Was sagten Sigmund FReud,Arthur Schopenhauer und Friedrich Nitzsche zum Gewissen?

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Nützlich ist das Lesen eines ausführlichen Artikels in einem Philosophielexikon. Dort stehen zum Teil auch Textstellen. Dann ist schon klar, in welchen Werken an welchen Stellen nachgeschaut werden kann.

Hans Reiner, Gewissen. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 3: G – H. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 1974, Spalte 574 – 592 (5. Kant bis Schopenhauer Spalte 586 – 587; 6. Von Feuerbach bis zur Gegenwart Spalte 587 – 590)

Spalte 587: Schopenhauer unterscheidet vom Gewissen als „moralische Selbstbestimmung“ das „unechte, erkünstelte, auf bloßem Aberglauben gegründete Gewissen“.

Scharf lehnt Schopenhauer besonders Kants Vorstellung vom Gewissen als Gerichtshof und die daraus abgeleitete „Moraltheologie“ ab.

Thema des Gewissens seien zunächst unsere Handlungen, in denen wir dem Mitleid kein Gehör gegeben haben oder seinem Ruf gefolgt sind.

Sein Ursprung sei metaphysisch, es sage uns, daß unser wahres Selbst nicht bloß in der eigenen Person da ist, sondern in allem, was lebt.

Spalte 588: Als Krankheitserscheinung deutet Nietzsches phantasievolle Entstehungshypothese das schlechte und damit das ganze Gewissen. Es beruhe auf einer in der Frühzeit der Menschheit erfolgten Zurückwendung ihres Grausamkeitsinstinkts auf das eigene Ich, verbunden mit einer gegen den Urahn (als Gottheit) empfundenen Schuld.

Spalte 589 – 590: Freud hat eine – mit Nietzsches Hypothese verwandte – psychoanalytisch-pathologische Theorie entwickelt.

Aus der in Wünschen vollzogenen Identifizierung mit dem zugleich gefürchteten und als Vorbild geliebten Vater (Autoritätsperson) entsteht ein ins Unbewußte abgespaltenes Über-Ich (Ich-Ideal), welches das bewußte Ich „überwacht“ und durch seine Strenge in diesem die Gewissensangst hervorruft. Damit wird eine spezielle, teilweise ins Unbewußte verlagerte Form des Gewissens der Folgsamkeit zum einzigen Gewissen erklärt.

Arthur Schopenhauer

Viele Textstellen (die Hauptstellen stehen in den Werken „Die Welt als Wille und Vorstellung“ und „Die beiden Grundprobleme der Ethik“) enthält:

Gustav Friedrich Wagner, Schopenhauer-Register. Neu herausgegeben von Arthur Hübscher. 2., unveränderte Auflage. Stuttgart-Bad Canstatt : fromman-holzboog, 1982, S. 142 – 143

Beispiele (Rechtschreibung leicht modernisiert):

Tatsache ist, daß der Mensch beim Nachdenken über seine Handlungen bisweilen eine Unzufriedenheit mit sich selbst verspürt, welche das Eigene hat, nicht den Erfolg, sondern die Handlungen selbst zu betreffen und die nicht auf egoitischen Grtünden beruht. Er betrübt sich über Leiden, die er nicht gelitten, sondern verursacht hat.

Je nach Länge der Dauer heißt diese Pein Gewissensbiß oder Gewissensangst.

Handlungen von rein moralischen Wertungen lassen eine innere Zufriedenheit zurück, welche den Beifall des Gewissens zeigt (vgl. Selbstzufriedenheit).

Mancher würde sich wundern, wenn er sähe, woraus sein Gewissen, das ihm ganz stattlich vorkommt, eigentlich zusammengesetzt ist: etwa aus 1/5 Menschenfurcht, 1/5 Deisidämonie, 1/5 Vorurteil, 1/5 Eitelkeit und 1/5 Gewohnheit

Die Selbsterkenntnis des eigenen Willens ist es, welche dem Gewissen den Stachel gibt. Die Vorwürfe des Gewissens betreffen zwar zunächt das, was wir getan haben, eigentlich und im Grunde aber das, was wir sind.

Die Gewissensangst ist keine Reue, sondern Schmerz über die Erkenntnis seiner selbst.

Sie ist die Erkenntnis der Stärke, mit welcher im bösen Individuo der Wille zum Leben sich bejaht.

Friedrich Nietzsche

In „Ecce Homo“ steht eine kurze Zusammenfassung, zu „Zur Genealogie der Moral : eine Streitschrift“ : „Die zweite Abhandlung giebt die Psychologie des Gewissens: dasselbe ist nicht, wie wohl geglaubt wird, »die Stimme Gottes im Menschen« – es ist der Instinkt der Grausamkeit, der sich rückwärts wendet, nachdem er nicht mehr nach aussen hin sich entladen kann.“

Marco Brusetti, Vom Zarathustra bis zu Ecce Homo. In: Nietzsche-Handbuch : Leben - Werk - Wirkung. Herausgegeben von Henning Ottmann. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2000, S. 126:

Unterdrückte, nach innen gewendete Instinkte der Freiheit, vor allem die Grausamkeit, bilden eine erste, gleichsam vormoralische Form des Gewissens, die vom späteren moralischen schlechten Gewissen noch weit entfernt ist. Dieses bildet sich erst in einem langwierigen Prozeß heraus, zu dem die religiöse Interpretation und die „Moralisierung“ der ursprünglich anders gemeinten Begriffe „Schuld und Pflicht“ wesentlich gehöre.

Henry Kerger, Gewissen. In: Nietzsche-Handbuch : Leben - Werk - Wirkung. Herausgegeben von Henning Ottmann. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2000, S. 244 – 245

Das Gewissen sieht Nietzsche als Ergebnis der Entwicklung des Menschen, in sich ein Tier heranzuzüchten, das versprechen darf, um dem vergeßlichen Tier ein „Gedächtnis zu malen“, mit dessen Hilfe die Vergeßlichkeit für bestimmte sittliche Anforderungen ausgehängt wird. Zur Erlangung dieses „eigentlichen Gedächtnisses des Willens“ muß der „Mensch selbst vorerst berechenbar, regelmäßig, nothwendig geworden sein, auch sich selbst für seine eigene Vorstellung“. Am Ende der langen, ungeheuren „Arbeit des Menschen an sich selber, in derem Verlauf der Mensch „mit Hilfe der Sittlichkeit der Sitte und des socialen Zwangsjacke wirklich berechenbar gemacht [wurde]“, steht der „Freigewordene, der wirklich versprechen darf, dieser Herr des freien Willens“, der endlich „mit dieser Macht über sich und das Geschick“ sowie das Wissen darum das „Privilegium der Verantwortlichkeit“ errungen hat, welches sich „zum Instinkt“ verändert und was er „sein Gewissen“ nennt.

Es kommt zu einem Prozeß der Verinnerlichung. In der Umkehrung der nach außen gewendeten Triebe und Begierde gegen den Menschen liegt der Ursprung des schlechten Gewissens: „Der Mensch, der sich, […], eingezwängt in eine drückende Enge und Regelmässigkeit der Sitte, ungeduldig selbst zerriss, verfolgte, annagte, aufstörte, misshandelte, dies an den Gitterstangen seines Käfigs sich wund stossende Thier, […]. der aus sich selbst ein Abenteuer, eine Folterstätte, eine unsichere und gefährliche Wildniss schaffen musste […] wurde der Erfinder des „schlechten Gewissens“. Mit ihm aber war die grösste und unheimlichste Erkrankung eingeleitet, von welcher die Menschheit bis heute nicht genesen ist, das Leiden des Menschen am Menschen, an sich: als die Folge einer gewaltsamen Abtrennung von der thierischen Vergangenheit […].“

Sigmund Freud

Ein wichtiges Werk zum Thema ist „Das Unbehagen in der Kultur“. Nach Freud ist das Gewissen eine Funktion des Über-Ichs. In Anerziehung und Verinnerlichung von Autorität (soziale Abhängigkeit) entsteht ein Schuldgefühl. Das Gewissen wirkt auf das von ihm beobachtete Ich ein und richtet sich strafend-verurteilend gegen das Es, mit seinen unbewußten Trieben und den sich daraus ergebenden Wünschen.

Nietzsche81  27.09.2010, 07:51

Eine sehr schöne Erläuterung, vor allem zu Nietzsche...

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elbside  29.02.2012, 10:57
@Nietzsche81

Ich finde deine Antwort zu den Auffasungen sehr gut ! kannst du mir vielleicht eine internet seite geben auf der ich die auffassung von schopenhauer finde ? , da ich leider keine informationen aus einem blog entnehmen darf...

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Freud würde vom Uber-Ich sprechen. Dort sind die Werte und Normen der Gesellschaft, also eigentlich das Gewissen verankert. Da das ES (Triebe) oft Dinge von uns verlangt, die dem Über-Ich nicht entsprechen, kommen wir in Konflikte, die zu Neurosen führen können. Freud lehnt aber das Gewissen nicht ab. Es ermöglicht uns erst, mit anderen Menschen in friedlichen Kontakt zu treten.

Zu Nietzsche weiß ich nicht viel. Denke er würde das Gewissen ablehnen, weil es uns davon abhält zum Herrenmenschen zu werden. (Nietsche litt sehr unter seinen Neurosen)

Bei Schopenhauer fällt mir nichts hilfreiches ein.