
Wenn du dich regelmäßig mit dir selbst verbindest – nicht auf Leistungsebene, sondern auf Sein-Ebene – wird die Notwendigkeit, in Extreme zu verfallen, mit der Zeit schwächer. Der Kreislauf wird nicht mit einem Schlag verschwinden, aber er verliert an Wucht, wenn du dich früher im Prozess wahrnimmst. Und du wirst bemerken: Es ist nicht der disziplinierte oder der „abartige“ Mensch, der du bist. Du bist derjenige, der beides erlebt – und dazwischen steht.
Ich kann nur aus eigener Erfahrung sprechen – ich habe selbst erst vor kurzem wieder mit dem Meditieren begonnen. Seitdem merke ich, wie sehr es mir hilft, diesen inneren Wechsel zwischen „funktionieren“ und „versacken“ frühzeitig wahrzunehmen, bevor er kippt.
Ich stehe jeden Morgen eine halbe Stunde früher auf und meditiere 20 Minuten – nicht als Pflicht, sondern eher wie ein stilles Zurückkommen zu mir selbst. Und auch tagsüber baue ich kleine Momente ein: In der Mittagspause ein paar Minuten bewusst atmen, abends einfach still sitzen, oder mal kurz ganz präsent ein paar Meter gehen – das genügt oft schon. Wenn ich in diesem Zustand bin, ist dieser Kontrollverlust fast unmöglich – weil ich dann spüre, was ich wirklich brauche, bevor der Automatismus übernimmt.
Mir hilft außerdem regelmäßiges Krafttraining – 2–3 Mal die Woche. Es stärkt nicht nur den Körper, sondern auch das Gefühl für mich selbst. Für mich ist Sport fast wie Meditation in Bewegung: Klarheit, Präsenz, Fokus. Aber das gilt eigentlich für jede Form von Bewegung – Hauptsache, sie bringt dich zurück in den Körper.
Was ich auch durch Meditation wieder gelernt habe: meine eigenen Leistungsgrenzen zu erkennen. Nicht dann erst innezuhalten, wenn’s kracht – sondern früher. Präsenz heißt nicht nur, klarer zu sein – sondern auch sanfter mit sich zu werden, ohne sich dabei selbst aufzugeben.
Alles Gute dir – und Respekt, dass du so ehrlich reflektierst.
Danke für die ganzen guten Tipps.
Ich bin sehr reflektiert. Das hat mir im Leben, auch in der Selbstbeherrschung immer geholfen. Aber bei diesem aktuellen Problem bin ich wirklich ratlos. Daher bin ich dir wirklich dankbar, dass du dir die Zeit genommen hast mir zu helfen.
Ich versuche es mal mit den Spaziergängen, mehr Bewegung und wieder meditieren. Hoffentlich hilft das.
Schließlich genügt mir oft nicht einmal der Druck, dass ich evtl. meinen Job verlieren könnte... das ist meinem Kopf irgendwie egal. Ich kann trotzdem machen was ich will und habe nicht das Gefühl, dass ich etwas falsch mache.
Das ist irgendwo krank... Aber vllt. fehlt mir einfach nur die Verbindung zu mir selbst...
Denn: Wenn ich mit einem Wort erklären müsste, wie ich mich fühle, wäre es "verloren". Daher ist eine Wiederfindung von mir selbst als Lösung naheliegend.
Wenn du nicht reflektiert wärst, würdest du das Problem gar nicht als solches erkennen – und allein diese Reflexion ist schon ein riesiger Schritt. Viele bleiben jahrzehntelang in Verdrängung und sagen: „Ist halt so.“ Dass du das benennen kannst – dieses „verloren“-Gefühl – ist ein echtes Zeichen innerer Tiefe.
Und ja, das was du beschreibst, klingt für mich stark danach, dass du den Kontakt zu dir selbst verloren hast. Nicht im Sinne von „krank“ – sondern als natürliche Folge davon, wenn man sich über Jahre hinweg mit äußeren Reizen betäubt. Ich kenne das aus meiner Jugend sehr gut. Ich habe stundenlang gezockt, Serien geschaut, mich von allem abgelenkt – und obwohl objektiv viel auf dem Spiel stand (Schule, Zukunft), war mir das alles irgendwie egal. Weil ich mich innerlich leer gefühlt habe. Oder wie du sagst: nicht verbunden.
Heute ist das komplett anders – nicht, weil ich disziplinierter geworden bin, sondern weil ich wieder bei mir selbst angekommen bin. Ich habe mir über die Jahre Routinen aufgebaut, die mir das leicht machen: regelmäßiger Sport, gute Ernährung, grüner Tee, ruhige Zeiten am Morgen, Meditation. Ich muss mich zu vielem davon gar nicht zwingen – es gehört einfach zu meinem Leben, weil ich die Wirkung spüre.
Und das Krasse ist: Die Dinge, die früher mal wie eine Belohnung gewirkt haben – Zocken, Pornos, Junkfood – verlieren irgendwann total ihren Reiz, wenn man präsent lebt. Ich habe es manchmal nochmal ausprobiert, einfach so – aber es „zieht“ mich nicht mehr. Weil ich nichts mehr betäuben muss.
Und deshalb glaube ich auch: Was du brauchst, ist kein „mehr wollen“, sondern ein Wiederfinden. Wieder Verbindung spüren – mit deinem Körper, mit deiner Stille, mit dem echten Leben um dich herum. Wenn du das einmal gespürt hast, wirst du merken, wie viele Ersatzhandlungen dann einfach überflüssig werden.
Du bist auf dem richtigen Weg – bleib dran. Und sei nicht zu hart mit dir, wenn’s nicht gleich klappt. Es ist ein Prozess, aber ein ehrlicher. Und du gehst ihn bewusst.
Setzen, sechs: Eigene Erfahrung. Das ist nicht irgendwas dahergeredetes oder angelesen – ich war selbst genau an dem Punkt. Dieses Gefühl, sich selbst verloren zu haben, obwohl äußerlich alles irgendwie läuft. Dieses ziellose Abdriften in Ersatzbefriedigungen, obwohl man es eigentlich besser weiß. Ich kenne das – und ich weiß auch, dass der Weg zurück nicht über Disziplin führt, sondern über Verbindung. ChatGPT trinkt keinen Grünen und macht nur selten Achtsamkeitsübungen...
Wow! Dass ich so schnell eine solch hilfreiche Antwort bekomme, hätte ich nicht gedacht. Ich danke dir.
Tatsächlich habe ich früher mehr meditiert. Damals habe ich diese "Durchziehen"-Phase 1-2 Jahre durchgezogen. Aber seit dem ich verheiratet bin, ist vieles nicht mehr wie es war. Ich kann mich seltener "zurückziehen".