Woran erkennt man, dass sich jemand psychisch zurück zieht?

4 Antworten

Um so etwas zu erkennen, wird eine gewisse Menschenkenntnis benötigt, aber ich sage es mal wie ich es erlebt habe bei Leuten, die so etwas durchgemacht hatten. Meist beginnt so etwas mit eigenartigen Äußerungen in die Richtung "alleine sein", "Zeit haben", "Ruhe finden" usw., dem auffälligen Herauszögern von Entscheidungen und dem Überlassen aller Entscheidungen an andere bzw. immer geringem Aktionismus irgendwo aktiv mitzumischen/mitzugestalten, einem Rückzug aus Gesprächen bis zur "Flucht" vor Geselligkeit aller Art, fehlendem Interesse an Hobbys und jeglicher Gesellschaft, und teilweise auch Melancholie die ggf. zu Unfreundlichkeit wird - oder auffällige Äußerungen, etwa dass man mit dem und dem auf einmal auf keinen Fall mehr was reden/machen und mit ihnen nix mehr zu tun haben will, obwohl man vorher mit anderen klargekommen ist, ggf. sogar nette Bekanntschaften pflegte und im Grunde nichts vorfiel.

So ist es mir selbst dieses Jahr nach gewissen menschlichen Enttäuschungen, aus denen ein sukzessiver Rückzug aus Vereins-/Ehrenamtswelt und Gemeindeleben meiner Heimat resultierte, auch gegangen und so wurde es von engsten Vertrauten beschrieben, die ich um Rat fragte. Man attestierte mir übereinstimmend, noch ruhiger als bisher geworden zu sein und auffällig in mich gekehrt zu sein, ständig von Gefühlen zu reden und manche dachten sogar, ich sei depressiv geworden.

In einer Beziehung kann zudem durchaus Libidoverlust mit fehlendem Interesse an gemeinsamen Aktivitäten und Hobbys vorfallen - das hatte ich nicht, weil ich aktuell Single bin und mehr eine lose Bekanntschaft mit einer Frau habe, aber passiert ist das schon.

Manch einer fühlt sich teilweise auch beobachtet oder ausgespäht oder verfolgt oder auch nicht ernst genommen - und ist dann anfällig für schlechte Gesellschaft oder Leute mit schlechtem Einfluss.

Teilweise wird das alles aber auch mit charakterlicher Ungeselligkeit und einem ruhigen Gemüt verwechselt oder mit Leuten, die obwohl sie charakterlich nicht dafür geeignet sind in irgendwelche Öffentlichkeitsposten kamen (Vereinsehrenamt wie bei mir - ich bin halt kein Selbstdarsteller, der im Pfarrheim schleimige Grußworte hält und beklatscht werden will und das Ziel hat, sich möglichst oft auf Zeitungsfotos wieder zu finden, bin aber vor Jahren reingerutscht, als ein Schriftführer gesucht wurde und ich mich breitschlagen ließ es "vorläufig" zu machen ehe sie mich festnagelten und merkten ... ach, dieser Viktor macht das ja eigentlich ganz gut - reicht aus, muss nix mit Arbeit zu tun haben) und eines Tages schlicht keinen Bock mehr haben auf den ganzen sowieso ungeliebten und nur "der Pflicht halber" erledigten Krampf; leider wurde es scheint's zur Unsitte, dass für alles irgendwie eine "Diagnose" existieren muss um jemanden als "normal" und "nicht normal" zu brandmarken.

Oft schafft ein Orts- oder Jobwechsel oder auch die Kündigung diverser Vereinsmitgliedschaften Besserung, so war es bei mir und ich lebe seitdem wieder neu auf. Man muss nicht immer von Krankheiten reden und auch nicht gleich an Therapie und Psychopharmaka und den "Seelenkrebs" denken; ich war mal bei einem Therapeuten, der meinte, er könnte selbst nicht viel tun, sondern sieht eher eine Verbesserung in einem Umfeld- und Arbeitswechsel. So war es dann auch.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
Ananas647 
Fragesteller
 27.12.2019, 17:31

Vielen Dank für die ausführliche Antwort!!!

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rotesand  27.12.2019, 17:34
@Ananas647

Gerne, da steckt auch viel aktuelle bzw. nicht lang zurückliegende eigene Erfahrung drin. Wünsche dir alles Gute für 2020!

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rotesand  27.12.2019, 22:21
@Ananas647

Was mir noch auffiel, ist vielleicht wichtig: In der Zeit meines Rückzugs wurden gewisse Menschen mir sehr wichtig bzw. ich begann teilweise an ihnen regelrecht zu klammern und vieles von ihnen abhängig zu machen - das waren teilweise Leute, die jahrelang nicht stattfanden. Ich habe da wieder Kontakt aufgenommen weil mir das Herz gesagt hat ... hey, da ist jemand, der ist doch dein Freund gewesen und hat es immer gut mit dir gemeint.

Ich habe wahrscheinlich neue Leute gesucht, nachdem ich mich von vielen bzw. den meisten zurückgezogen habe und merkte, wer wirklich wichtig ist und wer mir im Herzen und durch seine Ehrlichkeit gut tut.

Es war mir etwa ein Bedürfnis, zu einem Freund Kontakt wieder aufzunehmen, zu dem ich einige Jahre lang keine Verbindung mehr gepflegt hatte nachdem diese eingeschlafen war (ich hatte den Freund fast vergessen, obwohl wir mal sehr eng befreundet waren) und suchte ihn wieder auf - und das half mir auch tatsächlich, zumal ich herzlich wieder aufgenommen wurde und diese Freundschaft grad einen Neubeginn erlebt und ja, dieser Freund spielt seitdem irgendwie eine größere Rolle als je zuvor.

Auch diverse langjährige bisher lockere Bekannte wurden auf einmal zu Freunden oder zumindest zu intensiveren Bekannten und spielten fortan dominierende Rollen, etwa der Wirt einer Kneipe und ein Stammgast. Obwohl ich beide schon 15 Jahre lang kenne und wir schon immer gut klarkamen, wurde die Bindung seit meinem Rückzug immer intensiver ... vermutlich weil die beiden und dieser alte Freund es im Gegensatz zu vielen einfach bedingungslos ehrlich mit mir meinen und ich mich bei ihnen verstanden und gemocht fühle, weil es so ist.

Zu meiner Exfreundin, von der ich mich 2017 trennte, habe ich auch wieder Kontakt aufgenommen, weil sie trotz allem einen guten Kern hat und mir früher gut tat, mir auch mal so richtig die Meinung sagte und mir immer Mut gab, eigene Gedanken zu haben und zu pflegen - und siehe da, wir haben wieder Kontakt und es tut mir gut; würde sie mich verachten, hätte sie niemals diesem Kontakt zugestimmt. Nur ein paar Beispiele.

Ich habe mich dann an einigen zu orientieren begonnen, was mir Sicherheit gab und mir dabei half vieles zu überstehen. Auch die ohnehin tiefe Bindung zu meinem Onkel wurde noch intensiver, obwohl es vorher kaum möglich gewesen wäre, sie noch weiter zu vertiefen.

Möglich ist auch eine optische Veränderung - man zieht sich dunkler und dezenter an wie ich, legt auf einmal Wert auf ganz eigenartige Dinge wie Armbanduhren zum Beispiel oder trägt nur noch bestimmte Kleidungsstücke. Eine solche Phase hatte ich kurzzeitig auch, als es grad anfing, da trug ich nur zwei bestimmte Sweatshirts und ein bestimmtes Sakko.

Ist alles sehr subjektiv und eigens Erlebtes, aber vielleicht kann ich dir damit helfen.

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rotesand  27.12.2019, 23:23
@rotesand

Etwas fiel mir noch ein; eine langjährige Freundin meinte, ich hätte auffällig viel wirres Zeug über Musik und Emotionen geredet und auf einmal nur noch Dinge mit Gefühlen in Verbindung gebracht, nach dem Motto das und das holt mich emotional ab ...was es vorher bei mir so offensichtlich noch nicht gegeben hatte.

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Ananas647 
Fragesteller
 27.12.2019, 23:41
@rotesand

Oha, danke für diese Antwort! Ich erkenne mich z.b. darin teilweise wieder.. das mit der Bindung z.b. zu einer Person und auch das mit dem Umstyling.

Meinst du das hat eine Bedeutung? Warum genau dunkler? Ist man in dieser Zeit pessimistischer?

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rotesand  28.12.2019, 20:54
@Ananas647

Pessimismus kehrte bei mir nie ein, ich habe mich nur unsicher und nicht entspannt gefühlt und machte auf einmal vieles von Gefühlen abhängig oder von Menschen.

Dunkle Kleidung wählte ich ohne ersichtlichen Grund, vielleicht wollte ich nicht auffallen und in der Masse untergehen. War immer ein Typ für Farbige Outfits, aber vielleicht wollte ich mich verstecken. Ich trage fast nur noch schwarz mit geringen Farbigen Accessoires oder Farbiger Jacke/Sakko.

Aber entspannt bin ich meist wieder, vielleicht wollte ich mich nur verändern.

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naja als es bei mir los ging hab ich allgemein wesentlich weniger geredet als sonst,nur noch das nötigste und hab versucht jeder sozialen interaktion ais dem weg zu gehen,hab kaum mehr was gemacht mit leuten und allgemein und wollte auch keinen mehr um mich haben...ich könnte noch mehr erzählen aber ehrlich gesagt ist mir das grad zu anstrengend

Ananas647 
Fragesteller
 27.12.2019, 16:53

Okay, vielen Dank!!

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Das Interesse an gesellschaftlichen Anlässen aller Art teilzunehmen wird geringer, die Lebensfreude sinkt und man wird antriebslos. Dinge, die einem wichtig waren, werden bedeutungslos. Im Prinzip sind die Symptome ähnlich wie die beim Ausbruch einer Depression und meist schleichend - oft merken selbst enge Weggefährten es erst mit der Zeit, wenn sich jemand in diese Richtung verändert.

LG Vera

Die Person wird kaum an Gesprächen teilnehmen, sich nicht in die Mitte einer Gesellschaft setzten, sondern eher Randbereiche aufsuchen, bei geselligen Aktionen (Spiele, Schunkeln, Witze erzählen) nicht aktiv teilnehmen und wenig oder gar nicht mitlachen, wenn nette Geschichten erzählt werden.