Was sind die Merkmale einer Wundergeschichte?

4 Antworten

Das hängt davon ab, wie man das Wort "Wunder" definiert.

Ein Wunder kann z. B. eine sehr unwahrscheinliche, aber mögliche Geschichte sein. Wenn ich morgen im Lotto gewinne, so wäre das in dieser Hinsicht ein Wunder: sehr, sehr unwahrscheinlich, aber möglich.

Wir reden auch vom "Wunder der Technik", Damit sind Leistungen gemeint, die außergewöhnlich sind - wie etwa der Large Hadron Collider, die größte und komplexeste Maschine, die je von Menschen gebaut wurde. Aber der Bau dieser Maschine steht in jedem Fall im völligen Einklang mit den Naturgesetzen - die Maschine existiert, also ist es möglich, sie zu bauen.

In den Religionen fast man manchmal Wundergeschichten auch als zwar mögliche, aber unwahrscheinliche Ereignisse auf. In aller Regel ist aber etwas anderes gemeint, nämlich Ereignisse, die im Widerspruch zu den Naturgesetzen stehen.

Jetzt muss man wieder wissen, was ein Naturgesetz ist. Anders als der Name suggeriert, handelt es sich nicht um Gesetze, die der Natur vorschreiben, wie sie sich zu verhalten hat. Sondern vielmehr handelt es sich um Modelle, die logisch aus Beobachtungen abgeleitet werden, und die beschreiben, wie sich die Natur laut den Beobachtungen verhält. Die Naturgesetze sind folglich abstrakte Beschreibungen der Natur, die unabhängig von der Position eines Beobachters in Zeit und Raum gelten. Durch diese Unabhängigkeit sind alle Beobachtungen reproduzierbar. D. h., jemand anders kann zu anderen Zeiten und an anderen Orten dieselbe Beobachtung machen, unter gleichen Bedingungen.

Generell kann man definieren:

Naturgesetz = mathematische Beschreibung von Beobachtungen

Analogie: Man nehme ein Bild wie die Mona Lisa und schreibt auf, was man an diesem Bild beobachtet. Die Analogie hinkt, weil meine Beschreibung nicht mathematisch-abstrakt ist und nicht komplett unabhängig von meiner Beobachtung in Zeit und Raum. Das Bild selbst entspricht der Natur.

Dann wäre, in dieser Analogie, die folgende Beschreibung das Äquivalent zu einem Naturgesetz: "Bei der Mona Lisa handelt es sich um ein Gemälde von Leonardo da Vinci, das eine lächelnde Frau zeigt" - plus ein paar tausend Worte mehr an Beschreibung.

Wenn ich jetzt sage, eine Wundergeschichte widerspricht (logisch) meiner Beschreibung, dann ist entweder die in der Wundergeschichte gemachte Beobachtung falsch, oder meine Beschreibung - oder beides. Hinzu kommt die Einschränkung, dass sie nicht "den Naturgesetzen" widersprechen kann, sondern nur den heute bekannten Naturgesetzen. "Die Naturgesetze" kennen wir nämlich nicht, sondern nur einen Teil, da wir nicht die gesamte Natur zu allen Zeiten beobachtet haben.

Die Behauptung, eine Geschichte widerspräche "den Naturgesetzen", kann also niemals gemacht werden. Auch die Wissenschaft entdeckt fast jedes Jahr etwas, was den bisher bekannten Naturgesetzen widerspricht - dann muss man die Naturgesetze, also die Beschreibung, korrigieren. Genau das wird auch gemacht, meistens nach genaueren und weiteren Beobachtungen. Aktuell hat man beobachtet, dass alle Sterne in einer Galaxie das Zentrum mit gleicher Geschwindigkeit umkreisen. Das widerspricht allen kosmologischen Modellen, also den heute bekannten Naturgesetzen. Noch weiß niemand, wo der Fehler liegt, und was korrigiert werden muss. Naturgesetze sind im Fluss, sie ändern sich - so wie jemand die Beschreibung der Mona Lisa korrigieren müsste, wenn er bemerkt, dass ihm etwas entgangen ist, oder dass seine Beschreibung dem Bild widerspricht.

Wenn man behauptet, eine Geschichte widerspräche "den Naturgesetzen", so setzt man voraus, alle Naturgesetze zu 100% korrekt zu kennen. Kein Wissenschaftler könnte dem zustimmen. Alle menschlichen Beobachtungen betreffen eine kleine Teilmenge aller möglichen Beobachtungen, und aus einer Teilmenge kann man nur sehr begrenzt auf die ganze Menge schließen.

Folglich, in religiösem Sinne, sagt man letztlich:

Eine Wundergeschichte beschreibt Ereignisse, die nach heutigem Kenntnisstand nicht einfach nur sehr unwahrscheinlich, sondern die unmöglich sind. Oder kurz, man sagt, dass etwas passiert ist, was nicht geschehen kann - und das ist in sich logisch widersprüchlich. Ist es tatsächlich geschehen, muss es auch möglich sein, wenn es unmöglich ist, kann es nicht geschehen sein.

Es gibt kein logisch gültiges Kriterium, mit dem man einen logischen Widerspruch beweisen kann. Folglich kann es für keine Wundergeschichte im religiösen Sinne ein logisch gültiges Kriterium geben, mit der man die Wundergeschichte von anderen Geschichten unterscheiden kann.

Man kann sich das vor Augen führen, wenn man eine gute Zaubershow besucht. Was man beobachtet, widerspricht bekannten Naturgesetzen. Man kann nun schließen, dass man nicht alles beobachtet hat, dass man die Naturgesetze nicht ausreichend kennt, oder dass man aus seinen Beobachtungen falsche Schlüsse gezogen hat. Alles davon wird von dem Magier auf der Bühne ausgenutzt - er lenkt unsere Beobachtung, so dass wir nicht alles sehen, er benutzt wenig bekannte Naturgesetze, er verleitet uns zu logischen Fehlschlüssen. Ja, er kann sogar unsere Erinnerung manipulieren, um unsere Beobachtungen im Nachhinein zu verfälschen, so dass wir meinen, etwas gesehen zu haben, was nicht passiert ist. Kurz, er täuscht uns.

Man könnte auch zu dem Schluss gelangen, dass der Künstler uns ein "reales" Wunder gezeigt hat. Das kann nur der Fall sein, wenn wir voraussetzen können, dass unsere Kenntnisse und Beobachtungen zu 100% korrekt sind, wie auch alle unsere Schlussfolgerungen. Nur: Das kann kein Mensch von sich behaupten.

Um von einem religiösen Wunder zu reden, muss man voraussetzen, dass die Geschichte zu 100% korrekt beobachtet wurde und dem Schreiber sämtliche Details bekannt sind, sowie alle Naturgesetze, und dass es unmöglich ist, dass er sich getäuscht haben könnte. Außerdem müsste man wissen, dass sich der Schreiber das nicht bloß ausgedacht hat, denn, wie wir wissen, eine Beschreibung eines Geschehens kann den tatsächlichen Ereignissen widersprechen.

Wenn man - wie im Monotheismus - annimmt, dass Gott auch das logisch unmögliche tun kann, dann wären Wunder tatsächlich möglich. Allerdings, konfrontiert man Monotheisten mit dem Theodizeeproblem, so wird ihre Antwort immer darauf hinauslaufen, dass Gott nichts tun kann, was logisch unmöglich ist, z. B. eine Welt mit freiem Willen und ohne Leid zu erschaffen. Monotheisten glauben also selbst meistens nicht, dass Gott logisch unmögliche Dinge tun kann - und dann sind die Wundergeschichten unmöglich, was bedeutet, es kann nicht so wie beschrieben geschehen sein.

Zudem muss man sich, wie David Hume, fragen, was ist wahrscheinlicher: dass sich Menschen täuschen, oder Geschichten erfinden, oder dass etwas geschieht, was im Widerspruch zu bekannten Naturgesetzen steht? Wir wissen, dass alles möglich ist: Menschen täuschen sich (siehe Zaubershow), Menschen erfinden Geschichten (siehe Buchmarkt), Dinge stehen im Widerspruch zu bekannten Naturgesetzen (siehe Bewegung der Sterne). Die Frage ist aber, was wahrscheinlicher ist, wenn wir die Möglichkeit zu allem voraussetzen. Die Antwort muss lauten, dass Täuschungen und Erfindungen immer eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, und dass dies daher glaubhafter ist.

Wir haben Kriterien dafür, dass etwas unwahrscheinlich, aber möglich ist. Per Definition müssen wir einräumen, dass eine solche Art der Wundergeschichte tatsächlich geschehen sein kann.

Wenn etwas tatsächlich geschehen ist, muss es auch möglich sein. Das gilt auch für von Gott ausgelöste Ereignisse: Sie können nur dann geschehen, wenn sie auch möglich sind, wir aber eben nicht wissen, wieso - Gott vermag mehr als wir Menschen (technologisch überlegene Aliens aber auch, ebenso wie zukünftige Menschen mit verbesserter Technologie). Wir können aber keine Kriterien nennen, vor allem nicht aufgrund mündlicher Überlieferungen, um eine erfundene Geschichte von einer wahren Geschichte zu unterscheiden, außer logischen und naturgesetzlichen. Beruht ein Kriterium weder auf Logik noch auf bekannten Naturgesetzen, scheidet es als Kriterium aus.

Kur, die Antwort auf die Frage lautet: Es ist unmöglich, eine Wundergeschichte von einer erfundenen Geschichte zu unterscheiden. Wir nennen gleich, was wir nicht unterscheiden können. Wer also eine Wundergeschichte glaubt, beweist nichts außer seiner Leichtgläubigkeit.

Ich will aber vorsorglich darauf hinweisen, dass diese Ausarbeitung im Religionsunterricht unerwünscht sein dürfte. Für den Monotheismus gilt, dass ein Wunder glaubhaft ist, wenn Gott daran beteiligt ist. Dass Kriterium also ist: Wenn Gott daran beteiligt ist, dann ist es ein Wunder, wenn nicht, dann ist es keins. Natürlich setzt man voraus, dass man irgendwie weiß, ob Gott daran beteiligt ist oder nicht. Andere schließen auch noch den Teufel oder Dämonen als mögliche Quelle von "Wundern" ein. Im engeren Sinne sieht man aber als Wunder immer nur das an, was einen (für Menschen) positiven Ausgang hatte, daher kann man diese ausschließen.

Mit diesem simplen Kriterium lassen sich die Fragen in gewünschter, wenn auch sachlich-logischer Weise so falsch beantworten, dass der Religionslehrer sie für richtig erachten wird (ja, ich hatte selber früher Religionsunterricht, und immer eine 1 - und: ich bin selbst erfahrener Zauberkünstler).

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Wundergeschichten ignorieren Naturgesetze und/oder bauen darauf, daß sich Menschen gerne durch Taschenspielertricks täuschen lassen. Eine wichtige Voraussetzung für den Fortbestand von Wundergeschichten ist, daß Menschen nicht nur aktuell unwissend sind, sondern mittels passender Glaubensindoktrination auch weiterhin unwissend und ignorant bleiben und im Idealfall auch logikfeindlich.

Nadelwald75  29.04.2019, 17:15

Das sagt aber nichts über die Kennzeichen einer Wundergeschichte aus, sondern ist nur eine Wertung - geht damit am Thema vorbei. Da wüde ich doch den Link von andreasolar empfehlen.

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Dxmklvw  29.04.2019, 17:22
@Nadelwald75

Ich setze voraus, daß der Fragesteller weiß, was Naturgesetze und was Taschenspielertricks sind und was Indoktrination zum Aberglauben ist.

Daraus ergibt sich automatisch, daß dann, wenn eine Geschichte Naturgesetze ignoriert oder ein Wunder suggeriert, das mit einem Taschenspielertrick erklärbar wird, dies typische Merkmale sind.

Kommt noch Indoktrination zum Aberglauben oder totales Unverständnis für natürliche Zusammenhänge hinzu, dann sind allerdings die potentiellen Ansprechpartner für logische Überlegungen nicht erreichbar, und andere, die erreichbar wären, haben mit solchen Geschichten nichts im Sinn.

Naturgesetze sind keine Wertungen sondern Fakten.

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Nadelwald75  29.04.2019, 17:33
@Dxmklvw

Das bezweifle ich ja gar nicht.

Aber dem Fragesteller ging es hier offensichtlich nicht darum, was Wunder sind, sondern was die Merkmale der literarischen Darstellung von Wundern = Wundergeschichten sind, und zwar speziell im Fach Religion.

Das wäre dann etwa die Frage: Unabhängig davon, ob die Wunder der AT und NT historisch oder nicht historisch sind: In welcher Weise werden sie dargestellt und welchen Stellenwert haben sie innerhalb des Textes?

Und da ist eben der Link von andreasolar hilfreicher.

Was die Wertung angeht: Das bezog sich nicht auf die Wunder, sondern deine Aussagen über die Rezipienten sind Wertungen, die nicht zum Thema gehören.

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Dxmklvw  29.04.2019, 17:35
@Nadelwald75

Die Merkmale der literarischen Dastellung sind die, daß der Text aus lauter Worten besteht. Doch ich denke, daß dies dem Fragesteller nicht weiterhilft. Litererarische Darstellungen unterliegen eben der Beliebigkeit, und da muß sich schon jeder selbst die Mühe machen, die Inhalte auf Wahrheit und Wahrheitswahrscheinlichkeit zu prüfen.

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Nadelwald75  29.04.2019, 17:38
@Dxmklvw

Dann übertragen wir das mal auf einen anderen Bereich:

Schülerfrage: Was sind die Merkmale der literarischen Darstellung eines Märchens.

Dann wäre also deine Antwort: Die Merkmale der literarischen Dastellung sind die, daß der Text aus lauter Worten besteht.

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Dxmklvw  29.04.2019, 17:39
@Nadelwald75

Das ist deine Idee. Ich sehe das nicht so und habe es begründet. Doch genau hier zeigt sich eine Besonderheit, die durch Text bewirkt wird. Der Leser selbst entscheidet, was er hineininterpretieren will oder nicht oder was er überlesen will.

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Eine Wundergeschichte erkennt man daran, dass man sich über das Erzählte wundert, weil man es sich nicht logisch und den Naturgesetzen entsprechend erklären kann.

Man kann solche Geschichten auch als Legenden bezeichen. Nicht jedoch als Wahrheit, außer man gehört einer Religion an, dann darf man das. 😀

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Ich bin Gott los, gottseidank.