Gesellschaftskritischer Ansatz in Theodor Fontanes „Und alles ohne Liebe“?
Die Mutter spricht: »Lieb Else mein,
Wozu dies Grämen und Härmen?
Man lebt sich ineinander ein,
Auch ohne viel zu schwärmen;
Wie manche nahm schon ihren Mann,
Daß sie nicht sitzen bliebe,
Und dünkte sich im Himmel dann
Und – alles ohne Liebe.«
Jung-Else hört's. Sie schloß das Band,
Das ewge, am Altare,
Und lächelnd nahm des Gatten Hand
Den Kranz aus ihrem Haare;
Ihr war's, als ob ein glühend Rot
Sich auf die Stirn ihr schriebe,
Sie gab ihr Alles, nach Gebot,
Und – alles ohne Liebe.
Der Mann ist schlecht: er liebt das Spiel
Und guten Trunk nicht minder,
Sein Weib zu Hause weint zu viel,
Und ewig schrein die Kinder;
Spät kommt er heim, er kost, er schlägt,
Nachgiebig jedem Triebe;
Sie trägt's, wie nur die Liebe trägt,
Und – alles ohne Liebe.
Sie wünscht sich oft, es wär vorbei,
Wenn nicht die Kinder wären,
So aber sucht sie stets aufs neu
Zum Guten es zu kehren;
Sie schmeichelt ihm, und ob er dann
Auch kalt beiseit sie schiebe,
Sie nennt ihn »ihren liebsten Mann«
Und – alles ohne Liebe.
1 Antwort
Das Gedicht macht deutlich, dass es auf Gefühle nicht ankommt, sondern man als Frau zumindest irgendeinen Mann heiraten sollte, um nicht gesellschaftlich geächtet zu werden.
Die Frau hat sich zu fügen, ihre vorgeschriebene Rolle auszufüllen, der Mann kann machen, was er will, ohne dass er von jemandem kritisiert oder zurechtgewiesen wird. Wenn das keine Gesellschaftskritik ist, was ist denn dann Kritik an einer Gesellschaft? Man sieht übrigens, wie viel sich positiv geändert hat für Frauen in unserer Gesellschaft heute. Man sieht aber auch, dass es Kulturen in der Welt gibt, die diese alte Vorstellung von der Rolle der Frau immer noch haben. Das konnte Fontane allerdings nicht ahnen.