Gibt es noch Leute die Oltimer lieber fahren als neue Autos?

7 Antworten

Von Experte rotesand bestätigt
Gibt es noch Leute die Oltimer lieber fahren als neue Autos?

Mein Auto wurde in den frühen 90er Jahren entwickelt und vor ziemlich genau 3 Jahrzehnten auf den Markt gebracht. Ob es damit als klassischer "Oldtimer" gelten darf, kann ich nicht beurteilen. Aber im direkten Vergleich mit Neufahrzeugen, mit welchen ich beruflich bedingt einen recht intensiven Kontakt habe, bereitet es mir bei jeder Fahrt - und ich besitze es bereits seit 20 Jahren - sehr viel Freude. Anbei ein paar Beispiele, weshalb genau ich das so empfinde:

  • Gasannahme. Bei meinem Auto macht der Motor dank Gaszug genau das, was ich mit dem rechten Fuß vorgebe. Kein Steuergerät, welches dazwischenfunkt. Direkte Verbindung zwischen Mensch und Maschine. Ich finde das enorm reizvoll.
  • Nichts piept, wenn ich mal absichtlich mit angezogener Handbremse fahre, unabsichtlich über eine weiße Linie fahre, oder, zum Beispiel auf einem Parkplatz, mal ein paar Meter unangeschnallt fahre. Das Auto nervt mich nicht, vielmehr ist es ein gehorsamer, stiller Diener, wie ein guter Butler.
  • Keine, ich nenne sie "Depperleinrichtungen" verbaut. Mein Auto kann ich starten, ohne dass ich das Kupplungspedal treten muss. Wenn ich selbst deppert genug bin, dabei den Gang nicht herauszunehmen (was bisher noch nie geschah), so bekomme ich die Quittung dafür. Es hält nicht automatisch die Spur, es nervt nicht mit Piepgeräuschen, wenn ich in der Stadt mal mit Tacho 55 (was übrigens bei mir echten 50 km/h entspricht) fahre. Und wenn ich laut Meinung des Autos übermüdet wirke, bekomme ich nicht alle 15 Minuten die Meldung, doch bitteschön eine Pause einzulegen. Und wenn ich mal die mit Flugrost benetzten Bremsscheiben abrubbeln möchte, so kann ich dies mit Motorkraft tun, denn hier wird auch kein Gas weggenommen, sobald man das mittlere und das rechte Pedal gleichzeitig betätigt. Und auch, wenn ich mal Lust darauf bekommen sollte, den Motor im Leerlauf nahe den Begrenzer zu jagen (was ebenfalls noch nie vorkam, zumindest nicht zu Prollzwecken), so funkt keine "dududu - Einrichtung" mit erhobenem Zeigefinger dazwischen.
  • Fahrkomfort. Mein Auto ist ausgewogen gefedert, nicht möchtegernsportlich. Wenn ich sportlich unterwegs sein möchte, fahre ich Fahrrad. Es hält den Unbill der Straße meines Erachtens so gut von den Insassen fern, wie das mit einem konventionellen Fahrwerk (Stahlfedern und hydraulische Schwingungsdämpfer) möglich ist. Der Motor mit 6 Töpfen in Reihe, selbstverständlich fremdgezündet, läuft ohne Hilfsmittel seidenweich, dröhnt und brummt nie, in keinem Drehzahl, - oder Lastzustand - außer freilich, man latscht bei Leerlaufdrehzahl voll auf das rechte Pedal. Man kann eine Münze hochkant auf den laufenden Motor stellen, sie zittert nicht einmal.
  • Optik. Kein reißerischer, kindischer Quatsch wie Auspuffblenden oder Lufteinlässe ohne Funktion. Alles, was verbaut ist, ist genau deshalb so geformt, weil diese Form die optimale Funktion gewährleistet. Die Form folgt der Funktion, nicht andersherum. Das Cockpit ist in meinen Augen formschön, ohne abstehende Bildschirme, wie aus einem Guss. Die gesetzlich vorgeschriebenen Rückstrahler sind elegant (und bei eingeschalteten Schlussleuchten absolut unsichtbar) in die Heckleuchten integriert, sie pappen nicht, wie das bei quasi allen neuen Pkw der Fall ist, mit einer wie hastig nachgerüsteten Optik aussehenden Art unten am Stoßfänger. Der Auspuff ist bestmöglich versteckt, so wie sich das für eine Abfallleitung gehört. Kein Klavierlack innen, man muss keine Handschuhe tragen, um die Optik fingerabdruckfrei zu halten. Anzeigen sind fast alle analog, ich liebe es einfach, Zeigern bei ihrem "Spiel" zuzugucken. Ich möchte Auto fahren, nicht eine Spielkonsole nutzen.
  • Funktionalität. Es gibt rundum Prallschutzleisten, um dem Fahrer bei kleinen Remplern teuere Lackierarbeiten zu ersparen. Die Bedienung lenkt nur minimal ab. Jede Funktion ist schnellstmöglich ausführbar. Kein Herumgewische auf berührungsempfindlichen Bildschirmen, kein Herumgeeiere in verschachtelten Menüs. Wer die Gebläsedrehzahl ändern möchte, dreht an einem Knopf. Wer die Luftdichtung ändern möchte, ebenfalls. Wer die Lautstärke ändern möchte, ebenfalls. Wer eine bestimmte Funktion benötigt, drückt einen echten Knopf. Alles mit wunderbarer Rückmeldung, man muss nicht 2x hinsehen, man spürt es im Finger. Alles Selbstverständlichkeiten, sollte man meinen? Na, schaut Euch mal die meisten aktuellen Autos an.

Bewusst lasse ich an dieser Stelle außen vor, um welches genaue Modell es sich handelt, um mir Sätze wie "Du redest Dein Auto / Dein Modell / "Deine" Marke doch nur schön" zu ersparen. Es ist ohnehin kaum relevant, da der Großteil der Modelle dieser Zeit mir Dinge bieten, auf welche ich wert lege.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

rotesand  07.02.2025, 16:49
Es ist ohnehin kaum relevant, da der Großteil der Modelle dieser Zeit mir Dinge bieten, auf welche ich wert lege.

Toll formuliert, das geht mir genauso.

Ich würde mich auch ohne Weiteres mit einem Golf III mit 75 oder 90 PS oder einem Astra F mit 71 oder 75 PS anfreunden können - da wäre ich auch sehr zufrieden, nur Kleinwagen wären mir dann doch etwas zu "klein".

rotesand  07.02.2025, 16:45

Ich kann dir nur zustimmen.

Mir war sogar die E-Klasse W211 zu "modern". Da haben mich Meldungen des Systems genauso genervt wie die Tatsache, dass rundherum lackierte Leisten ständig Kratzer verursacht haben, die bei alten Modellen nicht auftreten, weil diese wie von dir erwähnt geschützt sind. Auch das Menü der Klimaautomatik war komplizierter als nötig, einzig der Fahrkomfort war gut, aber das konnte Mercedes früher auch besser. Das Radio erinnerte trotz antiquiertem Cassettendeck an eine Highend-Stereoanlage, aber die habe ich schon im Wohnzimmer, ich brauche so was nicht im Auto und will im Auto nur Radio hören - und das mit ergonomisch sinnvoll belegten Tasten, nicht mit winziger Telefontastatur (ohne dass ein Telefon drin gewesen wäre); für das schöne, hinterleuchtete Display kann ich mir nichts kaufen. Das Interieur war zugegeben schön, es war aber nicht so robust verarbeitet wie in meinem Jetzigen - man merkte beim W211, dass bei DaimlerChrysler gespart werden musste.

Viele haben es nicht verstanden, warum man einen 2004er Mercedes, der gefühlt noch "aktuell" aussieht, gegen einen Wagen (auch ich nenne mein Modell jetzt nicht) in Zahlung gibt, der ursprünglich 1994 auf den Markt kam und für die meisten trotz seines zeitlosen Designs eine alte Kiste mit riesigen glatten Flächen ist - und ich musste mir auch anhören, ich würde mir das nur schön reden und sowieso in meiner Vergangenheit leben und diese zwanghaft kultivieren - aber es ist tatsächlich auch so, dass sich meine Autokosten verringert haben und ich mir jetzt keine Gedanken mehr um nervige, unzuverlässige, piepsende Autos machen muss.

Der Benz fuhr im Alltag recht zuverlässig und man muss ihn nicht schlecht reden. Konzeptionell war das Auto gut, der Wagen hatte aber immer irgendwas und es waren immer irgendwelche elektronischen Macken, bei denen man nicht durch technisches Verständnis oder ein gutes Handbuch oder eigene Erfahrung Abhilfe schaffen kann - das ist einfach nervtötend und unangenehm. Ich hatte zu dem Auto zuletzt kein Vertrauen mehr.

Auch das Fehlen der "Depperleinrichtungen", wie du sie treffend nennst, macht in diesem Fahrzeug Spaß. Ich werde nicht gefahren, ich fahre selbst, einzig die Gänge werden von der Automatik gewechselt.

Mein "steinalter" Reihensechszylinder kann alles besser als der "neue" Mercedes, der noch Ende der 2000er als Maßstab seiner Klasse galt - und das will was heißen. Ich fahre den "Steinalten" weiter, bis es nicht mehr geht und kaufe mir dann wieder etwas in dieser Art. Es muss nicht die selbe Marke sein und auch nicht diese Klasse, aber es wird auf jeden Fall nichts, das mich bevormundet.

Ist bei mir dasselbe. Autos die nach 2000 gebaut wurden würde ich mir schon wegen den unattraktiven Karrosserieformen und dem ganzem elektronischem Firlefanz dadrin nicht mehr kaufen. Oldtimer sind simpler und robuster!

Klar gibt es die, zu Hauf.

Ich selbst fahre ganz normal im Alltag einen BMW E34 520i von 1993, mein Vater einen C126 380SEC von 1983 und sobald wir ihn fertig restauriert haben einen S124 300TE von 1992.

Gibt sicherlich noch solche Menschen. Für mich ist das nichts, da ich moderne Tesla’s absolut toll finde.

Ich fahre als daily einen Volvo 850, 32 Jahre alt und erst 1.3 Mio km auf der Uhr 😍