Die Erziehung des Menschengeschlechts Gotthold Ephraim

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Hallo Ragnar,

ich denke, an Deiner (Teil-)Deutung des Textes ist schon etwas dran. Lessing beschreibt "uropische" Zustände, in denen Menschen ihre Handlungen nicht mehr hinsichtlich ihres eigenen Nutzens oder Schadens auswählen würden, sondern nurnoch danach, ob sie "an sich" gut oder schlecht wären.

Was Du (denke ich) intuitiv erfasst hast und der Herr Lessing übersehen hat: Das Gute an sich existiert gar nicht. Es ist eine Eigenschaft von Dingen, Umständen und Handlungen hinsichtlich anderer Dinge oder Ziele, nämlich die Eigenschaft, für diese anderen Dinge oder Ziele förderlich zu sein (gut – für wen oder was?). Ebenso, wie es das Schlechte an sich nicht gibt, sondern nur Dinge, Umstände und Handlungen, die auf jemanden oder etwas zerstörerisch wirken.

Falls zutrifft, was ich schrieb, kann man Lessing vergessen, der offenbar eine andere Sicht auf das Gute hat, und braucht sich nur noch mit der Frage befassen, für wen oder was eine Handlung (denn es geht ja um Ethik) gut sein soll, was sie also fördern soll, und warum und wie man herausfindet, ob sie auch tatsächlich förderlich ist. (Meine Bewertung des Textes und deren Folgen)

Der Bezug zur Aufklärung ist einfach herzustellen: Das große, auch von Lessing bemühte Ideal der Vernunft. Hinterfragen könnte man allerdings, warum ausgerechnet die Vernunft an der Zerstörung ihres Trägers arbeiten soll, indem sie sich nicht zu seinen Gunsten einsetzt.

Für den Bezug auf die heutige Zeit bietet die Politik einen herausragenden Pool an Anschauungsmaterial, wenn es um den Verweis auf die Zukunft geht. Hat schon Lenin gebracht ("Es muss erst schlechter werden, bevor es besser werden kann" – was für eine tolle Ausrede dafür, dass die Revolution genau das Land gefressen hatte, das sie angeblich befreien sollte). Konkretere Beispiele für die Stelle "da er das Gute thun wird, weil es das Gute ist, nicht weil willkührliche Belohnungen darauf gesetzt sind, ..." könnten sein:

  • Das Sozialsystem (wenn man gute Gründe hat, anzunehmen, dass man wirklich niemals arbeitslos wird, warum dann in die Versicherung darauf einzahlen? Warum krankenversichert sein, wenn man auf die Stabilität seiner Gesundheit vertraut? WArum nicht (besser verzinst) selber sparen und bei Inanspruchnahme seiner Ersparnisse sich die Erniedrigung des Bittstellerseins vor der Behörde ersparen?)

  • Öffentliche Medienfinanzierung (warum die Gebühren zahlen, wenn man die einschlägigen Sender gar nicht in Anspruch nimmt?)

  • Wehrdienst (auf die meisten Soldaten wartet im E-Fall nur der Tod. Oder eine gründliche Traumatisierung. Gibt es dennoch Gründe, in die Streitkräfte einzutreten?)

  • staatliche Entwicklungshilfe.(wie viel Geld exportiert die BRD warum ins Ausland, ohne, dass ihre Bürger irgendetwas davon haben? Darf ein Staat sowas überhaupt?)

  • gutefrage.net (was bewegt Menschen eigentlich dazu, mit ihren Kenntnissen und Erfahrungen anderen Menschen behilflich sein zu wollen, ohne direkt etwas dafür herauszubekommen? (die selbe Frage lässt sich für Wikipedia stellen))

LG

nemoUnfound  03.02.2014, 09:29

Huppalla..danke für das Sternchen^^

(und das mit dem übersehenen Tippfehler..das ist mir jetzt peinlich)

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Übersetzung in heutiges Deutsch mit erläuternden Einschüben:

Die Zeit der Vollendung wird gewiss kommen. Der Mensch wird sich mit zunehmender Lenkung durch den Verstand einer immer besseren Zukunft gewiss fühlen. Dazu muss er dann nicht mehr durch in der Zukunft liegende Versprechungen gelockt werden. Er wird das Gute tun, weil es das Gute ist (das er als solches nach dem Kantchen Imperativ mit seinem Verstand erkannt hat). Er tut das Gute nicht, weil willkürliche Belohnungen darauf gesetzt sind. Er erkennt mit seinem Verstand die „innere Logik“ einer guten Handlung (wieder kantcher Imperativ).

Der beschworene (eigentlich nüchterne) Verstand und die emotional aufgeheizte Sprache zeigen einen starken Kontrast. Mit diesem Abschnitt lesen wir von der überidealisierten Zukunftsvision der deutschen Aufklärung. Hier wird die Überschätzung der Vernunft durch Kant geradezu greifbar. Die bombastische, sehr überhebliche und säbelrasselnde Zeit des nachfolgenden Kaiserreichs mit dem Desaster des 1. Weltkriegs zeigt an, wie daneben die deutsche Aufklärung lag. Das dritte Reich mit seinen Gräueltaten war dann der absolute Tiefpunkt dieser überschwänglichen Erwartung eines Reichs der Vernunft. Dieses Reich der Vernunft wird nie kommen, weil es einem falschen Menschenbild aufgesessen ist. Aber so war halt die Zeit damals, das sollte man nie vergessen, wenn man KLASSIK liest.

Hallo ragnar24,

auf die heutige Zeit, nun, leider ist es noch nicht so, wie G. Lessing es beschreibt, wir sind noch nicht dort angekommen, dass wir das Gute tun, weil es das Gute ist.

Zumal schreibt er auch, dass diese Zeit kommen wird, dass sie gewiss kommen wird. In Bezug auf unsere heutige Zeit zu bewerten: Ist es nicht die immerwährende Hoffnung des Menschen, auch über den Verstand, sich an einen vollendete Form des Seins zu klammern, Leid und Pein und Krieg, Korruption, Krankheit, Sünde, Not zu überwinden und frei von jeglichen möglichen Motiven einfach nur das zu tun, was Recht ist. Einfach weil wir es kapiert haben. Ja, ich denke schon. Und die Menschheit wird nicht aufhören, diesem (gottähnlichen) Bild hinterher zu jagen. Weil wir im Grunde alle das eine suchen: Frieden.

Ggf. - wenn nicht schon passiert - würde ich mir auch die Biographie des guten Mannes durchlesen. Geschriebenes über seine Kindheit, Jugend, Elternhaus allg., sein Wirken etc. hilft mir, mich besser in reinzuversetzen, ihn, seine Motive und somit auch seine Werke besser zu verstehen. Diesen Link würde ich dafür empfehlen: http://gedichte.xbib.de/biographie_Lessing.htm

Viele Grüße

Taimanka

Vielen Dank für die Antworten, also war ich mit meinem kleinen Denkansätzen ja nicht so verkehrt, also Ihr habt echt gute Ideen.

Ich hätte am liebsten 2 von Euch als hilfreichste Antwort Markiert, aber geht leider nur bei einem :-)

LG