"Halbwertzeit"?
Laienfrage:
Radioaktive Stoffe geben verschiedene Arten von Strahlung ab und wandeln sich dabei in einen anderen, stabileren(?) Stoff um. Aus z.B. radioaktivem Uran wird über die Zeit Blei.
Für diesen Vorgang gibt man die sog. "Halbwertzeit" an. Diese sagt aus, wie lange es dauert, bis die Hälfte eines radioaktiven Stoffs sich umgewandelt hat. Nach einer Zeitspanne X bleibt von 1 kg Uran dann 0,5 kg Blei und 0,5 kg Uran übrig. Nach einer weiteren Dauer von X sind es 0,25 kg Uran und 0,75 kg Blei. Nochmal Spanne X und es sind nur noch 0,125 kg Uran - usw.
Wieso ist das so linear?
Wenn ich 1 L Wasser zu Dampf verkoche - nach einer Zeitspanne Y habe ich 0,5 kg Wasser und 0,5 kg Dampf. Um nun die restlichen 0,5 kg Wasser zu 1/4 L einzukochen wird doch auch nur noch die Hälfte von Y benötigt - es geht also immer schneller, jeweils die verbleibende Hälfte umzuwandeln.
Wieso ist das hier anders als bei Radioaktivem Zerfall?
4 Antworten
Dein Vergleich hinkt:
- Beim radioaktiven Zerfall kommt die Ursache aus den zerfallenden Kernen. Mit jedem Kern, der zerfällt, geht ein Teil der Ursache verloren. Der Zerfall ist übrigens nicht reziprok-linear, sondern umgekehrt exponentiell.
- Beim Wasserkochen hast Du uns verschwiegen, dass Du mit immer der gleichen Wärmezufuhr arbeitest. Hier wird die gleiche Wärmemenge von immer weniger Masse aufgenommen, was den Vorgang zusätzlich beschleunigt. Wird die Wärmezufuhr entsprechend der verbleibenden Masse zurück gedreht, wäre es das gleiche in Grün. Sozusagen.
Das ist ein rein statistischer Effekt.
Zu Erklärung:
1) Ein einführendes Beispiel:
Nehmen wir an, Du hättest eine Münze und würdest diese werfen. Die Wahrscheinlichkeit Wappen zu werfen beträgt 1/2. Das heißt, dass in der Hälfte aller Versuche Wappen geworfen wird. Wenn du nun sehr viele Münzen wirfst, wird die Hälfte dieser Münzen Wappen zeigen. Dies gilt egal wann und wo Du diese Münzen wirfst, ob auf einmal oder nacheinander über Jahre verteilt, ob an einem Ort oder über die ganze Welt verteilt. Die Münzen beeinflussen sich gegenseitig natürlich nicht. Das meinte ich mit, es ist ein rein statistischer Effekt.
Merke: aus der Tatsache, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Münze 0,5 beträgt, folgt, dass bei sehr vielen Würfen, die Hälfte aller Münze Wappen zeigen wird.
2) jetzt zum radioaktiven Zerfall:
Der Zerfall eines radioaktiven Atoms ist rein zufällig; und zwar objektiv zufällig. Es gibt aber unterschiedliche Atome die eine unterschiedliche Tendenz zum Zerfallen haben und damit auch eine unterschiedliche Wahrscheinlichkeit zu zerfallen. Ein ganz konkretes Atom kann jetzt sofort zerfallen oder erst in einer Stunde oder einem Monat. Je länger du es aber beobachtest, je größer also das Zeitintervall ist, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass es innerhalb dieses Intervalls zerfällt. Das ist absolut logisch und hat nichts geheimnisvolles an sich.
Ich möchte den Begriff der Halbwertszeit nun etwas anders aber völlig äquivalent zur üblichen Definition definieren:
Die Halbwertszeit ist das Zeitintervall, innerhalb dessen ein ganz bestimmtes einzelnes Atom mit der Wahrscheinlichkeit 0,5 zerfällt.
Nun zurück zu unserem Einführungsbeispiel: wir haben gelernt, dass aus der Wahrscheinlichkeit von 0,5, dass eine Münze Wappen zeigt, folgt, dass bei sehr vielen Würfen (bei sehr vielen Münzen) die Hälfte Wappen zeigen wird. Das Übertragen wir nun auf die Radioaktivität:
Aus der Wahrscheinlichkeit, dass ein einzelnes Atom innerhalb der Halbwertszeit mit der Wahrscheinlichkeit 0,5 zerfällt, folgt, dass bei sehr vielen Atomen innerhalb der Halbwertszeit die Hälfte zerfallen sein wird. Dabei ist es, ganz analog zu unserem Münzen-Beispiel, völlig egal, wie diese Atome über Raum oder Zeit verteilt sind.
3) Ergänzung:
Ich habe gesagt, dass die Atome (wie die Münzen) sich gegenseitig in ihrem Zerfall nicht beeinflussen. Dies ist auch korrekt, was den natürlichen Zerfall betrifft. Dieser entspricht sozusagen dem natürlichen Tod eines Atoms. Ich kann ein Atom aber auch sozusagen erschießen (um im Bild zu bleiben). Das ist dann die Kernspaltung. Dabei fliegen andere kleine Teile aus dem Atom, die wiederum andere sich in unmittelbarer Nähe befindenden Atome spalten können. Eine Kettenreaktion setzt ein. Die schrecklichen Folgen haben wir alle in Hiroshima und Nagasaki kennengelernt. Oder gezähmt in AKWs. Wenn genügend dieser radioaktiven Atome genügend eng zusammen sind, dann kann es passieren, dass der natürliche Zerfall von sich aus übergeht in eine solche Kettenreaktion. Dies ist bei Erreichen der sogenannten kritischen Masse der Fall (abhängig vom jeweiligen Element). Dies führt dann allerdings eher zu einer Verpuffung als zu einer gigantischen Explosion. Für letztere muss die kritische Masse zunächst getrennt in Einzelportionen gelagert werden, die dann mit hohem Druck aufeinander geschossen werden. Der Mensch hat das in pervertierter Form absolut perfektioniert.
die Zerfallswahrscheinlichkeit pro Zeiteinheit und Atom ist nur vom Element abhängig, nicht von seiner Menge. Wenn also nur die Hälfte der Menge da ist, gibt es in der gleichen Zeit nur halb so viele Zerfälle.
Der radioaktive Zerfall ist ein rein statistischer Prozeß und kein Alterungsprozeß. Die Wahrscheinlichkeit, ob ein bestimmter Atomkern innerhalb einer Stunde zerfällt, bleibt immer gleich: Ob es die nächste Stunde ist, die übernächste, oder eine Stunde in tausend Jahren - es sei denn, der Kern ist in der Zwischenzeit tatsächlich zerfallen.