Haben Leute früher wirklich anders gesprochen?

6 Antworten

Bist du sicher, dass du wirklich nur die Sprache als solche meinst (wie die Leute sich ausdrücken etc.), oder meinst du auch den Ton (technisch gesehen)?

Ja, ich finde das auch. Besonders stark ist dieses "Fremd"-Gefühl bei mir, wenn es sich um solche Heimatschnulzen aus dem Alpenland handelt. Die Damen haben immer sehr hohe, schrill-blecherne Stimmen und bei den Herren ist's auch nicht viel anders: schnarrend, oft wie bei der Armee, aber keine einzige sonore, wirklich maskuline Stimme. Man höre sich nur einmal die Stimme von dem (wie heißt der Schauspieler noch?) Kaiser Franz Joseph in diesen unsäglichen "Sissi"-Filmen an. Und auch die Sissi hat so ne Kleinmädchen-Piepsstimme. Dazu kommt der leicht dialektale Einschlag, zumindest der Tonfall. Man muss nicht einmal auf den Textinhalt hören. Schon vom Klang her ist alles hausbacken, bieder. Die Stimmen der Männer sind selbst in Liebesszenen (wenn man dieses prüde Getue überhaupt so nennen kann) onkelhaft; verbunden mit Gestik und Mimik hat man immer das Gefühl, als machten sie "Dutsidutsi" mit einem Kleinkind. Bei den Frauen ist es umgekehrt nicht anders, entweder ein weibchen- bzw. heimchenhaftes, geziertes Verhalten oder mondänes, teilweise herrisches Auftreten oder aber die trotzige, kleine Furie, was sich natürlich alles auch in der Stimme niederschlägt. Haushälterinnen schwingen nicht nur den Kochlöffel, sondern bestimmen überhaupt, wie das Familienleben des Herrn Geheimrat oder des Oberförsters vom Silberwald abzulaufen hat.

Die Sprache selbst? Früher gehörte keine Vulgärsprache in einen Film. Man pflegte einen gehobenen Stil. Umgangssprachliche Ausdrücke kamen kaum vor, wenn überhaupt, dann eher bei Jugendlichen, und dann schüttelte auch immer gleich Mutter oder Vater liebevoll-entschuldigend den Kopf und sagte vor Fremden so etwas wie: "Ja, das ist die Jugend, immer etwas unbeherrscht und vorlaut." oder: "Ach, Sie müssen entschuldigen, unsere Moni ist grad in ihrer Backfischzeit, da macht man als Eltern schon einiges mit." Dazu kommt, dass die Umgangssprache und auch die etwas saloppere Sprache der Jugend tatsächlich viel harmloser war als heute.

Ohne es belegen zu können, möchte ich behaupten, dass früher im Allgemeinen auch weniger gebildete Menschen einen differenzierteren Wortschatz hatten als heute, dass sie in ganzen Sätzen sprechen konnten (was vielen heute nicht mehr gelingt) und dass sie sowohl beim Sprechen als auch beim Schreiben viel weniger grammatische Fehler machten als heute. Sie benutzten weniger Fremdwörter, sondern drückten sich mit dem Wortschatz aus, den sie beherrschten - heute dagegen schmeißen viele Leuten mit Fremdwörtern um sich, aber leider sehr oft völlig falsch, so dass man manche überhaupt nicht mehr verstehen kann.

All das schlug sich natürlich auch in den Filmen nieder. Für dich klingt das eigenartig, wie "Stock im Arsch". Aber hallo, so was sagt man doch nicht 🤭🧐! Auf jeden Fall nicht in einem Film der 1950er Jahre! Du wolltest sicher sagen, dass es sehr "gestelzt" klingt und deshalb auf dich unnatürlich wirkt.

Noch etwas ist meines Erachtens wichtig. Die damaligen Filmschauspieler kamen ja durchweg vom Theater, hatten also eine Sprachausbildung hinter sich, bei der sie klar zu artikulieren und natürlich auch "auf Stütze" zu sprechen gelernt hatten. Wenn sie auf der Bühne flüsterten, musste ihr Flüstern auch in der letzten Zuschauerreihe noch klar zu verstehen sein - aber eben als natürliches leises und nicht als ein laut herausgeschrienes Flüstern, wie es ein Darsteller ohne entsprechende Sprachausbildung von sich geben würde. Die damaligen Mimen sprachen im Film oft wie auf der Bühne - zu akzentuiert, zu sauber, manchmal auch einfach zu theatralisch. Diese Sprechtechniken bringen Schauspieler mit einer richtigen Ausbildung natürlich auch heute mit, eine klare Sprache kommt ihnen immer zugute, ob auf der Bühne oder im Film, aber sie wissen eben auch zu unterscheiden zwischen Sprache auf der Bühne oder im Film.

Heute gibt es aber (im Gegensatz zu früher) so viele Darsteller, die von der Straße aufgelesen werden. Sie lispeln (nicht weil ihre Rolle das vorsieht, sondern weil sie nicht anders können), sie atmen falsch, benutzen ihren Körper nicht als Resonanzraum, sondern beginnen erst im Mund, ihre Laute zu bilden und quetschen sie dann irgendwie zwischen flach an den Gaumen gepresster Zunge und halb durch die Nase raus, sie verschlucken Konsonanten, sprechen die Vokale und Umlaute nicht klar aus, kriegen den Mund nicht richtig auf und , und ... Das ist zwar einerseits authentisch, aber oft stört dieses schlechte Sprechen, denn es ermüdet den Zuhörer, der sich sehr konzentrieren muss. Da ist man dann froh, wenn sich in irgendwelche soaps auch mal Schauspieler verirren, die "noch sprechen können".

Was früher in den Filmen zu viel war und deshalb auf uns jetzt befremdlich (theatralische + hochgestochene Sprache) wirkt, ist heute oft zu wenig (nachlässige Artikulation + manchmal ein Deutsch zum Fremd-schämen).

Zuletzt denke ich, dass auch die Tontechnik zu dem Fremdgefühl bei alten Filmen beiträgt. Davon verstehe ich nichts, aber ich vermute, dass man früher technisch einfach noch nicht so weit war, um vom Ton her die Atmosphäre so zu gestalten, dass man sich als Zuschauer z.B. einmal in einem kleinen Zimmer, ein anderes Mal in einer großen Halle, einmal drinnen, einmal draußen fühlt. Sommergeräusche sind anders als Wintergeräusche. Dadurch dass Mandolinenmusik o.ä. eingespielt wird, entsteht noch kein Gefühl wie in einer lauen Sommernacht auf Capri. Das wirkte früher immer unecht. Dazu kam noch die Beleuchtung. Man konnte bei den Filmen früher immer sehen, wenn eine Abendszene am Tag aufgenommen war, auch wenn jemand in einer Kutsche oder einem Auto "angeblich durch die Lande fuhr", die Szene aber tatsächlich im Studio abgedreht war und dahinter halt einfach ein Film ablief. Das alles können sie heute natürlich viel besser als früher.

Ich war in dieser Zeit jung. Und ja, tatsächlich, die Sprache hat sich stark verändert. Gut zu beobachten an den alten Aufnahmen der Berichterstattung. Das hatte noch in den Siebzigern den Hauch der NS-Propaganda.

Auch die Art wie untereinander gesprochen wurde war etwas anderes als heute.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Ich finde früher war die Sprache schöner, als Worte wie Arsch noch nicht zum Alltag gehörten. Ich selbst drücke mich auch nicht so aus.

Und eigenartig finde ich die damalige Sprache überhaupt nicht, sondern süss und charmant.

RainerTisch 
Fragesteller
 06.01.2020, 23:59

Dann viel Glück ;-)

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Haha in den 70ern ging es ja noch.

Richtig unnatürlich komisch wird die Sprache zu Kaiserszeiten. Ich habe ein Konversationswörterbuch (Deutsch-Spanisch) aus 1883. Wenn du die Kunstsammlung von jemandem besuchen wolltest, schlägt das Wörterbuch diese Sätze vor (ich zitiere die deutsche Version):

Angesichts Ihrer allgemein gerühmten außerordentlichen Liebenswürdigkeit wage ich es, Sie um die Erlaubnis zu bitten, Ihre wertvolle Sammlung besichtigen zu dürfen. Ich bitte hochwohlgeboren, meine Kühnheit entschuldigen zu wollen, und hoffe, Sie werden mir die erbetene Gunst gütigst gewähren. Genehmigen Sie bitte die Versicherung meiner vollkommenen Ergebenheit.

bruh das ganze könnte ich in einem Satz mit 5 Wörtern fragen :)

Katta11  06.01.2020, 23:53

Das ist Sprach-Kunst! Ich liebe das.

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Schaue doch einfach mal alte Talkshows und Dokumentationen, auch die Loriotsketche nehme die Sprache der Zeit humoristisch sehr schön auf die Schippe. Man darf aber nicht vergessen, dass manches im TV auch überzeichnet war und ist. Wenn man sich die Witze von Otto Waalkes anhört aus dieser Zeit, wäre vieles von dem heute als grausam und politisch unkorrekt eingeordnet. Vom Trecker übafaaaaahn. Andere Zeiten, andere Sprache.

Geil oder cool, das war dufte oder klasse.

Jaja...