warum sind Naturwissenschaftler so spöttisch?

9 Antworten

Hi.
Der Grund heißt: Vorurteile.
Oft auch: eine andere Denke. Und ganz selten findest du logische Begründungen für Vorurteile.
Oft auch keine Toleranz für eine andere Denke.

Für diese "andere Denke" findest du auch hin und wieder Beispiele bei GF.
Da möchte zum Beispiel jemand wissen, ob diese oder nicht doch lieber jene Lösung richtig sei. Und mancher Fragesteller wundert sich dann öffentlich, daß es nicht nur eine Lösung gibt, sondern zwei - oder gar drei oder vier oder fünf.

Da kannst du nur antworten: Eine Sprache ist nicht Mathe.
Eine solche Vielfalt zu akzeptieren fällt manchen Menschen schwer.
Da steht dann, vereinfacht gesagt, "pragmatische" Denke gegen "Ja-Nein-Denke".

Das mag zur Erklärung des von dir beschriebenen Phänomens beitragen.
Andererseits gibt es aber auch "Geisteswissenschaftler" - was für ein bescheuerter Begriff übrigens! - die Vorurteile gegenüber Naturwissenschaftlern hegen.

Gruß, earnest

"Spöttisch" ist das durchaus nicht. Es gibt viel ernstzunehmende Kritik an den Geisteswissenschaften.

Allerdings muss man hier zwischen guten und schlechten Geisteswissenschaften trennen. Gute Geisteswissenschaften behandeln die Objekte ihrer Forschung ebenfalls empirisch, statt einfach Spekulationen anzustellen.

Z.B. stellt ein guter Linguist nicht einfach Spekulationen über die Regeln und Gesetzmäßigkeiten einer Sprache an, sondern beobachtet, welche Regeln und Gesetzmäßigkeiten in der Sprachpraxis gelten.

Zum anderen gibt es aber auch schlechte Geisteswissenschaftler. Diese versuchen nicht, empirisch, möglichst naturwissenschaftlich zu arbeiten, sondern stellen Spekulationen an. Die Frage, ob ihre Theorien empirisch adäquat sind, interessiert sie nicht.

Dadurch verletzen diese schlechten Geisteswissenschaftler die Kriterien der Wissenschaftlichkeit; sie sind also eigentlich keine Wissenschaftler. Und an eben solche Geistes"wissenschaftler" denken Leute, wenn sie sich negativ über die Geisteswissenschaft an sich äußern.

Am besten konfrontierst du sie dann mit guter Geisteswissenschaft.

earnest  10.11.2013, 13:12

Könntest du bitte Beispiele für deine Klassifizierung "schlechter Geisteswissenschaftler" nennen?

0
DeutscherIdiot  10.11.2013, 14:00
@earnest

Die Fundamentaltheologie . Auch Theodor W. Adorno`s "Dialektik der Aufklärung" erfüllt alle Kennzeichen, um als schlechte Geisteswissenschaft zu gelten.

0
earnest  10.11.2013, 16:14
@DeutscherIdiot

In beiden Fällen stimme ich dir voll und ganz zu.
(Auch wenn's jetzt vielleicht Schimpfe gibt.)

0

Ich glaube, dass es um mehr geht als um Vorurteile.

Unter Naturwissenschaftlern gelten die Geisteswissenschaften meist als Laberfächer.

Diese Ansicht ist leider nicht ganz unberechtigt. Ich selbst habe ein naturwissenschaftliches (auf Diplom) und ein geisteswissenschaftliches Fach (auf Magister) studiert, und zwischen dem Aufwand für diese beiden Fächer und den Anforderungen dafür liegen Welten. Ich habe mich auch mit Leuten unterhalten, die für das Lehramt an Gymnasien einmal Biologie und Germanistik, im zweiten Fall Musik und Anglistik studiert haben, die mir ebenfalls gesagt haben, dass der Zeitaufwand bei ihnen für die geisteswissenschaftlichen Fächer bei allenfalls einem Viertel gelegen hat.

Andererseits weiß ich z. B. von Soziologen und Psychologen, dass die sich in der Statistik, also einem mathenahen Fach, unglaublich schwer getan haben - und dies, obwohl die Kenntnisse, die dort erwartet werden, sich doch sehr im Rahmen halten.

Der englische Schriftsteller und Chemiker Charles Percy Snow hat das "die zwei Kulturen" genannt und (bereits 1959) ein Buch mit diesem Titel geschrieben. Er vertritt die Ansicht, dass unsere Gesellschaft in zwei Kulturen gespalten ist, nämlich die Natur- und die Geisteswissenschaften.

Ein Kernsatz seines Buches lautet ungefähr so:

"Ich bin öfter Menschen begegnet, die, nach den Maßstäben unserer Kultur, als hervorragend gebildet galten, und die sich mit beträchtlichem Vergnügen über die Unbildung von Naturwissenschaftlern lustig gemacht haben. Ein oder zwei Mal habe ich mich dadurch provoziert gefühlt und die Anwesenden gefragt, wie viele von ihnen schildern können, was der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik besagt. Die Reaktion war kalt und negativ. Dabei hatte sich sie nach der naturwissenschaftlichen Entsprechung des Satzes "Haben Sie etwas von Shakespeare gelesen?" gefragt.

Ich glaube, hätte ich eine noch simplere Frage gestellt - etwa: Was verstehen Sie unter Masse? oder Beschleunigung?; dies entspricht in den Naturwissenschaften in etwa der Frage: Können Sie lesen? -, dann wäre höchstens einer von zehn dieser hochgebildeten Leute der Meinung gewesen, dass wir dieselbe Sprache sprechen. Das imposante Gebäude der modernen Physik erhebt sich, und die Mehrheit der gescheitesten Leute der westlichen Welt haben davon nicht mehr Ahnung als ihre steinzeitlichen Vorfahren."

Snow schildert hier also genau das Gegenteil dessen, was Du beschreibst, nämlich den Dünkel der Geisteswissenschaftler, die, auf die heutige Zeit übertragen, zwar Computer und Handys und alle anderen Errungenschaften der modernen Technik benutzen und davon profitieren, die aber auf dem Stand der Steinzeit stehen geblieben sind.

Es ist bezeichnend, das Snows überaus wichtiges Buch in Deutschland über die erste Auflage nicht hinausgekommen ist, während in England mittlerweile die siebzigste oder fünfundsiebzigste Auflage erschienen ist.

Noch wichtiger ist aber folgendes: Der durchschnittliche Geisteswissenschaftler hat von Mathe, Physik, Chemie und Biologie - DEN Schlüsselwissenschaften der heutigen Zeit - keinen Schimmer. Der Durchschnittsnaturwissenschaftler jedoch hat sehr wohl seinen Shakespeare (oder Goethe - der übrigens nebenbei ein hervorragender Naturwissenschaftler war, wenn er mit seiner Farbenlehre aus heutiger Sicht auch falsch lag) im Regal stehen und ihn auch gelesen. Mir fällt immer wieder auf, wie belesen Naturwissenschaftler häufig auf geisteswissenschaftlichem Gebiet sind - das gleiche oder auch nur die Bereitschaft, geschweige denn die Fähigkeit, sich intensiv mit den Naturwissenschaften auseinanderzusetzen, ist bei Geisteswissenschaftlern hingegen rudimentär bis nicht vorhanden.

Egal, welchen der großen Naturwissenschaftler man auch nimmt, ob Einstein, Lichtenberg, Newton oder Faraday, sie alle hatten Interessen, die weit, weit über ihr eigentliches Tätigkeitsfeld hinausragten. Einstein z. B. konnte ganz passabel Geige spielen, Lichtenberg verdanken wir die Sudelbücher (und deren Leser wissen meist noch nicht einmal, dass er ein herausragender Physiker war). Bei Geisteswissenschaftlern findet man das hingegen nur selten, einer der ganz wenigen, die mir spontan einfallen, ist Hans Magnus Enzensberger.

uteausmuenchen  22.03.2014, 22:58

Wunderbare Antwort, danke dafür!

0

Im wesentlichen aus zwei Gründen:

Zum einen gibt es leider viele Geisteswissenschaftler die nicht in der Lage sind (in ihrem Fach) eine aussagenlogisch schlüssige Beweisführung durchzuführen. Dies sind ausdrücklich nicht alle Geisteswissenschaftler (einige können auch hervorragend argumentieren), aber leider überdurchschnittlich viele.

Zum anderen ist es teilweise so, das Naturwissenschaftler das was Geisteswissenschaftler so betreiben häufig nicht komplett verstehen, und desshalb (auch bei den "guten" Geisteswissenschaftlern) deren Argumentation nicht erkennen. Dieser zweite Punkt kommt aber andersherum genau so vor und ist kein naturwissenschaftlerspezifisches Problem.

Im Grunde bildet unser Land viel zu viele Geisteswissenschaftler aus (nicht böse gemeint, bin selber eine ;)

Naturwissenschaftler oder Techniker sind eigentlich "sinnvoller" und bringen praktischen Nutzen. Wenn eine Zivilisation (rein theoretisch) von vorn aufgebaut werden müsste, würde das nicht durch Geisteswissenschaftler geschehen, sondern auf der Basis des Wissen von Naturwissenschaftlern und Technikern.