Welche ethischen Fragen stellen sich bei der Darstellung von Traumata und Leid in den Medien?

2 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Da ich Einblick in dieses Feld hatte, möchte ich einige Aspekte berichten, wie (aus meiner Sicht) ethische Darstellung von Leid aussehen sollte - und es nur selten tut:

  • Ganz allgemein sollte sich Medienschaffende bewusst sein, dass die Berichterstattung in das Denken der Menschen eindringt und dort etwas bewirkt; die Darstellung von Krieg, Zerstörung, humanitären Katastrophen und Gewalttaten geht nicht spurlos an Menschen vorbei
  • Was man auch nicht vergessen darf: Nachrichten sind frei zugänglich und können auch von Minderjährigen eingesehen werden; was wollen wir unseren Heranwachsenden für eine Welt zeigen und was machen wir, wenn sie durch entsprechendes Bildmaterial traumatisiert werden?
  • Ein von mir geschätztes Medium hat daher einen aus meiner Sicht ethisch begrüssenswerten Weg gewählt: Bilder wurden erst freigeschaltet, nachdem man den Hinweis mit OK bestätigt hatte, dass es sich dabei um verstörende Bilder aus Krisengebieten etc. handle; auch wenn das nur ein Tropfen auf den heissen Stein ist, ist der Denkansatz meiner Ansicht nach der Richtige
  • Ein anderes Problem sind die Persönlichkeitsrechte von Einzelpersonen; in diesem Bereich ist besonders das Veröffentlichen von Porträts von Straftätern ein Problem; auch wenn ein Mensch eine Straftat begangen hat, hat er Anrecht auf den Schutz seiner Privatsphäre; das Veröffentlichen von Portäts kann zu Cybermobbing und Lynchjustiz führen, die in einem Rechtsstaat nicht geduldet werden sollte
  • Ausserdem sollte jeder Straftäter die Möglichkeit haben, nach verbüsster Strafe und entsprechend erfolgter Rehabilitation wieder Fuss zu fassen; ist sein Bild aus den Medien bekannt, ist das so gut wie unmöglich
  • Ein Beispiel für diesen Umstand ist Jeremy Meek, der genau das umgekehrte erlebte: Gerade durch sein Mugshot, der um die Welt ging, gelang ihm der Sprung aus dem Mafiaumfeld in eine internationale Modellkarriere https://www.t-online.de/unterhaltung/stars/id_100377978/nach-knast-das-macht-der-schoenste-haeftling-der-welt-heute.html); auch wenn er von der Veröffentlichung seines eigenen Bildes profitierte, beweist das nur, wie mächtig ein solches Bild sein kann, denn die meisten dürften dadurch nicht berühmt und reich, sondern berüchtigt und ausgegrenzt werden - so dass ihnen am Ende nichts anderes bleibt als wieder in den Untergrund abzutauchen und ihr kriminelles Leben fortzuführen
  • Ein weiterer ethischer Aspekt wurde von einem Hilfswerk für das ich kurzzeitig arbeitete aufgeworfen: Es wies mit Recht darauf hin, wie entwürdigend es für Menschen in Notsituationen ist, auch noch fotografiert zu werden und ihr Bild in alle Welt verteilt zu wissen; wer diesem Aspekt nichts abgewinnen kann, sollte mal überlegen, welches Bild wir von Menschen in Afghanistan, Syrien oder dem Jemen haben - wohl kaum ein ausgewogenes!
  • Um diesem Aspekt Rechnung zu tragen, hat das von mir erwähnte Hilfswerk bewusst und aktiv darauf verzichtet, von ihnen unterstützte Menschen in Not und Elend darzustellen; stattdessen zeigten sie sie in den neuen Lebensumständen, welche ihnen wieder eine Perspektive boten und ihr Anrecht auf ein menschenwürdiges Leben unterstrich
  • Anknüpfend an diesem Aspekt möchte ich auch darauf hinweisen, wie abgestumpft man werden kann, wenn man ständig Bilder sehen muss von Leid, Elend und Zerstörung, wobei die eigenen, insbesondere direkten Einflussmöglichkeiten praktisch gegen Null tendieren; wir werden dadurch nur resigniert oder fangen an, das Leid einfach beiseite zu schieben; es wäre also auch allgemein fraglich, ob man neben dem Leid nicht auch die Hoffnung darstellen möchte, die in JEDEM Krisengebiet auf der Welt existiert - und so auch die Motivation wieder wecken würde, helfen zu wollen
Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Ich denke, da können wir in Deutschland stolz sein, wie die seriösen Medien das Leid auf der Welt auf hohem ethischen Niveau zu uns rüberbringen. Da wäre auch Emmanuel Kant zufrieden. Große Hochachtung habe ich, wie unsere Medien es geschafft haben, entgegen des Geschwafels der Bundesregierung von der deutschen Israel-Staatsräson, breites und tiefes Mitgefühl für die Menschen in Gazu zu wecken.

Zu kritisieren ist weiterhin das Verhalten des vielzitierten "Mannnes auf der Straße" angesichts des täglichen Leids hier bei uns. Aber das beinhaltet deine Frage ja nicht.