Warum läßt Gott Krankheit zu?
Die junge Top-Managerin war tief depressiv. Sie hatte einen tollen Job, beruflichen Erfolg und Beziehungen zu Männern, wie frau sie heute so hat.
Aber sie hatte sich in letzter Zeit von aller Welt zurückgezogen. Allein in ihrer Wohnung, grübelte sie düster vor sich hin. Ihr Arzt war inzwischen auch ratlos. Er hatte alles versucht. Nichts hatte geholfen. Eine entfernte Freundin hatte von ihrer schlimmen Lage gehört und entschloss sich, sie zu besuchen. Die Situation war wirklich dramatisch. In einem solchen Job kann man sich Ausfälle nicht leisten. Und wenn der Job weg wäre, dann würde sie überhaupt nicht mehr weiterwissen.
Doch an Arbeiten war ernsthaft gar nicht zu denken. Sie konnte einfach nicht mehr. Sie war am Ende. Die Freundin hatte keine Ahnung von Depressionen. Sinnvolle Gespräche konnte man mit der Managerin in diesem Zustand auch nicht führen. Sogar gemeinsam beten klappte nicht. Zumal die Managerin schon seit langem den Kontakt mit dem lieben Gott aus Zeitgründen und aus mangelndem Interesse eingestellt hatte. Was also war zu tun?
Da entschloss sich die Freundin zu etwas Ungewöhnlichem. Sie schlug der Managerin eine Wallfahrt vor. Das war eigentlich psychiatrisch nicht besonders sinnvoll. Depressive Menschen geht es gewöhnlich bei noch so erlebnisreichen oder sogar erholsamen Reisen nicht selten noch schlechter, da sie erleben müssen, wie alle anderen gut drauf sind, nur sie selbst kommen durch alle äußeren Ablenkungen aus dem inneren Tief nicht heraus.
Doch die Managerin hatte ohnehin nichts mehr zu verlieren. Alle anderen Versuche waren ja fehlgeschlagen und die Lage war verzweifelt. So fuhren sie los. Es war eine ziemlich weite, beschwerliche Reise, denn es ging ins Ausland. Doch irgendwie kamen sie an. Und dort begann die Managerin plötzlich zu beten. Zu beten, wie sie noch nie gebetet hatte, denn sie erlebte auf einmal ganz intensiv, dass diese Gebete nicht ins Nichts gingen, sondern ankamen, bei Gott.
Die Managerin war schlagartig aus ihrer monatelangen Depression heraus. Und noch mehr, sie hatte sich bekehrt, wie man so sagt. Als sie wieder zu Hause ankamen, nahm sie Religionsunterricht bei einem alten weisen Priester, ließ sich das Sakrament der Firmung spenden, das sie mangels Interesse als Jugendliche versäumt hatte. Sie fuhr noch einmal zu jenem Wallfahrtsort, gemeinsam mit dem jungen Mann, mit dem sie damals befreundet war. Doch als er ihr einen Heiratsantrag machte, da hörte sie sich selbst sagen. "Ich bin schon vergeben."
Der junge Mann muss ziemlich perplex gewesen sein. Doch sie meinte damit, sie sei an jesus vergeben. Und eines Tages war ihr, als sagte Jesus zu ihr:"Willst du mir dienen in Einfachheit und Armut?"
Da entschloss sie sich, in einen strengen katholischen Orden einzutreten, in den Karmel. Das hielt nun sogar die Freundin für übertrieben und riet ihr dringend ab. Aus einem Moment heraus das ganze Leben über den Haufen zu werfen, das schien unverantwortlich.
Als Psychiater kann man zu diesem Falle eine Menge sagen. Man könnte vermuten, dass die Depression ungewöhnlicherweise zufällig bei jener Wallfahrt spontan abgeklungen ist. Man könnte den Ordenseintritt für eine verhängnisvolle Überreaktion halten aus übertriebener Dankbarkeit für das Abklingen der schrecklichen Depression. Man würde dringend warnen, da Depressionen diesen Ausmaßes gewöhnlich phasenhaft verlaufen, also wiederkommen - und dann wahrscheinlich nicht einfach durch eine Wallfahrt weggehen würden. Außerdem wird man als Psychiater hellhörig, wenn von einer inneren Eingebung die Rede ist, die nicht von dieser Welt sein soll. Schließlich ist der Kontrast zwischen einem Leben als Managerin und dem Leben in einem Kloster mit strenger Klausur und stundenlangen Gebeten für einen zu Depressionen neigenden Menschen unmöglich zu bewältigen. Je strenger der Orden, desto stabiler müssen die Mitglieder sein. Doch die junge Managerin ließ sich nicht beirren, kündigte ihren Top-Job zum Bedauern ihres Unternehmens und trat in den Karmel ein.
Das Ganze ist nun 19 Jahre her. Die junge Frau hat nie mehr eine Depression bekommen. Sie ist einer der glücklichsten menschen, die ich kenne, zum Bersten gesund und voller Vitalität. Fast jedes Jahr besuchen wir sie und psychiatrisch ist sie nach wie vor völlig unergiebig. So etwas wie Stimmen hat sie auch nicht mehr gehört und so muss die damalige Eingebung irgendetwas anderes gewesen sein als ein Krankheitssymptom.
"GOTT" Manfred Lütz (Arzt, Psychotherapeut,Theologe)