Fuisse?

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Hallo,

der AcI ist eine satzwertige Konstruktion. Im Unterschied zu einem "normalen" Satz hat der AcI aber keine Verbform mit Personalendung als Prädikat, sondern einen Infinitiv. Das logische Subjekt des Infinitivs steht dabei nicht im Nominativ, sondern im Akkusativ (der sogenannte Subjektsakkusativ). Der Subjektsakkusativ und der Infinitiv bilden dabei eine Art von Rahmen. Alles, was in diesem Rahmen steht gehört inhaltlich zum AcI.

Wir haben übrigens auch im Deutschen echte AcI. Beispiele:

Ich sehe die Vögel fliegen. - Aves volare video. [avis, avis f – Vogel]

Sie haben ihn da sitzen sehen. - Eum ibi sedere viderunt.

Er hört die Flöhe husten. - Pulices tussire audit. [pulex,-icis m – Floh]

Ich habe dich singen hören. - Te cantare audivi.

Wir hindern euch zu kommen. - Vos venire prohibemus.

Sie fordert ihn auf zu warten. - Eum exspectare iubet.

Ihr lasst uns gehen. - Nos abire sinitis.

Was du jetzt gut erkennen kannst: Die Akkusativobjekte in den deutschen Sätzen sind gleichzeitig die logischen Subjekte zu den Handlungen, die die Infinitive ausdrücken. Frage: Wen oder was sehe ich ? - Die Vögel. Wer fliegt? - Die Vögel. etc.

Im Deutschen sind AcI aber nur bei wenigen Verben möglich (vor allem Verben der Wahrnehmung, des Veranlassens und Verhinderns), in Latein dagegen können AcI auch von Verben des Sagens, Denkens, Glaubens, Meinens und Fühlens abhängen oder auch von unpersönlichen Ausdrücken wie "constat" = "es steht fest, es ist bekannt".

Im Deutschen verwenden wir meistens dass-Sätze. Das ist der Grund, warum du einen AcI in der Regel als dass-Satz ins Deutsche übersetzt. Dabei machst du aus dem Subjektsakkusativ das Subjekt im dass-Satz, aus dem Infinitiv das Prädikat. Auch die deutschen Beispiele kannst du entsprechend in dass-Sätze verwandeln:

Ich sehe die Vögel fliegen. = Ich sehe, dass die Vögel fliegen.

Sie haben ihn da sitzen sehen. = Sie haben gesehen, dass er da gesessen ist.

Er hört die Flöhe husten. = Er hört, dass die Flöhe husten.

Steht im lateinischen Satz ein Infinitiv Präsens, drückt der Infinitiv die Gleichzeitigkeit zum übergeordneten Verb aus. Du übersetzt also den Infinitiv mit derselben Zeit wie das Verb, von dem der AcI abhängt.

Steht dagegen ein Infinitiv Perfekt (Bildung: Perfektstamm + -isse) , drückt der Infinitiv die Vorzeitigkeit zum übergeordneten Verb aus. Du übersetzt dann den Infinitiv mit Perfekt oder Präteritum, wenn das übergeordnete Verb im Präsens oder im Futur steht; du übersetzt ihn mit Plusquamperfekt, wenn das übergeordnete Verb in einem Tempus der Vergangenheit steht:

Scio te iam adfuisse. = "Ich weiß dich schon da gewesen zu sein." = Ich weiß, dass du schon da gewesen bist. (oder: Ich weiß, dass du schon da warst.)

aber:

Nesciebam te iam adfuisse. = "Ich wusste nicht dich schon da gwesen zu sein." = Ich wusste nicht, dass du schon da gewesen warst.

Kleine Merkhilfe: Auslöserverben für einen AcI sind Kopfverben: Sie bezeichnen Vorgänge im und um den Kopf herum: sehen, hören, sagen, glauben, meinen etc.

Und ein Tipp: Ein AcI kann entweder vor oder hinter dem Auslöserverb stehen. Steht er dahinter, ist das erste Wort nach dem Auslöserverb (also nach dem Verb mit der Personalendung) der Subjektsakkusativ und der Infinitiv steht dann ganz am Satzende. Das bedeutet: Steht am Satzende ein Infinitiv statt eines Verbs mit Personalendung ist die Wahrscheiunlichkeit groß, dass es sich um einen AcI handelt.

Dein Satz "Quintus Fortunam benignam fuisse et patrem bene valere sentit" beinhaltet den AcI Fortunam benignam fuisse et patrem bene valere. Genauer gesagt handelt es sich um zwei durch "et" verbundene AcI, die von "sentit" abhängen.

fuisse ist der Infinitiv Perfekt zu esse.

Übersetzung: Quintus spürt/meint, dass Fortuna gutmütig/wohlwollend gewesen ist und (dass) es seinem Vater gut geht.

Hoffe, das hilft dir weiter.

LG