Unterschied Amoralist, Trittbrettfahrer und Egoist?

3 Antworten

Ein amoralisches Verhalten ist rein begrifflich gesehen gar nicht vorstellbar, weil es nicht möglich ist keine wie auch immer geartete Moral zu besitzen. Selbst Menschen, die sich ganz ihrer persönlichen Willkür hingeben und den sozialen Gepflogenheiten und Gebräuchen ihrer Mitmenschen definitiv widersprechen, haben eine definierbare Moral. 

Man könnte so eine Moral etwa so bestimmen: "Handle stets so, wie es Dir gefällt und lass Dich dabei nicht von den in Deiner Gesellschaft geltenden Handlungsmustern leiten, auch wenn Du dadurch soziale Ächtung und andere Nachteile erleiden musst." 

Wenn man im volkstümlichen Sinne von einem Amoralisten spricht, meint man in der Regel einen Menschen, der sich um die Forderungen der Gemeinschaft nach Solidarität mit den Schwächeren, nach Beistand für Kranke und Leidende, nach Mithilfe in Notsituationen und Teilnahme bei Gemeinschaftsverantwortungen bewusst nicht kümmert, sondern allenfalls die Vorteile, welche die Solidargemeinschaft allen ihren Mitgliedern bietet, auf robuste Weise ausnutzt. Faktisch hat er allerdings nur eine ablehnungswürdige Moral.

Ein Trittbrettfahrer ist eine ganz andere Person. Er beobachtet seine Gesellschaft äußerst sorgfältig. Er ist überall dabei, dient sich an, und wenn er sieht, dass ein Gruppenmitglied eine erfolgversprechende Idee hat, schließt er sich umgehend dieser Person in besonderer Weise an, spricht fortan von "unserem Konzept", von "unserem Projekt", "unserem gemeinsamen Kind" und versucht auf diese Weise, den Gewinn, den Nutzen dieses Modells auch für sich wirksam werden zu lassen. Er fährt also auf einem gedachten Wagen zu seinem Vorteil mit. Es ist eine Art parasitäres Verhältnis, denn der Autor der Idee muss damit die Früchte seiner Arbeit mit dem "Trittbrettfahrer" teilen.

Der Egoist ist schließlich ein Mensch, der die sozialen Verantwortungen, die eine Gemeinschaft von ihren Mitgliedern einfordert, nur in äußerst bescheidenem Umfang zu übernehmen bereit ist. Er handelt extrem auf seinen persönlichen Gewinn hin orientiert, wobei er natürlich formal immer auch etwas für die Allgemeinheit tut, weil er sonst der Ächtung durch die Gruppe anheimfallen würde, und den "Liebesentzug" der unmittelbar Beteiligten kann keiner auf längere Sicht verkraften. Der Egoist handelt also als ein "Scheinguter", der die Gruppe so täuscht, dass sie annimmt, dass auch er seinen Verpflichtungen im sozialen Bereich nachkommen würde, obwohl er sein Engagement auf eine absolutes Minimum begrenzt.

Bilanz: Der Amoralist wird durch die Gruppe stigmatisiert, weil er seine amoralische Grundhaltung offen auslebt. Der Egoist ist dagegen bemüht in die Gruppe integriert zu bleiben und ist lediglich bestrebt, sein eigenes - kaum vorhandenes - Engagement groß darzustellen, so dass jedermann das Gefühl bekommt, dass auch er ein vollwertiges Mitglied der Solidargemeinschaft sei. Der Trittbrettfahrer ist schließlich ein parasitär agierender Mensch, der sich durch aufgedrängte Teilhabe an den Ideen und erfolgreichen Projekten anderer seinen Gewinn zu Lasten des Autors abzweigen kann.

"Ein amoralisches Verhalten ist rein begrifflich gesehen gar nicht
vorstellbar, weil es nicht möglich ist keine wie auch immer geartete
Moral zu besitzen."

Es ist möglich, Moral als Beschreibung von Handlungsmustern (die immer in Handlungen hineininterpretiert werden können) zu definieren, aber das wäre eine sehr randständige Definition, die man heutzutage nicht benutzen würde, weil sie die Unterschiede zwischen Moral, Sitte und Ethos verwischt und damit jede tiefergehende Betrachtung unmöglich macht. Es ist so, als wolle man etwas über Autofahrer herausfinden und definierte dazu, dass Autos Dinge mit vier Rädern sein. Dann würde man entdecken, das auch Babystühle, Fahrräder mit Stützrädern, Rollstühle und Krankenhausbetten vier Räder haben, womit eine treffende Beschreibung von "Autofahrern" mit solch einer Definition nicht möglich wäre.
Moral wird besser und gängiger definiert als normative, universelle Handlungsprinzipien. Erst mit dieser Definition kann man Amoralismus verstehen.

"... weil es nicht möglich ist keine wie auch immer geartete
Moral zu besitzen."

Mit der gängigen Definition eben doch. Denn ich kann durchaus sagen, das ich keine fremden Wertungsregeln zulasse, um mein Handeln zu bewerten. Das wird am Unterschied zwischen unmoralischem und amoralischem Handeln deutlich, der mit der gängigen Definition klar herausgearbeitet werden kann. Unmoralisch handele ich, wenn ich ein moralisches Werturteil akzeptiere, es aber trotzdem nicht umsetze. Amoralisch handele ich, wenn ich kein fremdes Werturteil einhole (es ist dabei völlig egal, wie es ausfallen würde, ich erlaube eben keine Fremdbeurteilung).
Die gängige Definition erlaubt sogar, genauer zwischen Moral (
normatives, universelles Handlungsprinzip) und Ethos (als tatsächlich verbindlicher Kanon der umgesetzten sittlichen und moralischen Handlungsweisen) zu unterscheiden.

"Man könnte so eine Moral etwa so bestimmen: "Handle stets so, wie es Dir gefällt ..."

Ich werde jetzt mal zeigen, warum jemand, der nach diesem Ethos (es ist keine Moral, da Moral universeller gedacht ist als Handlungsrichtlinien für viele und dieser Satz eben als solcher nicht verbreitet ist, während Ethos auch ganz persönlich sein kann) handelt eben kein Amoralist ist.
Ich argumentiere mal von Caspar Schmitt aus, der ja eine Verhaltenssteuerung durch internalisierte Normen völlig ablehnte. Brächte man ihm diesen Satz als Moral, würde er wohl sagen: "Ist das meine Sache? Ist es meine Sache, diese fremde Vorschrift mit meinem Körper und meinem Geist umzusetzen? Soll ich mich diesem mir zugetragen Satz, diesem Spuk unterordnen und ihn mit meinem Verhalten umsetzen, egal was ich will und für richtig halte? Nein, natürlich nicht, den es ist nicht meine Sache!"
Brächte man ihm das als Ethos, würde er wohl sagen: "Vielleicht habe ich gestern so gehandelt. Aber Ich lebe in der Gegenwart. Wenn ich dies als Handlung umgesetzt und damit geschaffen habe, habe ich ihr doch nicht erlaubt, mich zu binden. Egal was ich schuf, ich darf es auch zerstören. Und wenn es mich unterwerfen will, mein Ich im Jetzt beherrschen will, dann werde ich es zerstören, denn warum sollte ich mein jetziges Ich von meinem vergangenen Ich beherrschen lassen?"

Man sieht hier denke ich deutlich, dass dieser Amoralist sich gerade nicht einer Regel unterwirft, auch wenn er es könnte, sondern immer die Regel selber kritisiert. Hier aus dem Standpunkt heraus, dass er im Jetzt selber denken und beurteilen kann und keine fremden Hilfen braucht.

"Der Amoralist wird durch die Gruppe stigmatisiert, weil er seine amoralische Grundhaltung offen auslebt."

Ich denke, diese Aussage geht auf die Kappe des unverstandenen Unterschieds zwischen unmoralischem und amoralischem Handeln.

Der unmoralisch handelnde wird immer negativ wahrgenommen (da Moral ja in seiner Bezugsgruppe universell ist), denn alle anderen sehen, das seine Handlungen gegen die Moral sind.
Der amoralisch handelnde wird oft überhaupt nicht wahrgenommen, denn er handelt nicht unbedingt gegen die Moral. Der Unterschied ist bloß, dass er aus anderen Gründen handelt. Das können exakt dieselben Handlungen sein, die ein moralisch handelnder Mensch auch tun würde, nur sind die unsichtbaren Gründe eben völlig verschieden.

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@Baranars

Sehr guter weiterführender Kommentar, der mit viel subtilem Fachwissen beeindruckt.  Ohne Frage sehr bereichernd. Glückwunsch! Rolf Mengert

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Ich denke, du definierst besonders Amoralist falsch...

Ein Egoist ist jemand der nur an seine eigenen Interessen interessiert ist und für den die Moral ein Hindernis sein kann, der aber keine grundsätzlichen Probleme mit Moral hat. D. h., der auch moralisch handeln würde, wenn es ihm nicht schadet.

Ein Amoralist lehnt Moralgründe ab. Das heißt aber nicht, das er egoistisch handeln muss. Er kann auch altruistisch handeln, wenn er es selber will und für richtig hält. Der Punkt ist eben, das er dieses handeln aus sich selbst heraus und nicht durch fremde Moralvorstellungen begründen würde.

Der Trittbrettfahrer handelt aus Nützlichkeitserwägungen. Er muss weder egoistisch noch moralisch handeln oder solches handeln vermeiden, er kann beides machen, wenn er es für angebracht hält. Allerdings handelt er grundsätzlich so, um sich selbst nicht zu schaden, er steht damit dem Egoisten näher als dem (prinzipiengeleiteten) Amoralisten.

Ein Trittbrettfahrer ist eigentlich eine Person, welche nicht in die Bahn einsteigt sondern sich außen an das Trittbrett stellt und somit kein Ticket braucht.

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@Alleswisser73

In der wortwörtlichen Bedeutung ja, aber es gibt ja auch die übertragene ;-)

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Ich weiß, ich weiß, ich wollte es nur einmal erwähnen :)

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Oh ich glaube da hab ich den Amoralisten mit dem Egoisten vermischtm wie gesagt für mich ist es gleich. Danke! 

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Stimmt so mehr oder weniger.

Ein Amoralist lehnt aber Moralvorstellungen ab. Über die Gründe wird dabei nichts gesagt. Es kann auch sein, weil er radikaler Moralischer Relativist ist. Nicht unbedingt weil Moral für ihn ein Hindernis wäre und er nur an seinen Interessen interessiert ist.

Trittbrettfahrer ist jemand der auf einen Hype oder auf irgendwas aufspringt, weil er sich davon bewusst oder unterbweusst eine Legitimation verspricht. Auch das muss nicht unbedingt negativ sein, sondern könnte auch für positive Dinge gelten. (Sofern du nicht Kriminologe bist)

Ein Egoist sieht seine Bedürfnisse im Vordergrund und kann dabei sehr wohl Moralvorstellungen anerkennen, wenn sie seinen eigenen entsprechen. Oder auch nicht. Oft müssen andere die Moralvorstellungen anwenden, er selbst aber nicht.

Im uns allen steckt übrigens ein Teil von all den dreien. mehr oder weniger