Warum wurde bei Holocaust das aller schlechteste im Menschen sichtbar?

6 Antworten

Die Mechanismen, wie Menschen zu Unmenschen werden und bereit, Gräueltaten zu vollbringen, sei es zivil oder im Krieg, sind immer die selben und wirken bei nahezu jedem und auch heute noch. Die psychologischen Prizipien sind eigenlich recht simpel.

Den Schlüssel dazu hast Du eigentlich schon angerissen: Menschlichkeit - wird sind doch eigentlich alle eine Familie.

Fast jeder Mensch (vielleicht mit Ausnahme von Psychopathen und Sadisten) hat eine natürliche Hemmung, anderen Menschen unnötiges Leid anzutun oder gar zu töten.

Wenn es nun dazu kommt, daß bestimmte Menschen nicht mehr als Mensch angesehen werden, sondern als bösartig, absolut feindlich, als "Unmensch" , quasi eine andere Gattung, als grausam und nichts als schädlich für die eigene Gruppe oder Existenz, dann fallen diese Hemmungen weg, dann gilt es nur noch, dieses "Objekt" zu beseitigen und ggf. zu vernichten, wie etwa ein wildes, gefährliches Tier oder einen Parasiten.

Dieser Prozess kann unbewusst verlaufen, indem man beispielsweise im (Bürger-)Krieg Gräueltaten und Grausamkeiten der "feindlichen" Gruppe unmittelbar erlebt, aber auch durch Erzählungen und Beeinflussung durch Dritte, durch die man zu obiger Überzeugung gelangt.

Genau dies ist im nationalsozialistischen Deutschland passiert: Juden hatten durch historische Vorurteile in weiten Kreisen eh schon ein zwielichtiges Image, das durch die nationalsozialistische Propaganda kräftig befeuert wurde. Im 3. Reich machte man ihnen das Leben zunehmend schwer, aber "nur" ein kleinerer Teil wanderte aus, was zunächst eigentlich beabsichtigt war.

Bei Ausbruch und im Verlauf des 2. Weltkrieges wähnte sich Deutschland in einem internationalen Überlebenskampf, zu dem auch das "internationale Judentum" kräftig beigesteuert hatte, so die offizielle Erzählung. In diesem "Kampf ums Dasein" der Deutschen auf Leben und Tod mußte nun auch der "Feind" in den eigenen Reihen konsequent bekämpft werden. Und dazu zählten mittlerweile nicht "nur" Juden, sondern auch politische Feinde wie Kommunisten, "Wehrkraftzersetzer" wie Dissidenten und Kritiker, "Asoziale" wie Schwule, Zigeuner, Landstreicher. Und da forcierte Vertreibung nicht funktionierte, enschloss man sich zur "Endlösung", schließlich starben die "guten Deutschen" ja auch an der Front und in den bombardierten Städten.

In diesem Bewusstsein bzw. Denkschema waren neben den Radikalen auch sehr viele "Normalos" bereit, mitzumachen, nach dem Motto: Ein Scheißjob, aber er muß gemacht werden. Der Historiker Daniel Goldhagen beschreibt das sehr anschaulich in seinem Buch "Hitlers willige Helfer" anhand vieler Bespiele und Berichte aus den Einsatzgruppen ("Sicherheitspolizei") in den besetzten Ostgebieten, die den Auftrag hatten, neben Partisanen, Kommunisten und als feindlich gesehene Eliten insbesondere auch Juden u. obig erwähnte Gruppen ausfindig zu machen und direkt zu töten. Fast alle der dort eingesetzten waren ganz normale Polizisten und Familienväter, die von dem, was sie taten angewidert waren (manche meldeten sich krank, wenn Erschießungen anstanden, und das wurde auch geduldet), aber eben überzeugt, daß es getan werden mußte.

Ein weiterer Faktor, der Gräueltaten begünstigt, ist ein psychologisches Phänomen, wenn Menschen sich in einer Masse mit gleichem Anliegen wiederfinden: Es tritt eine art Euphorisierung sowie eine ganz eigene Dynamik ein, gleichzeitig schwindet das individuelle Urteilsvermögen und Verantwortungsbewußtsein, was irrationale und überzogene Handlungen begünstigt. Der französische Psychologe Gustave le Bon hat das in seinem Werk "Psychologie der Massen" bereits 1895 erkannt und analysiert, und konstatierte: Eine Masse ist im Guten wie im Bösen „zu allem“ fähig.

Doch derartige Mechanismen wirk(t)en bei weitem nicht nur bei den "obrigkeitsgläubigen, militaristischen, fanatisierten" Deutschen, wie gerne kolportiert wird:

Nach gleichem Schema, nur umgekehrt, lief es dann bei der Vertreibung und den damit verbundenen Gräueltaten gegen Deutsche, die nun ihrerseits als vogelfreie Un-Menschen angesehen wurden.

Weitere Beispiele der Geschichte:

Die systematische Ausrottung der Indianer in den USA, der Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich während des 1. Weltkrieges, die "Stalinsche Säuberungen" in den 30er Jahren und Ende der 40er Jahre (Opferzahlen unbekannt, Schätzungen zwischen 9 und 60 Mio), das Wüten der Chinesen gegen eine vermeintliche neuen Burgeoisie währendend der "Kulturrevolution" ab 1966 (zig Mio Tote), das der roten Khmer in Kambodscha 1975 (ca. 1,7 Mio Tote), der Völkermord an den Tutsi in Ruanda 1994 (ca. 1 Mio Tote), Massenmorde, Gräuel und Vertreibungen während der Jugoslawien- und Tschetschenienkriege in den 90ern, die brutalen Massaker und praktizierte Sklaverei des sog. "Islamischen Staates (IS)" gegen "Ungläubige" mitte der 2010er Jahre.

Auch aktuelle im Ukrainekrieg begangene Kriegsverbrechen wie in Butscha oder an Kriegsgefangenen dürften auf obiges psychologisches Schema zurückzuführen sein.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Deutscher mit Migrationshintergrund

Die Frage isr etwas wirr gestellt - was willst du konkret wissen? Es ist auch nicht so, als ob damals jeder von der Endlösung gewusst hätte und das im allgemeinen bekannt war.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung
Eigentlich Sind wir doch alle Familie.

Nein, leider nicht. Je größer die Gruppe, desto mehr ist jeder auf sich selbst gestellt. Der Mensch neigt zur Gruppenbildung, und eine Gruppe, also ein "Wir", kann es nur geben, wenn es ein "Die" gibt zum abgrenzen.

Im Falle vom Holocaust könnte ich mir ein paar Motive vorstellen, wieso die Leute nichts dagegen unternommen haben, manche verwerflicher als andere:

  • Unwissenheit (eingeschränkter Informationsaustausch)
  • Ungläubigkeit
  • Eingeschüchtertheit (wenn ich was sage, passiert mir/meiner Familie was)
  • Gleichgültigkeit / andere Probleme (betrifft mich nicht; viele Leute hatten nach dem 1WK viel verloren und mussten selbst gucken wie sie zurechtkommen & die meisten Morde wurden erst durchgeführt, als der Krieg in vollem Gang war)
  • Karrierechancen (um in der Partei an Einfluss zu gewinnen)

Eigentlich ist ja ein Großteil der Menschheitsgeschichte durch Gewalt und Gräueltaten geprägt.

Solche Verbrechen verwundern mich nicht.

Ich erdulde auch lebenslang Gewalt und Teufeleien jeder Art.

Wenn jemand hilflos ist, machen Stärkere und Mächtige mit einem, was sie wollen, und das ist meistens zerstörerisch.

Weil für solch eine Tat das Allerschlechteste im Menschen benötigt wurde. Mindestens. Aber es wurde weit darüber hinaus gegangen. Darin liegt eigentlich die wahre Unvorstellbarkeit und Monströsität die zumindest bis heute nicht analytisch ermittelt und nachvollziehbar erklärt werden konnte. Es gab vorher schreckliche Dinge und auch nachher. Aber niemals vorher oder nachher in einer derart geballten Grausamkeit und Unmenschlichkeit wie in diesem spezifischen Zeitfenster. Wann, und vor allen Dingen wie, jemals eine befriedigende Erklärung dafür zu finden sein wird ist mehr als unsicher.