Unterschied: Phänomenologie - Empirismus

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Zwischen Phänomenologie und Empirismus gibt es Berührungspunkte. Allerdings hat der Empirismus einen grundsätzlichen Standpunkt zu dem Gegebenen als der Erfahrung passiv, rezeptiv, ohne eigenes geistiges Zutun (Verstandesleistungen) Gegebenem (bei einem sensualistischen Empirismus die Sinneseindrücke der Sinnesorgane bei den Sinneswahrnehmungen). Der Verstand bezieht sich in der empiristischen Auffassung dann erst auf dieses unmittelbar Gegebene (Einzeldinge der Erfahrung).

Phänomenologie hat es in verschiedenen Richtungen mit großer Bandbreite gegeben. Es geht um einen genauen Blick auf die Phänomene (Erscheinungen) und ihre Untersuchung. Eine Auffassung, dieses Gegebene sei eine getreue Abbildung der Dinge der Welt, so wie sie tatsächlich sind, ist damit nicht grundsätzlich verbunden.

Besondere Bedeutung hat beim Begriff Phänomenologie ein von Edmund Husserl begründeter Ansatz gewonnen. Er deutet aber die Phänomene auch von einem Bewußtsein des „ich denke“ her. Eine Methode bei seiner Phänomenologie ist die Epoché (Enthaltung, Innehalten; griechisch ἐποχή = Zurückhaltung), eine Ausklammerung jeder Vormeinung und Vorerkenntnis über den Erscheinungsgegenstand. auch darüber, ob er und die Welt unabhängig vom Bewußtsein wirklich sei. Sie ist ein erster Schritt der phänomenologischen Reduktion, um „zu den Sachen selbst“, wie sie sich im Bewußtsein zeigen, vorzudringen.

Diese philosophische Richtung ist ein Versuch einer Synthese vom Empirismus und Rationalismus und darin der Transzendentalphilosophie Immanuel Kants verwandt. Ziel ist eine Überwindung des Gegensatzes zwischen Objektivismus und Subjektivismus. Diese Phänomenologie will eine strenge und systematische Wissenschaft sein.

Empirismus ist eine philosophische Richtung, die behauptet, Erfahrung (dies ist die Bedeutung des griechischen Wortes ἐμπειρία) sei der einzige Ursprung von Erkenntnis. Erfahrung wird zur notwendigen Bedingung und zum Grund aller Erkenntnisse erklärt. Als wissenschaftliche Methode gilt für den Empirismus allein das Ausgehen von Beobachtung und Experiment.

Nach der Lehre des Empirismus nimmt jedes Wissen seinen Anfang in der Erfahrung und unterliegt ihrer Kontrolle. Erkenntnisse werden induktiv aus dem, was der Erfahrung gegeben ist, gewonnen. Empirismus leitet also Wissen allgemein aus der Erfahrung ab (nicht aus dem Verstand oder der Vernunft, wie der Rationalismus annimmt), die für (sinnlich) gegeben gilt.

Vgl. dazu Artikel in Philosophielexika, z. B.:

Gerhild Tesak, Empirismus. In: Handwörterbuch Philosophie. Herausgegeben von Wulff D. Rehfus. Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, 2003 (UTB : Philosophie ; 8208), S. 319 - 322

Friedrich Kambartel, Empirismus. In: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Herausgegeben von Jürgen Mittelstraß. Band 2: C – F. 2., neubearbeitete und wesentlich ergänzte Auflage. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2005, S. 320 – 321

Den Begriff Phänomenologie vor Husserl stellt in einem Überblick z. B. dar:

Wilhelm Baumgarten, Phänomenologie I. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 7: P – Q. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 1989, Spalte 486 – 490

Überblick zur Phänomenologie bei Edmund Husserl z. B. bei:

Ludwig Landgrebe, Phänomenologie II. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 7: P – Q. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 1989, Spalte 490 – 498, gibt unter anderem an:

Die Welt hat von sich selbst Sinn und Geltung als unsere gegebene Welt.

Spalte 491: „Bewußtsein bringt diese »Sinnstiftung« als Verstehen, was etwas ist (Seinssinn) und sein als –Gültig-Setzen als daseiend oder nichtdaseiend (Seinsgeltung) dadurch zustande, daß sein Grundcharakter Intentionalität ist, intentionales Gerichtetsein, das von der Leerintention, dem leeren »Vermeinen« ausgehend auf Erfüllung und das heißt auf »Sachverhalte« = Evidenz gerichtet ist. Der Begriff der Intentionalität des Bewußtseins ist daher Begriff von seiner Leistung, die Husserl als Konstitution bezeichnet. In ihr konstituieren sich die cogitationes des cogito, die »Gegenstände« des Bewußtseins nicht als einzelne, sondern als Gegenstände in der Welt als dem umschließenden Gesamthorizont. Die Leistung der Intentionalität ist Synthesis, und zwar als aktive und passive Konstitution. Sie geschieht nicht nur in den Aktvollzügen (»Stellungsnahme des Ich), sondern auch mittels passiv genetischen Konstitution, in der sich für das Bewußtsein nicht nur die Welt mit ihren Objekten, sondern das Bewußtsein sich selbst in einer Zeitigung konstituiert, d. h. in seiner Einheit sich für sich selbst herstellt.“

Spalte 492: „Der Begriff der Ph.[änomenologie] im Sinne Husserls ist der, daß sie als Selbstbestimmung und Selbsterkenntnis Methode der Analyse der konstituierenden Leistungen der transzendentalen Subjektivität ist; in diesem Sinn wird sie einem allgemeinen Begriff nach von Husserl als transzendentale Ph.[änomenologie] bezeichnet.“

Ziel ist eine universale Analyse der konstituierenden Bewußtseinsleistungen.

Albrecht  26.07.2011, 07:15

Die Phänomenologie nach Husserl stellt in einem Überblick z. B. dar:

Paul Janssen, Phänomenologie III. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 7: P – Q. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 1989, Spalte 498 – 505

Spalte 503: „Eine Folge der verzweigten, uneinheitlichen Geschichte der Ph.[änomenologie] ist, daß die Termini ‹Ph.[änomenologie] › und ‹phänomenologisch› heute oft jede spezifische Bedeutung verloren haben und in einem allgemeinen Sinn für vorurteilsfreies Sehen und Betrachten verwendet werden.“

Thomas Blume, Phänomenologie. In: Handwörterbuch Philosophie. Herausgegeben von Wulff D. Rehfus. Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, 2003 (UTB : Philosophie ; 8208), S. 531 – 535 gibt unter anderem an:

Der Ausdruck bezeichnet eine erkenntnistheoretische Richtung, die als Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen die Phänomene, d. h. die beobachtbaren Sachen als solche wählt. Das Phänomen, die Erscheinung, wird dabei als die betreffende Sache selbst verstanden. Husserl, mit dessen Namen sich heute der Ausdruck Phänomenologie verbindet, verwendet das Wort zunächst in einem neutralen Sinne zur Bezeichnung einer deskriptiven Methode.

Erkenntnistheorie, die die Wahrheit von Erkenntnis auf die Selbstgewissheit eines auf seine Inhalte reflektierenden Ich gründet:

Für Husserl wurzelt alle Erkenntnis in einem »Ich denke« (ego cogito ) und dessen kognitiven Leistungen (cogitationes ). Um bis zum Grund allen Wissens vorzudringen, wählt er das Verfahren der phänomenologischen Reduktion. In natürlicher Einstellung – der Einstellung, in der wir uns alltäglich den Dingen der Welt zuwenden – herrscht die Gewissheit, dass die Welt und mit ihr alle Gegenstände existieren. Die Reflexion des Philosophen hebt damit an, diese allgemeine Auffassung der natürlichen Einstellung in ihrer Geltung außer Kraft zu setzen bzw. einzuklammern. Der Philosoph enthält sich zum Zwecke der Erkenntnis jedes Urteils darüber, ob die Welt existiert oder nicht. Die Voraussetzung eines sonst fraglos hingenommenen Subjekt-Objekt-Gegensatzes wird aufgehoben. Die Welt erweist sich damit als abhängig von einem Bewusstsein und dessen konstitutiven Leistungen. Im Zuge der das Sein der Welt und ihrer Gegenstände betreffenden Urteilsenthaltung wird dem reflektierenden Bewusstsein die Abhängigkeit der Welt vom Bewusstsein klar. Husserl versucht, das gesamte Sein auf dem Boden der Subjektivität nachzukonstruieren will. Für ihn existieren Gegenstände nur als Gegenstände eines Bewusstseins.

Idee einer im Bewusstsein erfolgenden Gegenstandskonstitution:

Wie Kant geht Husserl davon aus, dass die Vorstellungen des Bewusstseins erstens über einen sinnlichen Inhalt verfügen. Er nimmt an, dass sie eine räumliche und zeitliche Formung besitzen und der räumlich und zeitlich geformte sinnliche Inhalt des Bewusstseins eine gegenständliche Formung erhält, als ein bestimmter Gegenstand aufgefasst (apperzipiert) wird. Ergebnis ist der Gegenstand, so wie wir ihn alltäglich wahrnehmen.

Husserl versucht auch noch das Zustandekommen der Inhalte des Bewusstseins aus einer der Handlungen des Bewusstseins erklären (passive Synthesen, weil diese Handlungen passiv, d. h. ohne Zutun des Ich erfolgen).

Verfahren der eidetischen Variation:

Zu dem zu bestimmenden Begriff wird begonnen, sich einen beliebigen Vertreter, einen unter diesen Begriff fallenden Gegenstand vorzustellen, dann dieses Vorbild zu variieren (sich Gegenstände vor das innere Auge rufen, die dem ursprünglich gewählten Gegenstand ähnlich sind). Im weiteren Fortgang scheint dann auf einmal das den nacheinander aufgerufenen Gegenständen innewohnende gemeinsame Wesen auf, das Husserl als Eidos bezeichnet (Wesen der jeweils in der Vorstellung gegebenen Gegenstände).

Husserls Bild der Welt ist das einer Summe verschiedener Perspektiven perzipierender (wahrnehmender) und apperzipierender (das Wahrgenommene gegenständlich interpretierender) Subjekte. Die Welt ist kein transzendentes Ding an sich, das auch unabhängig davon existiert, ob es nun wahrgenommen wird oder nicht, sondern Ergebnis transzendentaler Synthesisleistungen, die ihren Ursprung in einem bzw. in verschiedenen Subjekten haben. Zunächst hat es der auf seine Bewusstseinsleistungen Reflektierende aber erst einmal mit den Daten und Leistungen seines eigenen Bewusstseins zu tun.

Auf dem Boden der Subjektivität eines Ego wird eine transzendentalen Intersubjektivität konstituiert. Ein Subjekt begreift einen bestimmten, ihm zugehörigen Körper als seinen Leib. Wenn das Subjekt einen anderen Körper wahrnimmt, der in Bezug auf sein Aussehen und sein Verhalten dem eigenen hinreichend ähnlich ist, begreift es diesen in Analogieschlüssen ebenfalls als Leib, jedoch nicht als den eigenen, und damit verbunden ein weiteres Bewusstsein, ein anderes, von ihm verschiedenes Ich.

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Albrecht  26.07.2011, 07:18

Husserls philosophisches System versucht auf dem Weg der Beschreibung des bewusstseinsmäßig Gegebenen die begrifflichen Grundstrukturen, den logisch-begrifflichen Aufbau der durch das Bewusstsein konstituierten Welt zu ermitteln.

Elisabeth Ströker, Phänomenologie. In: Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften. Herausgegeben von Hans Jörg Sandkühler. Band 1: O – Z. Hamburg : Meiner, 1990, S. 1013 – 1016 gibt unter anderem an:

Phänomenologie ist der Zugang zu den Phänomenen im Sinne von Gegebenem und die durchweg geforderte Methode eines genauen Hinsehens, Beschreibens und Analysierens.

S. 1014: „Was die Phänomenologie insgesamt eint, sind Haltung und Stil eines Forschens, das in möglichst unvoreingenommener Hingabe an die Phänomene zu Einsichten ursprünglicher Art führen soll. Als ›Wesensmerkmale‹ reklamiert stehen sie unter einem methodischen Grundpostulat, das eine bestimmte Kultivierung des Sehens im weitestem Sinn verlangt.“

„Ein intentionaler Gegenstand ist jedem Akt strukturell zugehörig, wenngleich er als einer und derselbe erst in spezifischer Aktsynthese gegeben sein kann. Doch ist nicht er als ein bewußtseinsimmanenter Gegenstand der eigentlich intendierte; gemeint ist vielmehr ein wirklicher, bewußtseinstranszendenter Gegenstand. Das macht das Erkenntnisproblem phänomenologisch als ein Relationsproblem zweier Arten mitteilbar, die in ihrer jeweiligen Beziehbarkeit auf ihre entsprechenden Bewußtseinsweisen zu untersuchen sind.“

transzendentale (phänomenologische) Methode:

Einklammerung der Seinsweise, aus allen sonstigen Bestimmungen eines Gegenstandes

eidetische Reduktion:

Alle möglichen phantasiemäßigen Abwandlungen der Beschaffenheit eines Gegenstandes werden, auch bis an die Grenze der Deutungsmöglichkeit, durchlaufen. Als sein Wesen ist festzuhalten, was sich in derartigen Variationen als invariant erweist.

Da aber diese einen Spielraum nicht abschließbarer Möglichkeiten eröffnen, bleiben danach alle Wesensaussagen für ihre Modifizierung und Korrektur prinzipiell offen. Die bemerkte Allgemeinheit ist Typus einer Wesensallgemeinheit.

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MaNic22 
Fragesteller
 26.07.2011, 14:14
@Albrecht

Danke für diese aufklärende Antwort. Ich erkenne jetzt deutlich den Unterschied (endlich)! Besonders hilfreich/nützlich für mein Verständnis war E. Strökers Ausführung des Relationsproblems zwischen Immanenz und Transzendenz des Gegenstandes.

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Meiner Meinung nach ist es so:

Die Phänomenologie beschäftigt sich damit, dass etwas so wahrgenommen werden soll, wie es uns erscheint, d.h. ohne Vorurteile oder ähnliches.

(Ich hab immer im Hinterkopf, dass es wie in der Liebe ist - man lässt sich auf etwas vollkommen Neues ein, ohne unnötige Vergleiche zu ziehen, um sich nur von dem Erlebten ein Bild über diese Sache zu machen.)

Im Empirismus hingegen will man sich dem zuvor Gewussten durchaus bewusst bleiben, jedoch herausfinden, ob es tatsächlich so funktioniert wie man annimmt, ohne jedoch von vornherein zu sagen: "Das ist so und so." oder schlimmer: "Das muss logischer Erkenntnis nach einfach so sein!".

(Hierbei habe ich immer im Hinterkopf, dass man z.B. über eine Person schon einiges gehört hat, dies im Stillen auch beim Zusammentreffen abgleicht und versucht, etwas Neues an der Person herauszufinden oder sogar, dass sie ganz anders ist als sie bisher dargestellt wurde und dies wiederum Anderen erzählt.)

In der Phänomenologie werden oft subjektive Schlüsse gezogen, während der Empirismus darauf hinauszielt, allgemeingültige objektive Erfahrungen zu machen.