Ausbildung zum Notfallsanitäter - Arbeitgeber?

4 Antworten

Von Experten Rollerfreake und RedPanther bestätigt

Hi,

Habe oft gelesen, dass die Vorgesetzten mies sind, und eine schlechte Work-Life-Balance ermöglichen.

Kann man beides schlecht pauschalisieren - nachdem es überall unterschiedliche Vorgesetzte gibt und unterschiedliche Dienstplanmodelle hilft nur der direkte Vergleich bei den infrage kommenden Arbeitgebern vor Ort.

Da zumindest auf Wachenleiterebene die meisten Vorgesetzten ebenfalls noch aktiv fahren gibt es hier meist wenig Probleme - die Dienstwege sind typischerweise kurz und man ist auf eine Lösung der Probleme aus. Die Aussage kann ich pauschal also nicht bestätigen.

Thema Work-Life-Balance: im Grunde genommen sieht es nicht anders aus, wie in anderen Betrieben mit Wechselschichtarbeit. Das bedingt einfach an sich schon eine Belastung, die über der eines 9-to-5-Bürojobs liegt.

Wochenend-, Feiertags- und Nachtarbeit gehören ebenso zu dem Arbeitsumfeld wie 12-Stunden-Schichten und eine 48-Stunden-Woche.

Kurzum: wer eine gute bis sehr gute Work-Life-Balance sucht, eine 38,5-Stunden-Woche mit voller Bezahlung, freie Wochenenden, keine Schichtarbeit und einen planbaren Feierabend - der ist im Rettungsdienst falsch, um es ganz hart auszudrücken.

Die Arbeitsbedingungen sind sicher nicht so schlecht wie postuliert - mit entsprechend hohen Ansprüchen werden sie aber dann doch ziemlich sicher außerhalb der Komfortzone liegen. Und das macht auf Dauer unglücklich...

Könnt ihr mir einen Arbeitgeber in Niedersachsen empfehlen?

Derjenige, bei dem Du einen Ausbildungsplatz erhältst.

Die Ausbildung zum Notfallsanitäter ist hoch begehrt und einen Bewerbermangel gibt es trotz der Negativpunkte überhaupt nicht - zehn Bewerbungen pro Ausbildungsplatz sind die Regel (nach wie vor), nicht die Ausnahme.

Im Endeffekt kann sich der Arbeitgeber es raussuchen - nicht der Bewerber.

Und seitens der Arbeitgeber fällt die Wahl dann doch eher auf die Rettungssanitäter, die mit Führerschein Klasse C1 und ein bis zwei Jahren Berufserfahrung wissen, worauf sie sich einlassen und wo der Arbeitgeber weiß, was er bekommt - eher seltener wird der komplette Neueinsteiger gewählt, der als erstes nach der Work-Life-Balance fragt.

Also: für einen Einstieg in den Rettungsdienst - und um zu schauen, ob man wirklich weitermachen will - ist die Qualifikation zum Rettungssanitäter quasi ein "Muss".

Die Ausbildung ist bundesweit einheitlich durch das NotSanG und die NotSan-APrV geregelt, man lernt unterm Strich also überall das Gleiche. Demzufolge ist es aus Sicht der Ausbildung egal, welches Logo auf der Jacke und den Autos prangt.

Und sie sieht der praktische Teil der Ausbildung im Krankenhaus aus?

Abhängig davon, wo man gerade eingeteilt ist - die 720 Stunden klinische Ausbildung decken unterschiedliche Bereiche ab. Das reicht von der normalen Pflegestation über Notaufnahme, Anästhesie und Intensivstation bis zu psychiatrischen und pädiatrischen Fachabteilungen.

Im Großen und Ganzen ist es "mitmachen, was anfällt" und "Learning by doing". Mal wird man in den Alltag mit eingebunden, mal werden praktische Fähigkeiten (durch geeignetes Personal) am Patienten vermittelt und unter Aufsicht geübt.

Fazit des Ganzen

Es ist sinnvoll, sich über die Arbeitsbedingungen zu informieren - noch sinnvoller ist es, sich über die Tätigkeit an sich zu informieren.

Denn die Arbeitsbedingungen variieren sehr stark, sowohl zwischen den einzelnen Organisationen als auch zwischen den einzelnen Wachen als auch im zeitlichen Verlauf. Die rettungsdienstliche Arbeit an sich bleibt aber eher konstant, d.h. mit dieser muss man doch eher länger zurechtkommen.

Es spricht nichts dagegen, einfach mal ein Praktikum im Rettungsdienst zu machen und einfach mal eine Woche die Arbeit und die "echte" Work-Life-Balance vor Ort zu erleben, und dann erst eine Entscheidung zu treffen.

Und wenn die Entscheidung "pro Rettungsdienst" gefallen ist, solltest Du dir eher überlegen, den Rettungssanitäter zu machen, ein bis zwei Jahre zu arbeiten und dich dann für den NFS bewerben - dann reden wir auch von realistischen Chancen, einen Platz zu erhalten.

LG

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Notfallsanitäter, Blogger, Medizinstudent
schillatzsch 
Fragesteller
 19.10.2020, 12:57

Danke für die ausführliche Antwort. Rettungssanitäter dauert nur 3 Monate richtig?

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SaniOnTheRoad  19.10.2020, 17:07
@schillatzsch

Gerne!

Rettungssanitäter dauert nur 3 Monate richtig?

Ja, das stimmt. Es ist ein Lehrgang im Umfang von 520 Stunden - also rund 13 Wochen in Vollzeit.

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Von Experte SaniOnTheRoad bestätigt
Habe oft gelesen, dass die Vorgesetzten mies sind

So? Du weißt z.B. von den Rettungsdienstleitungen aus über 30 DRK-Kreisverbänden in Niedersachsen, dass dort alle Vorgesetzten mies sind?

Und ja, das DRK in Göttingen ist ein anderes als das DRK in Duderstadt. Auch, wenn beide direkt benachbart sind, sind das zwei unterschiedliche Firmen. Somit hast du dort auch unterschiedliche Vorgesetzte.

Außerdem gehen die Meinungen auseinander, was eigentlich ein mieser Vorgesetzter ist. Der eine findet einen Vorgesetzten mies, weil er zusätzliche Springerschichten in den Dienstplan einträgt - und der andere findet das gerade gut, weil dadurch seltener Leute in der Freizeit angerufen werden.

und eine schlechte Work-Life-Balance ermöglichen.

Was erwartest du? Rettungsdienst muss an 365 Tagen im Jahr jeweils 24h laufen. Das heißt, dass du 365 normale Arbeitstage im Jahr hast - da gehören sämtliche Samstage, Sonntage, Feiertage und auch z.B. Heiligabend dazu. Jeder, der im Rettungsdienst anfängt, weiß dass er regelmäßig an Wochenenden und Feiertagen arbeiten wird, und dass er auch mal an Heiligabend oder Silvester im Dienst sein wird.

Das hat mit dem Vorgesetzten nichts zu tun - sondern einfach mit der Wahl des Berufs. Wenn du die Wochenenden frei möchtest, suche dir bitte eine Arbeit, die am Wochenende nicht stattfindet.

Was habt ihr für Erfahrungen gemacht?

Ich fand die Work-Life-Balance im Rettungsdienst gar nicht mal schlecht. Es hat auch seine Vorteile, unter der Woche frei zu haben, z.B. sind Freizeiteinrichtungen dann nicht überlaufen. Und je nach Dienstplanrhythmus kann man durchaus seine Urlaubstage "künstlich vermehren" - ich hatte z.B. einen Abschnitt mit vier freien Tagen, drei Tagschichten und dann nochmal vier freien Tagen. Dieser Abschnitt kam alle 6 Wochen. Mit drei Urlaubstagen konnte ich hier elf Tage frei bekommen.

Ich habe auch dreieinhalb Jahre lang eine Teilzeitstelle im Rettungsdienst mit einem Vollzeitstudium unter einen Hut gebracht. Auf meiner Wache kann man damit rechnen, in der Nachtschicht einige Stunden schlafen zu können. Also war ich öfters in der Nachtschicht und bin am nächsten Morgen ausgeschlafen wieder in die Uni gegangen. In wie vielen Studentenjobs bekommst du >150 € dafür, dass du dich eine Nacht aufs Ohr haust?

Das mit der Work-Life-Balance muss man also ein Stückweit zu nehmen wissen, wie es kommt. Vieles ist auch sehr subjektiv. Ich stelle es mir ekelhaft vor, 9 to 5 zu arbeiten und mir jedes Mal extra frei nehmen zu müssen, wenn ich mal aufs Amt muss oder so.

Wenn aber "Wochentags 9 to 5" genau das ist, was du willst, dann bist du im Rettungsdienst definitif falsch. Augen auf bei der Berufswahl!

Was habt ihr für Erfahrungen gemacht?

Mein Rettungsdienstleiter ist ein Choleriker, der erst noch lernen muss seine Mitarbeiter wertzuschätzen. Und mein Rettungswachenleiter ist ein unglaublicher Schlamper. Damit habe ich mich arrangiert und hatte bisher nicht wirklich ein Problem mit der Work-Life-Balance.

Und wie den meisten Kollegen ist mir vollkommen bums, ob auf meinem Rettungswagen nun ein rotes Plus, ein Wappen, eine Kokarde oder drei Buchstaben zu sehen ist.

Könnt ihr mir einen Arbeitgeber in Niedersachsen empfehlen?

Die Frage ist eher: Wo bekommst du einen Ausbildungsplatz? Rechne mal mit 10 Bewerbern pro Ausbildungsplatz - eher mehr, wenn ein bestimmter Rettungsdienst einen guten Ruf hat. Rechne ferner damit, dass die Hälfte der Bewerber bereits Berufserfahrung im Rettungsdienst hat - bei deren Ausbildung muss man nicht mit Adam und Eva anfangen und sie wissen, worauf sie sich mit der Berufswahl einlassen. Dadurch hat jemand, der noch gar keine Erfahrung mit dem Rettungsdienst hat, effektiv keine Chance auf einen Ausbildungsplatz.

Wenn du es trotzdem versuchen möchtest: Bewerbe dich bei mindestens 50 Rettungsdiensten und mache dir klar, dass es vollkommen normal ist wenn 90% davon direkt abgesagt werden.

Nicht der Aspirant sucht sich den Rettungsdienst aus. Sondern der Rettungsdienst sucht sich seine Rosinen aus. Oftmals übrigens aus dem eigenen Personalstamm: Wir haben diesen Herbst 6 neue Azubis, von denen 5 schon länger als ein Jahr bei uns als Rettungssanitäter angestellt waren.

Nun, alles Offizielle, ist im Notfallsanitätergesetz (NotSanG) und in der "Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter" (NotSanAPrV) zu finden.

In der Praxis, stammen die meisten erfolgreichen Bewerber/innen bereits aus dem Rettungsdienst. Sie sind bereits als Rettungssanitäter/in qualifiziert, haben als solche ein- bis zwei Jahre Berufserfahrung im Rettungsdienst gesammelt und sind in Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis der Klasse C1.

Was die "Work- Life- Balance" anbelangt, so ist der Rettungsdienst halt nuneinmal eine Branche mit Schichtdiensten und mit Arbeit an Wochenenden und Feiertagen sowie mit "unklarem" Feierabend. Dass muss man also schon wollen, dennoch, funktioniert es ganz gut, klar, muss man zum Beispiel den Freunden am Wochenende mal absagen, dafür, hat man dann unter der Woche freie Tage, dass bringt durchaus auch seine Vorteile mit sich. Mfg.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Rettungsdienst🚑, sehr großes Interesse an Notfallmedizin.

Hab zwar keine Ausbildung zum Notfallsanitäter gemacht, kenne den Rettungsdienst beim BRK aber vom FSJ und anschließender, mehrjähriger Tätigkeit als RS.

Generell hast du Schichtarbeit, bei uns waren das damals 12h, 7h bzw. 9h Schichten. Wenn du 12h Schichten hast, bist du meine ich maximal 4x pro Woche eingeteilt. Nach einer 12h Schicht musst du mindestens 12h Arbeitsfrei haben. Überstunden wurden ganz normal notiert und vergütet bzw. abgefeiert wenn ich mich recht erinnere.

Urlaubsanspruch hast du wie in jedem anderen Beruf auch und der wurde auch problemlos gewährt. Kurzfristig Freinehmen war auch kein Problem. Kurzer Anruf beim Wachleiter und sich dann selbstständig um Ersatz kümmern war dann üblich.

Zu pauschalisieren, dass alle Vorgesetzten mies sind, kannst du bei solch großen Organisationen mit hunderten Vorgesetzen niemals. Bei uns war das wirklich in Ordnung, und auch an den anderen Wachen im Kreisverband gut - soweit ich das beurteilen kann. Der Zusammenhalt der Kollegen untereinander war auch immer gut und in den freien Zeiten an den Wachen konnte man sich die Zeit gut und lustig vertreiben 😁

Ansonsten sei erwähnt, dass es kein Job ist, der jeden Tag leicht fällt. Hohe Belastung bei Tagen mit vielen Einsätzen bzw. die Dinge die man sieht sollte man schon bedenken.

Aber ich bin gerne hingegangen und es war eine tolle Zeit.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung