Viele Gründe dafür, warum sich früher mehr Menschen gebunden haben, sind in der Nachkriegszeit sukzessive weggefallen, z. B.:
- konservatives soziales Weltbild (lebenslange monogame Heterobeziehung), verbunden mit klarer Rollenverteilung
- wirtschaftliche Abhängigkeit der Frauen von Männern (den früheren Alleinverdienern), Besitzdenken
- Unfähigkeit/Unwille der Männer, Haushaltstätigkeiten selbst zu verrichten, so dass dies größtenteils selbstverständlich die Aufgabe der Frau war
- kaum mehr (wirkliche!) wirtschaftliche Not, die Genügsamkeit, Sparsamkeit, gemeinsamen Hausstand usw. erzwingt
Es haben sich also viele Dinge verändert:
- Frauen sind berufstätig, verdienen ihr eigenes Geld -> wirtschaftliche Unabhängigkeit -> keine Veranlassung sich binden zu müssen
- Bedürfnis nach Freiheit, Ungebundenheit, Unabhängigkeit, sexueller Abwechslung, Individualität bezüglich Lifestyle, Wohnen, Reisen usw.
- Zunahme von Egoismus und Egozentrik - persönliche Wünsche, Selbstverwirklichung usw. stehen über dem Bedürfnis, wegen einer Beziehung Kompromisse einzugehen, "Kröten zu schlucken", sich mit dem, was man hat/haben könnte, zufrieden zu geben
- Bereitschaft, wegen Partner oder gar Familie/Kindern auf etwas zu verzichten (Lifestyle, Urlaub usw.), ist gesunken
- Identitätsverluste und Irritationen durch Verunglimpfung eher konservativer (aber deswegen nicht schlechter) Lebensmodelle durch gewisses politisches Klientel und die Medien (Narrative wie "Herdprämie", zeitgeistiger Genderwahn usw.)
- Stichwort Tinder - Ja, die Anonymität des Internets macht Begegnungen austauschbarer, beliebiger, oberflächlicher - das Gegenüber ist nix besonderes mehr, weil die nächste wegwischbare Person nur einen Klick entfernt ist
- Anderes fungiert als Ersatz für einen Partner, so dass dessen Platz an der Seite mehr als nur symbolisch schon besetzt ist, z. B. Auto- oder Fußballfetisch bei Männern oder - schaut Euch die Bilder auf Partnerbörsen an - schon das Profilbild zeigt den Hund oder das Pferd als den sozialen Lebensmittelpunkt, den Ersatzpartner bei Frauen. Damit wird unbewusst in Wahrheit kommuniziert: Der Platz an meiner Seite ist eigentlich schon klar besetzt, ich brauche jemanden, den ICH an der Leine führen kann aber niemanden auf Augenhöhe.
Vorstellbar, dass sich das alles wieder drehen kann, wenn die Leute aus ihren Lifestyle- und Wohlstandsblasen aufgeschreckt werden - z. B. durch Not, Krieg - und dann schon alleine aus rein pragmatischen, existentiellen Gründen wieder zu mehr Kompromissen, Anpassung und Genügsamkeit gezwungen sind.
Aber: Es ist es auch absolut denkbar und legitim, dass die Entwicklungen zu unterschiedlichen Lebensmodellen führen, die sich heute schon abzeichnen - situative Bindungen, zeitweilige Beziehungen, Polyamorie usw. - und das konservative Modell nur noch eines von vielen ist. Die Welt und die Menschheit sind im stetigen Wandel.
Insofern sollte man sich im Leidensfall auch die Frage stellen, ob man nicht nur einem illusorischen Partnerbild, sondern einer idealisierten Bindungsform oder Erwartungshaltungen nachjagt, die vielleicht gar nicht dem eigenen Selbst entsprechen.
Ansonsten hat es generell immer mit einem selbst zu tun, was/wen man anzieht und was nicht und es können z. B. Distanz-Nähe-Konflikte bestehen, die bindungsaffine Begegnungen konterkarieren.