Faust - wie ist diese Textstelle zu verstehen?

2 Antworten

Der Charakter von Goethes Mephisto ist mit den typischen Eigenschaften einer ungezügelten und hemmungslosen Macht verbunden, der in der Unersättlichkeit keinen Frieden gefunden hat und sich somit sicher sein kann, dass ihn auch Faust nicht finden wird. Für Mephisto ist Faust nur ein Spielzeug das ihn erheitert und ergötzen wird, wie er daran scheitert im Wissen und der scheinbar unbegrenzten Macht den Frieden und die Ruhe seiner Seele zu finden, was Mephisto auch nicht gelungen ist, sonst würde er solche Äußerungen nicht preisgeben. Leute vom Wesen Mephistos überschätzen sich grundsätzlich und glauben nicht verlieren zu können. Doch das ist der Irrtum, denn die Zügellosigkeit und Unersättlichkeit führt durch die in ihr sich stets ausbreitende Sucht Erleichterung finden zu wollen am Ende doch zur kompletten Selbstzerstörung des Charakters. Jemand mit dem Charakter eines Mephisto wird zwar eine Wette eingehen aber bei einer drohenden Niederlage mit Sicherheit alles versuchen um seine Wett-Schulden nicht bezahlen zu müssen.

"Mephisto ist sich zuvor ja sicher, dass er Faust befriedigen und seinen "Durst" stillen kann, sonst hätte er ja nicht die Wette mit ihm abgeschlossen."

Das ist er sich weiterhin, also sicher, dass er es kann. Aber er möchte es nun nicht mehr, habe ich den Eindruck, oder er labt sich an dem Gedanken, dass Faust es doch nicht kriegt und dass er deshalb leiden muss:

„Er soll mir zappeln, starren, kleben,/ Und seiner Unersättlichkeit/ Soll Speis und Trank vor gier’gen Lippen schweben;/ Er wird Erquickung sich umsonst erflehn […]“ . (V. 1862-1867)

Das von Faust ersehnte Gut soll verlockend vor ihm "schweben", wie die Möhre vor dem Esel, der ihr nachläuft, sie aber doch nicht erreichen kann.

Faust soll frustriert auf das ersehnte Gut starren, er soll zappeln beim Versuch, das Gut zu erreichen, zu erhaschen, wie der Esel die Möhre, die vor ihm schwebt.

(Nur, was hier "kleben" versinnbildlichen soll, ist mir unklar.)

Faust soll flehen, das Gut zu bekommen, die Erfrischung, die Erquickung, aber er wird umsonst flehen, = bitten, = betteln, es zu bekommen!

Das Leiden von Faust ist das Ziel von Mephisto in dieser Passage - egal, ob M. dem F. seinen Wunsch erfüllen könnte oder nicht.

Gruß aus Berlin, Gerd

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Journalist, Buchautor, Dichter, wissenschaftlicher Lektor
sergius  20.02.2022, 08:54

Gratulation zu dieser ausgezeichneten Antwort !

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