Erfahrung Stadt und Land Rettung?

2 Antworten

Von Experte iwaniwanowitsch bestätigt

In der Stadtrettung ist das Einsatzaufkommen halt sehr hoch, ich habe genügend Tage erlebt, an denen man von Notfalleinsatz zu Notfalleinsatz fährt, die Pause ausgefallen ist, man keine Zeit für normale menschliche Anliegen wie einen Toilettengang oder Essen hatte und noch nichteinmal die Wache vor Dienstende wiedergesehen hat (erster Einsatz gleich nach Dienstbeginn rausgefahren und erst nach Dienstende wieder in der Wache), dass schlaucht einem extrem. Deswegen sind in der Stadtrettung aber häufig auch die Dienstzeiten kürzer, 8 oder 12 Stunden Dienste sind hier üblich, auf dem Land begenen einem auch noch häufiger 24 Stunden Dienste. Der Vorteil an der Stadtrettung, man hat in aller Regel kurze Fahrwege, ist in durchschnittlich zehn Minuten beim Patienten und mit dem Patienten auch meistens innerhalb von 15 Minuten in einem für ihn geeigneten Krankenhaus. In gleicher Zeit, treffen auch nachgeforderte Kräfte aller Institutionen am Einsatzort ein (Polizei, Feuerwehr, weiterer RTW oder KTW, NEF). Auf dem Land sind die Fahrwege zum Krankenhaus meistens wesentlich länger und man ist am Einsatzort meistens länger auf sich gestellt, da nachgeforderte weitere Kräfte inklusive Notarzt ebenso weitere Wege haben.

Man muss letzten Endes für sich selber herausfinden, was einem besser liegt und dass mag auch altersabhängig sein. Während für junges Rettungsdienstpersonal die Stadtrettung sehr attraktiv sein kann und meiner Ansicht nach auch einen höheren Lern- und Erfahrungsschatz birgt, ist für ältere Kollegen wohl dann eher die Landrettung attraktiver.

Mfg

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Rettungsdienst🚑, sehr großes Interesse an Notfallmedizin.
Ben1302540 
Fragesteller
 26.08.2021, 21:19

Vielen Dank für deine Antwort hat mir sehr geholfen.

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Von Experte Rollerfreake bestätigt

Ich versuche einmal, die Frage mit meiner bisherigen Erfahrung zu beantworten.

Seit dem Jahre 2011 arbeite ich nun im Rettungsdienst, seit Beginn der Karriere allerdings ausschließlich in der Großstadt. Meine Erfahrungen in der "Landrettung" (warum in Anführungszeichen: später) beschränken sich auf ein halbes Jahre während meines RAiP und seit zwei Jahren einen Nebenjob hin und wieder am Wochenende. Diese Stellen lagen und liegen beide zwar in einem Landkreis, aber eben in der direkten Umgebung des Ballungsraumes Ruhrgebiet, sind also nicht gleich zu setzen mit der "richtigen" Landrettung (Bayerischer Wald oder Uckermark zum Beispiel).

In der Großstadt haben wir ein paar Unterschiede zum Dienstalltag auf dem Land:

-egal wann, nach spätestens 15 Minuten ist irgendwer da, der dir helfen kann (Polizei, Löschfahrzeug, weitere Rettungswagen, Notarzt),

-egal von wo, du erreichst eine Klinik nahezu jedes Fachgebietes in längstens 15 Minuten,

-wir haben hier rundherum vier Rettungshubschrauber in direkter Nähe, und östlich und westlich zwei ebenso große Feuerwehren, die in spätestens 20 Minuten zu Hilfe kommen,

-durch die Großstadt und die damit einhergehende Berufsfeuerwehr haben wir nie das Problem, dass die Kräfte im Brandfalle oder benötigter technischer Hilfeleistung nicht in 10 Minuten da sind,

-du musst dich nie lange mit Patienten, die dir auf den Wecker gehen, beschäftigen: einladen, wegfahren, absetzen, dauert manchmal nur 15 Minuten,

-in der Stadt kann ich bei der Feuerwehr arbeiten, was meines Erachtens eklatante Vorteile gegenüber der Arbeit bei einer HiOrg stellt: TVöD, öffentlicher Dienst und ganz wichtig: Unabhängigkeit von Ausschreibungen. Der RD wird alle fünf Jahre neu geplant und dementsprechend neu ausgeschrieben. Eine HiOrg beschäftigt natürlich nur solang die Leute, wie sie die Fahrzeuge und Standorte behält,

-die Chance, mit mehreren Kollegen auf der Dienststelle zu sein, ist bei größeren Wachen natürlich größer. Ich persönlich empfinde es als angenehmer, sich in 12 oder 24 Stunden auch mal mit jemand anderem als immer dem gleichen Kollegen unterhalten zu können,

Das sind Faktoren, die ich mal als Vorteile betiteln würde (eigene Meinung).

Allerdings: wo Vorteile sind, sind auch Nachteile:

-gegenüber der Landrettung ein deutlich erhöhtes Einsatzaufkommen, speziell nachts, wo weniger KTWs im Dienst sind und diese Fahrten an den RTWs hängen bleiben,

-andere Einsätze: ich will nicht behaupten, dass man auf dem Land keine besoffenen fährt, aber was ich behaupten würde, dass es in der Großstadt DEUTLICH mehr ist. Es gibt Schichten, in denen man, je nach Standort, die Hälfte oder mehr der Fahrten auf Grund von "Alkohol, Drogen, Schlägerei" macht, der Anteil der psychischen Erkrankungen ist deutlich höher. Meines persönlichen Empfindens nach sind diese Fahrten höchstgradig nervtötend,

-die Nächte in den Innenstädten sind (speziell nachdem der Lockdown vorbei ist) der Wahnsinn. Wir haben hier ein überregional bekanntes Partyviertel, dort sind am Freitag und Samstag-Abend teils fünf RTWs dauerhaft gebunden,

-das Klientel ist schon etwas anders als auf dem Dorf: das Leute in bestimmten Gegenden Messer in der Tasche haben, musst du hier inzwischen vorraus setzen, ich könnte mir vorstellen, dass das ein Problem ist, was auf dem Dorf eher weniger verbreitet ist,

-in der Großstadt ist das aufkommen der schwachsinnigen Einsätze derart groß, dass es Schichten gibt, in denen man kein einziges Mal den Rucksack auf hat. Das verursacht eine gewisse Betriebsblindheit und Abstumpfung bei echten Notfällen. Wenn man manch einen Kollegen hört, der vorher auf dem Land Rettung gefahren ist, ist das hier deutlich stärker vertreten. Es wird für Schnupfen, Kopfschmerzen, Zahnschmerzen, Mückenstichen, umgeknickter Fuß, Hammer auf Daumen, Rückenschmerzen seit Tagen, Nackenschmerzen seit Tagen, besoffen, Fieber etc die Feuerwehr gerufen, kurzum: für jeden Mist. Den hausärztlichen Notdienst kennt niemand, selber ins Krankenhaus oder die Apotheke fährt kaum jemand, für viele kleine Probleme wird sofort die Feuerwehr gerufen. Schlafende Obdachlose sind auch so ein Klassiker: anstatt denjenigen anzusprechen und zu fragen, ob überhaupt Hilfe gewünscht wird, wird die 112 angerufen und das wars. Die Krönung war ein ARZT, welcher aus seiner Praxis den RD rief, weil gegenüber jeden Nachmittag ein Stadtstreicher auf einer Bank lag.

Das sind alles nur persönliche Erfahrungsberichte und Vorlieben. Die Frage ist ja doch recht subjektiver Natur: was suchst du im Rettungsdienst? Was sind deine Vorlieben? Was nervt dich?

Meine Empfehlung (wenn sie gefordert wäre), würde auf "Landrettung" lauten. Ich schätze einfach mal, dort macht man sich nicht so kaputt.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung