16. Gesang der Ilias - Patroklie

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Erörtert werden kann, wie das Tragische im Geschehen des Epos der Theorie des Aristoteles in seiner Poetik zur Tragödie entspricht.

Der Zorns des Achilleus ist eng mit dem Schicksal des Patroklos verknüpft.

Patroklos ist der beste Freund des Achilleus. Als die Bittgesandtschaft kommt, spielt Achilleus Phorminx und singt dazu über ruhmvolle Taten, während Patroklos allein ihm gegenübersitzt und ihn schweigend bis zum Ende zuhört (Homer, Ilias Ι, 9. Gesang, 185 – 191). Patroklos hat als Junge versehentlich einen anderen Jungen beim Knöchelspiel getötet und erhielt bei Peleus Zuflucht, der ihn seinem Achilleus zum Gefährten gab (Homer, Ilias Ψ, 23. Gesang, 85 – 90).

Patroklos hat sich wie alle Myrmidonen mit dem grollenden Achilleus aus dem Kampf zurückgezogen, als dieser von Agamemnon ungerecht behandelt und in seiner Ehre schwer gekränkt wurde.

Sein Vater Menoitios hatte Patroklos vor dem Aufbruch geraten, als der körperlich Schwächere, aber Ältere Achilleus ein Ratgeber zu sein (Homer, Ilias Λ, 11. Gesang, 785 – 789). Als die Griechen in große Schwierigkeiten geraten, schicken sie eine Bittgesandtschaft (Aias, Phoinix und Odysseus mit Herolden) zu Achileus und bieten ihm an, ihm Brisëis (eine erbeutete junge Frau) zurückzugeben (Agamemnon hatte sie ihm als Oberbefehlshaber weggenommen, aber nicht angerührt, wie er nun versichern läßt), ihm Geschenke als Sühne zu geben und eine Heirat mit einer Tochter des Agamemnon nach Wahl einzugehen, damit er wieder am Kampf teilnimmt.

Achilleus lehnt dies aber ab. Der Groll sitzt tief und hat sich verfestigt. Achilleus gelingt es nicht, zu diesem Zeitpunkt einen Weg zur Versöhnung einzuschlagen. Die Herabwürdigung seiner Ehre hat Nachwirkungen und Motive, die Griechen bis zum Äußersten in Not kommen zulassen, damit sie merken, wie falsch sie gehandelt haben, und ihn reuevoll auf Knien anflehen, beeinflussen ihn. Achilleus könnte jetzt eine Wiedergutmachung erreichen, aber er löst sich zunächst nicht von einer blickverengenden Fixierung. Offenbar glaubt er nicht an die Aufrichtigkeit des Angebotes, das von dem ihm verhaßten Agamemnon ausgeht.

Patroklos ist im Kampf tüchtig und tapfer, sonst aber mild, freundlich und einfühlsam. Als Achilleus die Achaier von großer Not bedrängt sieht, schickt er Patroklos aus, um den Namen eines Verwundeten zu erfahren, der zu Nestor geführt wird. Nestor schildert Patroklos eindringlich die unglückliche Lage der Griechen und appelliert an sein Verantwortungsgefühl, Achilleus zur Hilfe zu bewegen oder zumindest dazu, Patroklos mit den Waffen des Achilleus und den Myrmidonen in den Kampf zu schicken und so den Achaiern eine Atempause zu verschaffen. Patroklos versorgt unterwegs noch den ihm begegnenden verwundeten Eurypolos und kommt dann weinend zu Achilleus. Mitfühlend spricht ihn Achilleus an. Patroklos redet zu ihm (Homer, Ilias Π, 16. Gesang, 21 – 45). Er bittet ihn, ihm nicht zu zürnen. Patroklos hat Verständnis für das Ehrempfinden des Achilleus, zugleich aber auch Mitgefühl für die Griechen. Er vertritt eine eigene Meinung und stimmt ihm nicht blind oder kriecherisch in allem zu, sondern macht ihm Vorhaltungen, sich unzugänglich und starr zu verhalten und in seinem Zorn nicht zu bedenken, ohne Rettung der Griechen niemand zu haben, der sich an ihm erfreuen kann. Wenn Achilleus einen Götterspruch fürchte, bitte er darum, ihn (Patroklos) und die Myrmidonen auszuschicken und ihm seine Rüstung zu geben, damit die Troianer Patroklos für Achilleus halten, sich zurückziehen und die Griechen sich erholen können.

Auf seine Bitte gibt Achilleus Patroklos seine Rüstung und Waffen (nur der Speer ist so groß und schwer, daß allein Achilleus ihn schwingen kann), mahnt ihn aber, den Kampf nicht zu weit zu treiben (Homer, Ilias Π, 16. Gesang, 64 – 100). Als Grund für sein weiteres Fernbleiben nennt Achilleus den bitteren Schmerz über die kränkende und ehrverletzende Behandlung durch Agamemnon. Er spricht aber davon, das Vergangene zu lassen; sein Vorsatz sei ja nicht gewesen, seinen Groll überhaupt nicht zu beenden, sondern erst, wenn die Troianer seinen Schiffen nahen. Dann könnte Achilleus im Grunde auf das Versöhnungsangebot eingehen und selbst kämpfen, eine Folgerung, die er aber nicht zieht. Seine Ermahnung an Patroklos, sich auf die Rettung der Griechen zu beschränken, begründet er damit, Achilleus im anderen Fall weniger geehrt zu machen und sich der Gefahr durch eine der Gottheiten auszusetzen (hingewiesen wird auf Apollon, der Troia liebt).

Achilleus äußert als Wunsch an Zeus, daß kein Troianer und kein Grieche sich rettet und er allein zusammen mit Patroklos Troia zerstört.

Patroklos zieht mit dem Myrmidonen in die Schlacht, ist erfolgreich, tötet viele Gegner, darunter den Zeus-Sohn Sarpedon (Homer, Ilias Π, 16. Gesang, 16, 490)

Albrecht  29.11.2011, 04:46

Entgegen der von Achilleus ausgesprochenen Warnung stürmt Patroklos gegen die Stadt (Homer, Ilias Π, 16. Gesang, 684 – 704). Der große Sieg und die bei ihm ausgebrochene Kampfleidenschaft reißen ihn mit. Er könnte es besser wissen und ist kein dummer Mensch, aber er ist fixiert auf das, was zu weiterem Vorstoßen verlockt. Dies ist die Überheblichkeit (ὕβρις) eines tragischen Helden im Zustand der Verblendung (ἄτη).

Patroklos stürmt dreimal gegen die Stadtmauer, wird aber von Apollon zurückgedrängt und weicht beim vierten Mal, als dieser ihn zum Weichen aufruft, aus Scheu vor seinem Zorn (Homer, Ilias Π, 16. Gesang, 702 - 711). Doch in den folgenden Kämpfen stürmt er auch noch ein viertes Mal (ein vorher noch vorhandener Rest an Zurückscheuen ist anscheinend nicht mehr vorhanden) in die Troianer hinein. Apollon nimmt Patroklos durch einen Schlag Besinnung und Rüstung, so daß Euphorbos ihn verwunden und Hektor ihn töten kann (Homer, Ilias Π, 16. Gesang, 806 – 821) Als Hektor den Sterbenden verhöhnt, prophezeit ihm dieser den Tod durch Achilleus (Homer, Ilias Π, 16, 830 – 854).

Als Achilleus vom Tod seines Freundes erfährt, ergreift ihn fürchterlicher Schmerz (Homer, Ilias Σ, 18. Gesang, 22 - 35). Für ihn steht nun im Vordergrund, Patroklos zu rächen. Die Voraussage seiner Mutter, der Meeresgöttin Thetis, Achilleus werde bald nach Hektors Ende sterben (Homer, Ilias Σ, 18. Gesang, 95- 96), hält ihn nicht davon ab. In der Klage um Patroklos klingen leichte Selbstvorwürfe mit (Homer, Ilias Σ, 18. Gesang, 95 - 96). Er nimmt nun das Angebot Agamemnons an.

Nachdem Achilleus Hektor (sein Bleiben vor der Stadtmauer kann als tragischer Fehler gedeutet werden) getötet hat, schleift er dessen Leichnam am Wagen angebunden über den Boden.

Die Seele des Patroklos erscheint Achilleus, verkündet ihm den Tod und wünscht sich eine gemeinsame Bestattung (Homer, Ilias Ψ, 23. Gesang, 65 – 101). Der Leichnam des Patroklos wird verbrannt. Zu den Totenopfern gehören 12 von Achileus gefangene Toianer (Homer, Ilias Ψ, 23. Gesang, 181 – 182). Achilleus veranstaltet zu Ehren von Patrokos Leichenspiele.

Bei Achilleus hält die Trauer an (Homer, Ilias Τ, 19. Gesang, 312 – 339).

Eine direkte Anrede des Dichters an Patroklos (z. B. Homer, Ilias Π, 16, 692 – 693) zeichnet ihn mit Sympathie als großherzigen, mitfühlenden Helden, der sich selbstlos um andere kümmert.

Trotz Freundschaft zu Achilleus ist in der Ilias nirgendwo offen von Homosexualität die Rede. Später wurde die Beziehung so gedeutet (Aischylos, Myrmidones TrGF3 F 134 a – 137; Platon, Symposion, 179 e – 180 a).

Nach der Bittgesandtschaft liegt im Zelt/der Hütte neben Achilleus Diomede, Tochter des Phorbas aus Lemnos, gegenüber Patroklos und neben ihm Iphis, die Achilleus in Skyros erbeutet und ihm geschenkt hatte (Homer, Ilias Ι, 9. Gesang, 663 – 668). Nachdem Priamos gekommen ist, um den Leichnam seines Sohnes Hektor auszulösen, schläft in der Nacht Briseïs neben Achilleus (Homer, Ilias Ω , 24. Gesang, 675 – 676).

Ein weiteres Thema zur Erörterung könnte das Verhältnis von göttlichem und menschlichem Anteil am Geschehen sein. Es gibt Schicksal und Göttersprüche, die unter anderem Vorverweise auf den Tod des Patroklos enthalten. Andererseits kommt es offenbar auch auf die eigenen Entscheidungen der Menschen an. Aus der Darstellung geht etwas über ihre Beweggründe hervor. Es gibt keine absolute Notwendigkeit der Handlungen, bei der für Selbständigkeit, mit der Menschen ihre Handlungen bestimmen, überhaupt kein Raum mehr bleibt. Auf die Menschen wirken Einflüsse, deren Vorhandensein nicht ihrer Verfügungsgewalt unterliegt. Es kommt aber auch darauf an, wie die Menschen damit umgehen.

Bei Patroklos kann die Frage gestellt werden, ob der göttliche Eingriff Apollons für ihn unabwendbar ist und er gar keine Chance hat oder ob er eine Chance zur Selbststeuerung hatte und erst die zwar aufgrund der machtvollen Umstände naheliegende, aber nicht völlig zwingende innere Verfassung (Patroklos ist vom Schwung der ausgebrochenen Kampfeswut und einem Siegestaumel erfaßt, der ihn die Kontrolle und klaren Überblick verlieren läßt) der Grund ist.

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Albrecht  29.11.2011, 04:48

In Nachschlagewerken zur Antike und in Büchern über Achilleus und Homer sind Informationen und Erörterungen vorhanden.

Jan Stenger, Patroklos. In: Der neue Pauly (DNP) : Enzyklopädie der Antike ; Altertum. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Band 9: Or - Poi. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2000, Spalte 418 – 419

Hartmut Erbse, Ilias und 'Patroklie'. In: Hermes : Zeitschrift für klassische Philologie 111 (1982), S. 1 - 15 = Hartmut Erbse, Studien zur griechischen Dichtung. Wiesbaden : Steiner, 2003 (Altphilologie), S. 44 – 58

Joachim Latacz, Achilleus : Wandlungen eines europäischen Heldenbildes. 2. Auflage. Stuttgart ; Leipzig : Teubner, 1997 (Lectio Teubneriana ; Band 3). ISBN 3-519-17552-5

Efstratios Sarischoulis, Schicksal, Götter und Handlungsfreiheit in den Epen Homers. Stuttgart : Steiner, 2008 (Palingenesia ; Band 92). ISBN 978-3-515-09168-8

Efstratios Sarischoulis, Motive und Handlung bei Homer. Göttingen : V & R Unipress, 2008. ISBN 978-3-89971-493-7

Arbogast Schmitt, Selbständigkeit und Abhängigkeit menschlichen Handelns bei Homer : hermeneutische Untersuchungen zur Psychologie Homers. Mainz : Akademie der Wissenschaften und der Literatur ; Stuttgart : Steiner, 1990 (Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz : Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse ; 1990, Nr. 5). ISBN 3-515-05726-9

Graham Zanker, The heart of Achilles : characterization and personal ethics in the Iliad. Ann Arbor : University of Michigan Press, 1994, ISBN 0-472-10514-0

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Hey.

Meines Wissens ist es inkorrekt Achill und Proklos' Beziehung als rein freundschaftlich zu bezeichnen (von 'brüderlich' brauche ich hoffentlich gar nicht erst anzufangen...).

Die beiden waren Liebhaber .

Und ja. Ich bin mir bewusst dass das Eine, das Andere nicht Automatisch ausschließt. -Dah es sich hierbei aber um das Weglassen bzw. das Ignorieren wichtiger Tatsachen bezüglich der Leben von Queeren Menschen bzw deren Existenz in der Geschichte handelt, ist es (meiner Meinung nach) nicht so einfach unkritisiert aber vor allem: unkorrigiert zu lassen.

Es ist schon irgendwie deprimierend und niederschmetternd wieder einmal lesen zu müssen, wie Queere -Identität -Geschichte und Kultur verwischt wurden/wird (+wohl oder übel auch leider wahrscheinlich noch eine Weile weiter, in der Zukunft...)

Abgetan und weggelassen, vergraben und vertuscht, fehlverstanden, missinterpretiert, sowie einfach ignoriert, umgeschrieben, überpinselt.

verloren und vergessen.

Es ist einfach nur Frustrierend.

Bitte macht nicht den Fehler die Lücken, Lügen, etc. in Geschichtsbüchern(sowie- by proxy im Bewusstsein) weiter bestehen und wachsen zu lassen.

Queere Identität & Erlebnisse* sind nichts neues. Wir leben nur leider in einer Welt in der, im Laufe der letzten Millennia, Blödsinn wie Cis-Hetero-Normativität die Dinge mehr & mehr beeinflusst.

Habt alle eine Gute Zeit! <3

:}

* (?????) -Ich hab' mir jetzt bereits 15minuten mindestens den Kopf darüber zerbrochen was das beste deutsche Äquivalent zu "the queer experience" ist, weil alles nicht so ganz recht wirkten will... idk. Ich hoffe, dass ich hiermit nicht gerade aus Versehen sämtlichen der Deutschlehrer*innen die ich je hatte einen Herzinfarkt &/oder ein Aneurysma verpasst hab.

PS: ...fuuuuuck ich sollte wirklich lernen meine von Schlafmangel, Frust& ADHS-angetriebenen rants zu minimieren, cuz like:damn...I bet that future me will wanna smack the heck out of squishy brain-ed past me for like spending ages spacing out & writing this "Logorrhö" and geting frustrated at a wording choice made in a flippin' 10yo post...welp.

Es ist zu vermuten das Achill homosexuell war zumindestens Bi Ich habe in der ganzen Trilogie keine Stelle gefunden in der Achill eine Beziehung zu einer Frau hatte.Aber mit Praktolos teilte er sein Zelt und beweinte Ihn

Naja...wahre freundschaft ...