Schreibstil “aushaltbar”?
Man ist ja bekanntlich blind für seine eigenen Fehler (zumindest bin ich es.)
Daher wollte ich mal fragen, wie leserlich meine Texte sind. Ich mag diesen Stil sehr, bin mir aber nicht sicher, wie er auf andere Leute wirkt…
hier ein Textausschnitt:
Leichen waren nie gut gekleidet, besonders nicht solche, die achtlos am Rand eines Reisewegs im Dreck lagen.
Daher bot dieser hier einen besonders merkwürdiger Anblick. Eine goldene Taschenuhr baumelte an einer makellosen Seidenweste und schwang träge über die breite Brust des Mannes.
Offensichtlich eine Falle.
Das Ensemble war so übertrieben inszeniert, dass es geradezu schrie: „Bitte, tritt näher wenn du dich ausrauben lassen willst, du vollidiot.”
Jeder mit einem Hauch von Verstand – oder einem auch nur moderaten Selbsterhaltungstrieb – hätte diesen Anblick mit einem knappen „Nein, danke“ quittiert und die Beine in die Hand genommen.
Aber Feryn? Feryn hatte weder das eine noch das andere. Vor allem dann nicht, wenn goldene, glänzende Schmuckstücke im Spiel waren.
Also ignorierte er, was jeder halbwegs vernünftige Mensch getan hätte, und schritt direkt auf die möglicherweise tote, aber mit Sicherheit tödliche Gestalt zu.
Die “Leiche” lag in einer melodramatische Pose – ein Arm über das Gesicht geworfen, die Beine seltsam gekreuzt, als hätte ihn mitten im Fallen ein ästhetisches Fieber übermannt. Aus der Distanz wirkte er wie ein tragischer Adliger: die tadellose Seidenweste, die glänzenden Stiefel, die Uhr.
Und dennoch war er ohne Zweifel der am wenigsten überzeugende Adlige, den Feryn je gesehen hatte.
Nicht, dass Feryn ein Experte für den Adel gewesen wäre, aber selbst er, dessen Standards für „hilfloser Adliger" außergewöhnlich niedrig waren, konnte die...
Unregelmäßigkeiten nicht ignorieren.
Erstens: Der Mann war… gewaltig. Nicht nur groß – was er zweifellos war, mindestens einen Kopf größer als jeder andere Mann, den Feryn je getroffen hatte – sondern auch unfassbar massig. Seine Schultern drohten die Nähte der Samtweste zum Platzen zu bringen, und die Bizeps, die sich unter den Ärmeln seines Hemdes spannten, ließen die Knöpfe schwitzend um Gnade flehen.
Und das Gesicht! Oh Gott…
Rau und behaart auf eine Weise, die vermuten ließ, dass er irgendwann einmal mit einem Bären verwechselt worden war und aus reiner Trotzreaktion beschlossen hatte, sich dieser Verwechslung vollständig hinzugeben.
Aber vielleicht, wenn man genauer darüber nachdachte, ergab sein Aussehen tatsächlich einen seltsamen Sinn. Adlige galten schließlich als... eigenartig.
Immerhin hatten sie den Ruf, dass ihre Stammbäume eher dem Bild einer Leiter glichen, als einem tatsächlichen Baum. Natürlich würden Die Früchte eines Solchen Baumes etwas … Abenteuerlich… aussehen.
„Verzeihung, guter Herr?" wagte Feryn mit übertrieben höflicher Stimme.
"Ich konnte Ihr... Unglück nicht übersehen. Wenn Sie nicht tot sind, blinzeln Sie bitte zweimal."
Der Bären-Mann rührte sich nicht.Kein Zucken. Kein Stöhnen. Nichts.Er lag vollkommen regungslos da.
Nun gut, um fair zu sein - seine Brust hob und senkte sich hin und wieder. Seine Atmung war verdächtig existent für jemanden, der angeblich tot war.
Feryn bemerkte natürlich nichts davon. Oder besser gesagt, er bemerkte es und ignorierte es sofort wieder, weil Prioritäten.
(Um genau zu sein: Er ignorierte speziell sie Atmung. Dass der Mann nicht zweimal geblinzelt hatte, registrierte Feryn selbstverständlich, da dies schließlich seine Voraussetzung zur Bestätigung von Leben oder Tod war.)
„Tot“, murmelte Feryn schließlich, die Augen voller Gier auf die baumelnde Uhr gerichtet. „Wie überaus bedauerlich.“ Seine Finger begannen unruhig zu zucken. „Nun, wenn Sie nichts dagegen haben…“
Kaum hatten seine Finger die kühle Oberfläche berührt, schnappten die Augen des Mannes auf – .
„Oh, verdammte sch —“
Bevor Feryn seinen zweifellos eloquenten Fluch beenden konnte, schoss die fleischige Hand des Mannes hervor wie eine zuschnappende Falle. Er packte Feryns Handgelenk mit einem sehr lebendigen Griff und hob ihn mit einem Grunzen in die Luft.
Augenblicklich fand sich Feryn wie ein besonders unbeeindruckender Fisch baumelnd in der Luft wieder, wahrend seine Beine nutzlos strampelten und der Koloss ihn mühelos mit einem Arm festhielt.
5 Antworten
Ich habe weitaus ungelenker verfasste Texte gelesen, dies vielleicht vorab. Der größte Fehler, den Hobbyautoren gern machen (die meisten tun dies), ist es, das Erzählen zu vernachlässigen und zusammenfassend, stichpunktartig, in den Raum geworfen zu schreiben. Du umschiffst diese Klippe (jedenfalls in diesem Text) recht geschickt.
Das Problem, was sich mir hier stellt, und was ebenfalls immer wieder gern Aspekt von Literaturkritik ist, ist hier (wobei das auch immer eine Frage des Geschmacks ist) die inflationäre Verwendung von Adjektiven. Der Haken ist auch hier, dass Adjektive immer eine unmittelbare Beschreibung in sich tragen, die man wiederum ebenfalls umgehen kann, indem man seine Bedeutung in einen erzählenden Text verwandelt. Oder eben konkret überdenkt, inwieweit die direkte Beschreibung durch das ergänzende Wort überhaupt notwendig ist und nicht eher den Lesefluss stört.
Als Beispiel: "schoss die fleischige Hand des Mannes". Man könnte sich nun hier diesen Satz immer wieder vorlesen, sowohl mit dem Adjektiv "fleischig", als auch ohne, und sich fragen, was flüssiger klingt. Dann wiederum könnte man die Passage umformulieren, und sich vornehmen das Adjektiv "fleischig" umzusetzen in einen weiteren Satz, der exakt das Gefühl ausdrückt, dass das Opfer/der Protagonist/werauchimmer hier gerade auf seiner Haut spürt. Derartig empfiehlt es sich generell immer, die Gegenprobe zu machen, wenn etwas auffällt. Hat man viele Partizipien im Text, schreibt man versuchshalber den Absatz mal um, ohne auch nur ein einziges zu verwenden. Mit Adjektiven genauso. Übrigens auch mit wörtlicher Rede: Wie klingt ein Absatz, wenn man die wörtliche Rede weglässt und sie durch indirekte Rede oder Beschreibung aus dritter Perspektive ersetzt. Und umgekehrt, wie verändert sich der Lesefluss, wenn man eine berichtende Passage durch direkte Rede ersetzt. Diese Form von Gegenproben würde ich also, dies als Tipp, immer mal zwischendurch machen, sie eröffnen gern neue Perspektiven.
lg up
Danke für die ausführliche und konstruktive Antwort! Ich werde mal versuchen meine Adjektiv-Nutzung etwas zu zügeln. (Das ist mir selbst wirklich nicht so aufgefallen…)
Ich denke das fällt unter Show-don’t-Tell
Wenn du Texte zur Begutachtung stellst - und so viel Text ist es nun auch wieder nicht - solltest du vorher alle Tippfehler rausmachen. Im Grunde ist es doch hier ein Bewerbungsgespräch beim Publikum. Manchmal weiß man nicht, ob der Fehler ein Tippfehler oder Ausdrucksfehler ist:
Leichen waren nie gut gekleidet, besonders nicht solche, die achtlos am Rand eines Reisewegs im Dreck lagen.
Daher bot dieser hier
Sollte es nicht diese (Leiche) heißen?
Und wie kommst du darauf, dass Leichen nie gut gekleidet sind? Viele werden in ihrem Sonntagsanzug bestattet. Es ist einfach Unsinn. Ebenso das "achtlos". Es ist zwar kein Adjektiv, aber eine überflüssige Information. Legt denn jemand eine Leiche achtsam in den Dreck?
Fangen wir mit den Fehlern an:
Daher bot dieser hier einen besonders merkwürdiger Anblick.
*einen besonders merkwürdigEN Anblick
„Bitte, tritt näher wenn du dich ausrauben lassen willst, du vollidiot.”
*tritt näher, wenn ... Vollidiot
und die Bizeps, die sich unter den Ärmeln seines Hemdes spannten
Plural von Bizeps ist Bizepse.
Natürlich würden Die Früchte eines Solchen Baumes etwas … Abenteuerlich… aussehen.
*die ... solchen ... abenteuerlich
ignorierte es sofort wieder, weil Prioritäten.
*weil er andere Prioritäten hatte.
Er ignorierte speziell sie Atmung.
*die Atmung
„Oh, verdammte sch —“
*Sch —
in der Luft wieder, wahrend seine Beine
*während
Zum Stil: Kann man so machen, aber auf die Dauer geht einem die Eloquenz auf den Senkel. Man muss nicht JEDEN Inhalt krampfhaft so lustig/ironisch/hyperpräzise formulieren.
- Zu viele Absätze.
- Unlogisches. Die Uhr kann nicht über die Brust schwingen, wenn die Person im Graben liegt. Sie liegt dann auf.
- Die Szene an sich finde ich unverständlich und wenig sortiert. Sie sorgt dafür, dass ich sehr schnell aufgehört hätte, sie zu lesen. Aber das weiterlesen hat mich nicht mehr in die Szene nicht näher gebracht.
- Die Sache mit der Falle ist für mich als Leser, als ich es zum ersten mal las, nicht verständlich.
an deinem stil ist nichts auszusetzen...es ist dein persönlicher stil 👍 normalerweise können sich die menschen alles richtig zusammenreimen...und wie ich heute las, ist mein stil sowieso schlimmer... 🙃