Kann mir jemand das Modell der Singularitäten in der Soziologie erklären?
Ich muss das irgendwie können und da die Theorie sehr neu ist, findet man kaum was im Internet dazu. Also wie wird horizontal und vertikal eingeordnet?
1 Antwort
Das Modell der Singularitäten stammt vom Soziologen Andreas Reckwitz und ist tatsächlich eine relativ neue Theorie (2017/2019), die versucht, moderne gesellschaftliche Entwicklungen besser zu erklären – besonders in Bezug auf Kultur, Ökonomie und soziale Ordnung.
Im Gegensatz zu Standardisierung (also der Idee, dass Dinge möglichst gleich, funktional, austauschbar sein sollen – wie in der Industriegesellschaft), geht es bei Singularitäten um Dinge, die als besonders, einzigartig, unvergleichlich gelten. Das können sein:
- Personen (z. B. Influencer, Künstler, "charismatische" Persönlichkeiten)
- Dinge (Designobjekte, Boutique-Produkte)
- Erlebnisse (Reisen, Events, individuelle Erfahrungen)
- Orte (hippe Stadtviertel, angesagte Locations)
Diese Dinge werden nicht objektiv einzigartig gemacht, sondern symbolisch aufgeladen, z. B. durch Erzählungen, Likes, Reviews, Medien etc. Sie werden als „besonders“ inszeniert – und das macht sie im Kapitalismus auch ökonomisch wertvoll.
In Reckwitz' Modell gibt es eine zweidimensionale Ordnung:
1. Vertikale Achse – soziale Hierarchie:- Diese beschreibt soziale Ungleichheit.
- Oben sind die „Gewinner“ des neuen Kapitalismus (akademische Mittelklasse, kreative Klasse etc.), unten die „Verlierer“ (prekär Beschäftigte, klassische Industriearbeiter*innen etc.).
- Zugang zu Singularitäten ist ungleich verteilt – z. B. wer kann sich besondere Reisen, Bildung, Kunst leisten?
- Hier geht es um die Vielfalt an Lebensstilen, Milieus und Geschmäckern.
- Unterschiedliche Gruppen streben nach eigener Form von Besonderheit – z. B. Hipster vs. Traditionalisten vs. spirituelle Sinnsucher.
- Gesellschaft ist also nicht nur "oben/unten", sondern auch "nebeneinander" vielfältig.
- Die Gesellschaft ist im Wandel von einer standardisierten Industriegesellschaft hin zu einer singularisierten Spätmoderne.
- Werte wie Authentizität, Kreativität, Einzigartigkeit verdrängen Norm, Funktion, Masse.
- Das erzeugt neue Formen von sozialem Druck, weil alle irgendwie „besonders“ sein wollen/müssen – auch in Social Media usw.
- Gleichzeitig verstärken sich soziale Ungleichheiten, weil nicht alle Zugang zu diesem "Markt der Besonderheit" haben.