Karikaturen Napoleon interpretieren?

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Die Karikaturen zeigen Napoleon, wie er Niederlagen erleidet und seine Herrschaft dem Untergang zugeht, nachdem sein Rußlandfeldzug 1812 scheiterte und er in Kämpfen mehrfach besiegt wurde, z. B. in der Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober 1813.

1) Triumph des Jahres 1813. Den Deutschen zum Neuenjahr 1814

Die Karikatur ist eine kolorierte (gefärbte) Radierung, angefertigt von Johann Michael Voltz. Zu sehen ist der Kopf und ein Teil des Oberkörpers (in der Höhe des Brustbereichs) mit einem Teil seines Uniformrockes. Sie wandelt als Vorlage verwendete Napoleonbildnisse aus einer erfolgreichen Zeit Napoleons ab, wie sie z. B. Heinrich Anton Dähling und Gottfried Arnold Lehmann angefertigt hatten.

1813 triumphiert nicht mehr Napoleon, sondern seine Gegner bzw. in einer Deutung die Hand Gottes fügen ihm Niederlagen zu.

Napoleons Mund ist zusammengekniffen, was Anspannung, Verärgerung und Grimmigkeit zieht.

In der Karikatur steckt satirischer Hintersinn in der Abwandlung von Napoleon-Bildnissen.

Der Zweispitz (eine bestimmte Art von Hut) mit einer blau-weiß-roten Kokarde (eine Bandschleife in Form einer Rosette, als Abzeichen an der Kopfbedeckung oder Kleidung getragen; mit diesen Farben in der Französischen Revolution aufgekommen, deren Erbe Napoleon zum Teil übernommen hat) ist zu einem Adler geworden, der sich an Napoleons Kopf festkrallt und ihn nicht mehr losläßt. Der Adler steht für Preußen (ein Adler war unter anderem ein Wappentier von Preußen), das Napoleon bekämpft.

Der Kopf ist aus nackten Leichen zusammengesetzt (sogenannter Leichenkopf). Napoleon wird damit als Verursacher des Todes von mehreren hundertausenden Menschen gebrandmarkt, die seinem Streben nach Macht, Herrschaft und Ruhm zum Opfer gefallen sind. Er wird als ein mit seinen Eroberungsabsichten und Kriegen todbringender Mensch dargestellt. Sein „wahres Gesicht“ soll entlarvt werden.

Der rote Kragen kann als Strom von Blut betrachtet werden, das aufgrund seines Ehrgeizes geflossen ist.

Der Teil des Uniformrockes ist eine Landkarte mit einem Ausschnitt von Deutschland, worauf Gebietes des 1813 zusammenbrechenden Rheinbundes zu sehen sind. Mit einem Kreuz bei Ortsnamen werden Schlachten angezeigt. Die Schlacht bei Großgörschen/Lützen fand am, 2. Mai 1813 statt, die Schlacht bei Großbeeren am 23. August 1813 statt, die Schlacht an der Katzbach am 26. August 1813, die Schlacht bei Kulm (Culm) am 29. und 30. August 1813, die Schlacht bei Dennewitz am 6. September 1813, die Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober 1813, die Schlacht bei Hanau am 30. und 31. Oktober 1813. In Höchst verbrachte Napoleon am 1./2. November seine letzte Nacht auf rechtsrheinischem Boden. Danach trat er mit dem Hauptteil seiner Truppen den Rückzug an. Die Schlacht bei Großgörschen/Lützen und die Schlacht bei Hanau konnte Napoleon als Siege verstehen, wenn auch mit erheblichen Verlusten, die übrigen Schlachten waren Niederlagen Napoleons.

Das rot eingefärbte „Erfurt“ (anstatt der Uniformspange) steht für den Erfurter Fürstenkongress 1808, bei dem Napoleon auch mit dem russischen Herrscher Alexander I. zusammentraf, wobei ein Bündnisvertrag abgeschlossen wurde, der Napoleon aber letztlich nichts einbrachte.

Aus dem Orden der Ehrenlegion (auf der Höhe des Herzes) ist ein Spinnennetz mit Spinnen geworden, von dem sich Fäden über das Gebiet erstrecken. Dies steht für Beeinflussung, Kontrolle, Herrschaft und Suche nach Beute.

Die goldgelbene Epaulette (Schulterstück einer Uniform) wird zur Hand Gottes. Sie ergreift Fäden des Spinnennetztes und beginnt, das Spinnennetz (Napoleons Herrschaftssystem über Deutschland) zu zerreißen.

Dagmar Burkhart, Heldensturz : deutsche, englische und russische Napoleon-Karikaturen zur Völkerschlacht von Leipzig. In: Das Jahr 1813, Ostmitteleuropa und Leipzig : die Völkerschlacht als (trans)nationaler Erinnerungsort. Herausgegeben von Marina Dimitrieva und Lars Karl unter Mitarbeit von Paweł Gorszcyński. Köln ; Weimar ; Wien : Böhlau Verlag, 2016, S. 223:  

„Die erfolgreichste Napoleon-Karikatur indes erschien Ende des Jahres 1813 nach der als Triumph über den Todbringer gefeierten Schlacht bei Leipzig. Napoleon, „Bevollmächtigter der Höllenliga, kommandierender General der Legionen von Skeletten, zurückgelassen in Moskau, Smolensk, Leipzig“, wird von dem Kupferstecher Johann Michael Voltz aus Nördlingen als sogenannter „Leichenkopf“ karikiert (Abb. 5). Die Verleger dieser kolorierten Radierung, die Gebrüder Henschel, kündigten sie in den „Berliner Nachrichten“ vom 9. Dezember 1813 an mit den Worten: „Eine überraschende Allegorie in Brief-Format mit der Unterschrift: Triumph des Jahres 1813. Den Deutschen zum Neuenjahr 1814 ist so eben erschienen und bei uns couleurt à 6 Gr. Courant zu haben.“ Innerhalb einer Woche wurden in Berlin 20.000 Exemplare des aus Leichendarstellungen zusammengesetzten Napoleon-Profilkopfes verkauft. Eine Vorlage für die Radierung lieferte wohl Gottfried Arnold Lehmanns Gemälde „Napoleon Le Grand“ von 1806. Dieses weitgehend naturgetreue Porträt-Bildnis wurde auf Gebrauchsgegenstände gedruckt, etwa auf Schnupftabaksdosen, und fand auch in Kupferstichen weite Verbreitung.

Anlässlich einer Neuauflage von Voltzens „Leichenkopf“, dieser „Wahren Abbildung des Eroberers“– der Bildtitel spielt mit der Redensart „sein wahres Gesicht zeigen“ − brachten die Gebrüder Henschel 1814 einen Bilderläuterungstext auf einem separatem Blatt heraus, welcher der Entschlüsselung der Bildsemantik dienen sollte:“

https://repository.library.brown.edu/studio/item/bdr:232324/

Wahre Abbildung des Eroberers

Der Hut ist Preußens Adler, welcher mit seinen Krallen den Großen gepackt hat und ihn nicht mehr losläßt.

Das Gesicht bilden einige Leichen von denen Hunderttausenden, welche seine Ruhmsucht opferte.

Der Kragen ist der große Blutstrom, welcher für seinen Ehrgeiz so lange fließen mußte.

Der Rock ist ein Stück der Landcharte des aufgelößten Rheinbundes. An allen darauf zu lesenden Orten verlohr er Schlachten. Das rothe Bändchen bedürfte des erklärenden Ortes wol nicht mehr. Der große Ehrenlegionsorden ist ein Spinnengewebe, dessen Fäden über den ganzen Rheinbund ausgespannt waren; allein in der

Epaulette ist die mächtige Gotteshand ausgestreckt, welche das Gewebe zerreißt, womit Deutschland umgarnt war und die Kreuzspinne vernichtet, die da ihren Sitz hatte, wo ein Herz seyn sollte!“

2) Das Kartenhaus

Die Karikatur ist eine kolorierte Radierung von Ende 1813.

Das Kartenhaus ist eine Metapher für einen Herrschaftsplan Napoleons, der zunichte gemacht wird.

Es gibt Redensarten, ein Kartenhaus zu bauen/errichten, und von einem zusammenfallenden/einstürzenden Kartenhaus. Ein Kartenhaus aus Spielkarten zu errichten, ist eine Spielerei und kann übertragen für Wünsche, Phantasien, Absichten und Plane stehen, die leicht durch eine Störung zum Scheitern gebracht werden könnnen.

Napoleon sitzt an einem Tisch. Er trägt die Uniform eines Offiziers der Garde-Jäger zu Pferd, mit grünem Uniformrock (Kragen und Ärmelbesatz rot, Epauletten goldgelb), weißer Hose und schwarzen Stiefeln mit Sporen. An seiner linken Seite trägt er einen Degen. Die Basis des Tisches hat die Aufschrift „Universalmonarchie“. Eine Universalmonarchie bedeutet, eine allgemeine Oberherrschaft eines Herrschers (in diesem Fall Kaiser Napoleon I.) über die ganze Welt zu beanspruchen. Getragen wird der Tisch von einem Adler, einer symbolischen Figur. Nachdem Napoleon Bonaparte 1804 zum Kaiser geworden war, hat er (sich in eine Tradition zum Kaisertum des Römischen Reiches stellend) Adler zu Feldzeichen der französichen Armee gemacht. Schmückend hängt am Tisch ein Band mit dem Orden der Ehrenlegion.

Die Karten sind mit den Namen von Staaten bzw. Ländern beschriftet (teilweise in keiner guten Rechtschreibung): Italien, Neapel, Schweitz (Schweiz), Asia (= Asien) Spanien, Portugal, Illyrien, Hamburg, Dänemark, Holland, Rom, Westpfahlen (Westphalen/Westfalen), Würtenberg (Württemberg), Baden, Sachsen, Bayern, Oestreich (Osterreich), Schweden, Preußen, Rußland.

Dies sind Staaten bzw. Länder, die Napoleon unterworfen hat oder seinem Einflußbereich eingegliedert hat oder zu besiegen und zu erobern hoffte.

Ein bewaffneter, bärtiger Soldat ist drohend an den Tisch herangetreten. An seinem rechten Arm hat er anscheinend eine Peitsche (Kosakenpeitsche). An seiner linken Seite erstreckt sich ein Säbel nach unten. Der Soldat kann als Kosake verstanden werden. Kosaken spielten zur Zeit der Koalitionskrieges eine bedeutende Rolle in der russischen Armee. Auf Karikaturen steht ein Kosak oft für das russische Reich.

Die Situation bezieht sich auf den gescheiterten Rußlandfeldzug von 1812, den Napoleon unternommen hat, und die weitere Bekämpfung Napoleons durch das russische Reich und weitere Staaten.

Der Soldat tritt energisch auf und hat damit schon das Wegfallen einiger Karten bewirkt (Rußland liegt am Boden, ist also für Napoleon völlig verloren, in der zeitlichen Reihenfolge, wie sie dem Kampf gegen Napoleon beitraten, folgen in der Entfernung vom Boden dann Preußen, Österreich, Schweden und Sachsen).

Der Kosake ruft Napoleon zu: „Dein Spiel ist aus!" Dies heißt übertragen: Die Pläne und Hoffungen Napoleons über ein großes Weltreich sind in der Wirklichkeit am Zusammenbrechen.

Napoleon hat sein rechtes Bein noch ausgestreckt, als ob er gerne den Kosaken aufhalten und seinen Tisch mit dem Kartenhaus schützen möchte, kann ihn aber nicht tatkräftig hindern, sitzt leicht zurückgebeugt und scheint unangenehm überrascht zu sein. Er ruft klagend: „O weh mein Haus!" Napoleon hebt verzweifelt die Hände, als ob er um Mitleid bitten möchte. Er ist eindeutiger Verlierer. Ein Wegrutschen weiterer Karten ist zu erwarten. Die tatsächlichen und erträumten Eroberungen werden Napoleon verlorengehen.

Gisela Vetter-Liebenow, Napoleon - Genie und Despot : Ideal und Kritik in der Kunst um 1800. Hannover : Wilhelm-Busch-Gesellschaft, 2006, S. 116:  

„Das Kartenhaus, Ende 1813 Radierung, koloriert; 18,7 x 22, 6 cm […]. Den Zusammenbruch von Napoleons Imperium überträgt der Künstler in das Bild eines in sich zusammenfallenden Kartenhauses. Wie so häufig in den deutschen Napoleon-Karikaturen ist der direkte Gegenspieler Napoleons ein Kosak, der ihm hier zuruft: „Dein Spiel ist aus!" Der selbst ernannte „Universal-Monarch" klagt um das verlorene Haus, denn alle seine schon gemachten oder nur erträumten Eroberungen gleiten ihm aus den Händen. Schon verloren sind Russland, Schweden, Österreich und Bayern, während die Karten von Italien, Neapel, Schweiz, Spanien, Portugal, Illyrien, Hamburg, Dänemark, Holland, Rom, Württemberg, Westfalen, Baden, Asien und Sachsen noch auf dem Tisch liegen. Die Tischplatte wird von Symbolen der napoleonischen Herrschaft getragen bzw. geschmückt: Dem Adler und dem Orden der Ehrenlegion. Der Adler bekrönte nicht nur Napoleons Zepter, sondern auch - wie einst bei den römischen Legionen - die Feldzeichen seiner Truppen. Am 5. Dezember 1804, drei Tage nach seiner Krönung zum Kaiser, hatte Napoleon sie seinen Soldaten in einer feierlichen Zeremonie übergeben. Der Orden der Ehrenlegion wurde auf Initiative Napoleons bereits 1802 ins Leben gerufen; als ziviler und militärischer Verdienstorden wird er bis heute verliehen.“

lellikelli 
Fragesteller
 03.04.2018, 12:19

ich bedanke mich recht herzlich bei ihnen für ihre mühe und hilfe. es hat mir sehr weitergeholfen und ich weiß ihren aufwand sehr zu schätzen😊

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Bild 1

Das Gesicht: Bestehend aus Millionen Kriegsopfer

Seine Mütze: Ein Adler der alles sieht

Seine Unform: Die Landkarte von allen eroberten Gebieten

Die Koppel: Die kratzende Hand auf russischem Gebiet