Bin ich für das Arbeitsleben zu dumm?
Hallo Community,
Ich habe letztes Jahr das Abitur gemacht an einem technischen Gymnasium und habe danach gleich angefangen in einer Firma als Softwareentwickler zu arbeiten. (Bei uns in Österreich ist es üblich das man gleich ins Berufsleben einsteigt, wenn man nicht studieren geht). In der Schule hatte ich ein Monat lang ein Praktikum in diesem Bereich gemacht.
Im Betrieb selbst bin ich jetzt aus der Probezeit raus und habe einen Vertrag für 2 Jahre. Ich fühle mich dort einfach unwohl und leicht überfordert. Von mir werden Sachen verlangt, die ich in der Schule gar nicht gelernt habe und ich bin allgemein sehr begriffsstutzig, wenn es darum geht neue Dinge zu lernen. Es muss mir immer alles 5 mal erklärt werden bis ich es verstehe und mittlerweile haben meine Kollegen keinen Respekt mehr vor mir und behandeln mich wie ein Depp, da ich überhaupt nichts kann.
Es kommen dann immer Sprüche wie: "Du bist hier nicht mehr in der Schule, sondern auf der Arbeit". Einmal wurde ich von einem anderen Kollegen angeschrien da ich einen gravierenden Fehler gemacht habe. Mein Chef meinte dann, ich solle mich bei dem Kollegen entschuldigen, da er sicher auch Schuld sei warum er mich anschreit.
Wenn ich oft meine Arbeit mache dann wird dass von den anderen Kollegen und Teamleitern hinterfragt warum ich das so mache. Ich sagen dann einfach, dass mein Chef mir das aufgetragen hat. Dann rufen sie gleich den Chef an und fragen nach warum das so ist.
Neulich hatte ein Kollege mein gesamtes Projekt abgenommen mit der Begründung, das er das für mich erledigt da ich das sowieso nicht schaffe. Ich fühle mich total schlecht und weiß echt nicht mehr was ich tun soll. Selbst in der Schule war ich eher schlecht und habe das Abi auch nur sehr knapp geschafft. Bein ich zu dumm für das Arbeitsleben? Wie soll ich bei meinen Kollegen ab besten kontern?
8 Antworten

Ich bin nicht in Österreich, aber in Deutschland sind zwei gravierende Tendenzen zu beobachten hinsichtlich der schulischen Ausbildung:
1. Die Vermittlung von Lernstoff erfolgt immer stärker inhaltsorientiert
Zwar steigt dann die Möglichkeit einer besseren Bwertbarkeit von Leistungen, aber dadurch bleibt eine methodische Schulung auf der Strecke, die aber eigentlich zwingend zwischen dem 14. und 17. Lebensjahr zu erfolgen hätte. Ohne methodische Basis fehlt die Möglichkeit zur angemessenen Hinterfragung und man verbleibt zumeist in einer statischen, monokausalen Denkstruktur. Dies hat auch Folgen für das Arbeitsleben. Ein Beispiel aus der Nachbarschaft. Ein Junge (17) sollte helfen, frisch gepflanzte Apfelbäume zu stützen. Man mußte ihm nicht nur jeden einzelnen Handgriff erklären, den er zu tun habe, sondern auch noch erklären, wie er es zu tun habe. Selbst bei Wiederholung der gleichen Arbeitsschritte war es explizit "anzufordern", anderenfalls stand er nur unbeteiligt dabei. Antizipation o.ä. war nicht einmal im Ansatz zu erkennen.
Genau auf diese Arbeitsweise bereitet die moderne Schule vor, was aber mit dem Arbeitsleben nichts zu tun hat (zudem haben ohne methodische Basis erlernte Inhalte eine sehr geringe Halbwertszeit). Gerade die digitale Welt erfordert, daß man nicht zum Reproduzenten erlernter Inhalte mutiert, das können Computer weit besser leisten, sondern es geht gerade um vernetztes, antizipatives und kreatives Denken und die Verinnerlichung methodischer / logischer Abläufe. Wenn selbst Akademiker es für eine glaubhafte Information halten, wenn aus 48 Einheiten inländischer Erzeugung und 53 Einheiten inländischem Verbrauch auf Nettoexport geschlossen wird, weil es in einem offiziellen (Exekutive) Dokument steht, dann sind wir schon weit gekommen.
Hinzu kommt noch mangelnde soziale Kompetenz, mangelnde Befähigung zur Kommunikation sowie eine eher schwach ausgeprägte Frustrationstoleranz. Die Schüler sind hier Opfer, aber es ändert nichts daran, daß sie es sind, die es auszubaden haben. Im angloamerikanischen Schulsystem hat man keine vertikale Trennung, wie früher in Deutschland (nur dafür kann ich sprechen) üblich, sondern eine horizontale Trennung. Durch Adaption dieses Systems, auch im Studium, aber wurde die vertikaleTrennung weitestgehend aufgelöst, aber eine horizontale Trennung nicht zugelassen, was dazu führt, daß die Mittelstufe kaum noch methodische Inhalte und logisches Denken vermittelt.
2. "Der Ernst des Lebens kommt früh genug"
Wie gesagt: heute am Arbeitsmarkt geforderte Kompetenzen müssen in der Pubertät aufgebaut werden, später kann man sie nur noch über (ineffiziente) bewußt einzuführende Denkschritte kompensieren. Statt gleich beim Lesen das logische Prüfprogramm als Automatismus mitlaufen zu lassen, wird zuerst kognitiv (und mit Chance sogar korrekt) erfaßt und bestenfalls nachträglich auf Zulässigkeit geprüft. Das war schon oben erfaßt. Die persönliche "Verweigerungstaktik" zugunsten des Spaßfaktors verstärkt dies aber deutlich.
Hier wirkt auch nicht gerade der Umstand entgegen, daß die Notenvergabe teils sehr "sozial" erfolgt. An manchen Schulen wird für ein Leistungsspektrum, das früher eine 1-4 abdeckte, eine 1 gegeben, für alles andere gibt es eine 2. Zu meiner Zeit konnte man mit reiner Reproduktion in Klausuren bestenfalls eine 3 erreichen, die meisten heute geschriebenen Klassenarbeiten dürften danach nur bestenfalls mit einer 3 bewertet werden.
Die oben benannten Tendenzen werden aber dadurch noch einmal verstärkt, was dann auch im Bereich des eigenen Verschuldens anzusiedeln wäre. Nicht wenige Abiturienten haben keine Ahnung, wie sie sauber recherchieren oder ein Problem / eine Fragestellung operational strukturieren können, teils fehlt sogar das Grundgerüst zur kognitiven Erfassung von Inhalten und die sprachlichen Fähigkeiten sind ggf. nur annähernd als "verhandlungssicher" einzustufen.
3. Fazit
Es gibt durchaus Tendenzen, die erkennen lassen, daß sich die Ansprüche von Ausbildung und Bedarf immer weiter auseinanderentwickeln. Dabei wäre die "Schuldfrage" nur erheblich, um hier präventiv wirken zu können. So z.B. scheiterten 25% der Abiturienten, die sich 2016 beim BKA bewarben, alleine an ihren sprachlichen Fähigkeiten. Zu 2017 werden entsprechend die Standards "angepaßt" (klasse: statt die Ausbildung in der Schule zu verbessern, wird ein nachgestelltes Anforderungsprofil reduziert).
Bei Dir solltest Du dich fragen, wo konkret Deine Defizite liegen, um im Anschluß daran zu arbeiten. Manches, aber nicht alles, läßt sich retten, und wenn Du Einsicht und Engagement zeigst, werden deine Mitarbeiter Dich auch wieder mehr unterstützen. Wenn sie keine Entwicklung bei Dir sehen, nur sehen, daß Du dich auf ein "das hat man mir aber nicht beigebracht"-Position zurückziehst, dann dürfte durchaus verständlich sein, daß sie sauer werden, denn dann kassierst Du Geld dafür, daß sie deine Arbeit mitmachen. Sollte dann, wenn man Dir doch wieder Arbeit zutrüge, die Erfüllung derart sein, daß man es besser gleich selber gemacht hätte, verschärfte sich das Ganze noch.

Nachtrag:
Versuche doch einmal, deine Frage selber hintergründig zu betrachten. Fällt Dir etwas daran auf?
- Du stellst zwar dar, wie deine Kollegen etc. auf Dich reagieren, aber zeigst in keiner Weise, daß Du schon einmal darüber nachgedacht haben könntest, woran deren Kritik liegen könnte. Du reduzierst dich selber zu einem Objekt, nicht nur bei der Beschreibung der Vorkommnisse, hier bist Du der Spielball, kein aktives Handeln oder den Versuch eines aktiven Gegenlenkens bzw. einer aktiven "Fehlersuche" ist erkennbar.
- Du stellst eine Frage, die ohne Einschätzung der Berechtigung oder Tatsachenbehauptungen zum Sachverhalt selber sich jeder Beurteilbarkeit entziehen. Aber auch das Stellen einer Frage kann darüber Auskunft geben, inwieweit man befähigt ist, ein Problem operational zu strukturieren, denn bei einer hinreichenden Strukturierung wird man die Inhalte so wählen, daß die gewünschte Antwort leistbar wäre, was hier nicht der Fall ist.
- Du reduzierst dich auch beim Inhalt der Frage auf die Objektebene. Die Frage setzt eine diskrete Dichotomie voraus, denn sie unterscheidet zwischen entweder fähig oder unfähig im Sinne einer eingeborenen, unveränderlichen Eigenschaft, die Option eines durch Bemühen zu beseitigenden Mangels wird erst gar nicht erwogen. Was kann ich tun, damit ich den Ansprüchen gerecht werde, ist dadurch nicht zu erkennen und damit zu mutmaßen, daß sich dir diese Frage bisher auch eher nicht gestellt haben dürfte, denn dann hättest Du es selbst bei einer spontanen Abfassung benannt.
Erkennst Du, warum ich nicht wirklich positiver schreiben konnte?

In Ergänzung an meinem Kommentar möchte ich hier noch einen Link einschieben:
https://www.fernstudiumcheck.de/fernstudium/softwareentwickler/tu-kl-3250
Das gibts mit Sicherheit für Österreich auch oder man könne sich auch an deutsche Unis wenden (die deutschen gehen ja auch gerne nach Wien z. B. studieren).
Von institutsinternen Abschlüssen würde ich eher abraten, die sind mit Sicherheit nicht soviel wert wie ein Master (Beispiel TU Kaiserslautern)

Nein, du bist garantiert nicht zu dumm. Leider ist es gerade beim Einstieg ins Berufsleben häufig so, dass kein kompetenter Ausbilder dafür sorgt, dass ein Neuling alles das, was er wissen muss, in sinnvoller Weise vermittelt bekommt. Fast ebenso ist es in der Schule, da wird der Unterricht durchgezogen und wer nicht mitkommt, hat Pech gehabt, auf die individuellen Bedürfnisse der Lernenden wird nicht eingegangen.
Dabei lernt jeder Mensch auf seine Weise am besten. Da du aber immer nur angeschrien wirst, wenn du einen Fehler machst, anstatt dass dir jemand hilft, entwickelt sich Angst davor zu versagen und die führt dann dazu, dass du erst recht Fehler machst.
Dein Betrieb scheint nicht besonders ausbildungsfreundlich zu sein, vielleicht schaust du dich mal nach einer Alternative um. Wenn man etwas gleich vernünftig erklärt bekommt, dann kann man das auch nach dem 1. Mal verstehen, wenn allerdings etwas auf die Schnelle und ohne dass sich derjenige, der etwas zu erklären versucht, darauf vorbereitet hat, dann ist es kein Wunder, dass du mehrmals nachfragen musst. Ich würde darauf wetten, dass keiner deiner Kollegen sich zumindest mal eine Viertelstunde Zeit zur Vorbereitung nimmt und sich Notizen macht, bevor er dir was erklärt - und genau deswegen verstehst du es dann nicht, es ist also überhaupt nicht deine Schuld, du kriegst diese nur zugeschoben.
Vielleicht solltest du auch nebenbei mit Büchern alleine lernen, da lernst du mehr als bei einer unzulänglichen Erklärung.

Also ich weiss ja nicht, aber hier in Deutschland ist das so: Wer keine Ausbildung vorweisen kann, gilt dann als ungelernt und bekommt auch weniger Geld als Gelernte. An Deiner Stelle würde ich mich einfach doch für ne Ausbildung als Softwareentwickler bewerben oder mache neben der arbeit ein Fernstudium oder Lehrgang in dieser Richtung.
Möglichkeiten gibts genug. Du musst jetzt schnellstmöglichst Deine Kenntnisse erweitern, so ein Fernstudium wäre neben der Arbeit meiner Meinung nach das beste.
Muss aber kleinlaut deinen Kollegen auch recht geben, dass es für die auch schwer ist, wenn jemand direkt von der Schule ins Berufsleben einsteigt und keine besonderen Fachkenntnisse in Softwareentwicklung (eben durch Kurse oder so) mitbringt...
Du kannst Dich auch momentan für andere leichtere Tätigkeiten bewerben vorübergehend und später dann wieder als Softwareentwickler wenn Du genügend Kenntnisse hast, arbeiten. Ich selbst hab auch mal was ganz anderes zwischendurch gemacht.
LG Keana

Ist es in Österreich nicht üblich auch eine Lehre zu machen?

Ja, dir stehen alle Türen offen aber du benutzt sie nicht. Du gehst durch die Wand.

Vieelleicht bist Du nicht dazu geeignet sofort ins Arbeitsleben einzusteigen. Ich finde die Schule bereitet einem nur mäßig dafür vor einen vollen Arbeitsplatz in der Arbeitswelt einzunehmen. Du wirst sozusagen ins kalte Wasser geschmissen. Ich hätte nach meiner Schulausbildung auch nicht als Bankkaufmann einsetzen können. Dazu hätten mir sehr viele Grundlagen gefehlt. Daher habe ich auch eine Ausbildung gemacht. Auch Abiturienten müssen eine Ausbildung bei uns machen, da die Schule einem nicht gut genug vorbereitet. Ich würde Dir empfehlen eine Ausbildung zu machen. Vielleicht ist das der bessere Weg um Dich aufs Arbeitsleben vorzubereiten. Als Azubi darf man auch mehrmals fragen und noch Fehler machen.

Ich denke mal dass diese Schulabgänger sich dann wohl neben dem Beruf intensiv weiterbilden, denn anders täte es nicht funktionieren...
Ja aber nur nach der Hauptschule. Es heißt ja das mit dem Abitur alle Türen offen stehen. Bei uns im Betrieb sind viele Schulabgänger und diese schlagen sich sehr gut.