Latein Deponentien?

2 Antworten

Von Experte Willy1729 bestätigt

Die Deponentia (die es ja auch in anderen alten indogermanischen Sprachen gab) sind ein Überbleibsel eines viel älteren Verbsystems, das bereits im Indogermani­schen ein Relikt aus älteren Tagen war. Die Frage läßt sich aber nicht ohne Spekula­tion beantworten, weil man ja keine hinreichend alten Texte hat, um die verschie­denen Theorien zu überprüfen.

Vermutlich hatte eine weit entfernte Vorfahrensprache des Indogermanischen ein Sy­stem, wie man es heute von Ergativ-Sprachen (z.B. Georgisch) kennt: Transitive Ver­ben hatten andere Konjugationsendungen als intransitive. Später wurden die Endun­gen der transitiven Verben als aktiv interpretiert, und sie konnten auch die Endungen der intransitiven Verben nehmen um eine Art Passiv zu bilden, vermutlich zuerst eher ein Medium als ein echtes Passiv: Das Subjekt begeht eine Handlung, die aufs Sub­jekt zurückwirkt, ähnlich wie bei reflexiven Verben im Deutschen. Im Lateinischen ist diese ehemals mediale Bedeutung des Passiv gelegentlich noch sichtbar, z.B. lavor ‘ich wasche mich’.

Ein starker Hinweis, daß das so war, sind die Perfektendungen. Das Perfekt hatte im Indogermanischen eine statische Bedeutung (ich habe gegessen = ich bin satt) und war nicht transitiv. Fürs Perfekt gab es keine Unterscheidung zwischen Aktiv und Pas­siv (deshalb hat Latein auch kein passives Perfekt, sondern es muß umschrieben wer­den), und die Endungen waren speziell, erinnerten aber mehr ans Passiv als ans Aktiv. Das paßt zur Annahme, daß Passivendungen und Intransitivität eng miteinander ver­bunden sind.

Der Trend in der Sprachentwicklung ging dann dahin, daß die Aktiv/Passiv-Unter­schei­dung gestärkt wurde. Transitive Verben konnten beides bilden, und intransitive wur­den zunehmend im Aktiv konjugiert. Aber manche intransitive Verben behielten die alten Passivendungen, sogar wenn sie in manchen Fällen (z.B. sequī ‘folgen’) später transitiv wurden. Langfristig wurden diese Anomalien aber behoben — in allen roma­nischen Sprachen sind die Abkömmlinge von sequī ganz normale aktive Verben, z.B. ital. seguire oder span. seguir. Solche unhistorischen Aktivformen von sequī fin­det man bereits im Spätlateini­schen, und langfristig blieb dem Verb sowieso nichts an­deres übrig, weil alle romanischen Sprachen die Passivformen das Lateinischen auf­gegeben haben.

Diejenigen indogermanischen Sprachen, die noch über echte ererbte Passivformen verfügen, können auch heute noch Deponentia haben, z.B. griech. αισθάνομαι aisthá­nomai ‘ich fühle’ (verwandt mit den Fremdwörtern Ästhetik und Anästhesie) oder έρχομαι érchomai ‘ich komme’. Beide waren bereits im Altgriechischen Deponentia.

Aber auch Sprachen, die das originale Passiv verloren und später ein neues gebildet haben (z.B. Schwedisch) können Deponentia haben, die in diesem Fall natürlich viel jünger sind. Ein Beispiel ist hoppas ‘hoffen’; die Bedeutung dieses Verbs ist intrinsisch medial (man hofft ja für sich selbst), und deshalb bildet es formal passive Formen, deren Bedeutung eher aktiv ist (das schwedische Passiv hat sich aus einer Konstruk­tion mit dem Reflexivpronomen entwickelt, deshalb ist das Passivkennzeichen ein -‍s- wie beim Wort sich).

Woher ich das weiß:Hobby – Angelesenes Wissen über Sprach­geschich­te und Grammatik

Hallo,

zum Teil gehen die Deponentien auf das Medium zurück, das sich im Altgriechischen erhalten hat, im Lateinischen aber verschwunden ist.

Das Medium bezeichnete eine Handlung, die entweder reflexiv war: Ich wasche mich, ich ziehe mich an, ohne ein Aktiv und ein Reflexivpronomen zu benutzen.

Es kann auch eine Handlung bezeichnen, die im Interesse des Handelnden geschieht:
Ich bestelle mir eine Pizza, ich stimme für mich usw.

Manchmal wurden auch ganz normale aktive Handlungen, die nicht medial waren, durch Deponentien ausgedrückt, weil sich das eben so ergab im Laufe einer lebendigen Sprache.

Herzliche Grüße,

Willy