Bedeutung/ Symbolik dieses Wahlplakats?

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Abgebildet ist ein Wahlplakat der DDP zur Reichstagswahl am 20. Mai 1928.

Die Deutsche Demokratische Partei (DDP) war eine Partei der Mitte und stand damals für die linke Richtung des Liberalismus.

Auf dem Wahlplakat steht oben in fetter dunkelbrauner Druckschrift:

„Frauen denkt daran!“

In der Mitte befindet sich eine junge Frau mit blonden Haaren (hinten anscheinend teilweise zu einem Knoten geflochten). Sie ist umgeben von in Schreibschrift (deutsche Kurrentschrift) geschriebenen sozialen Nöten, symmetrisch jeweils drei untereinander auf beiden Seiten.

„Mietsteigerung“

„Wohnungsnot“

„Teuerung“

„Arbeitslosigkeit“

„Zölle“

„Steuerdruck“

Auf der linken Seite unten neben ihr steht anscheinend eine Signatur des Künstlers (vielleicht „Garder“; schwierig zu entziffern), von dem die Darstellung stammt.

Unten steht wieder in fetter dunkelbrauner Druckschrift:

„Nie wieder Rechtsregierung

Wählt

Deutsche Demokratische Partei

Liste 6“

Ganz unten steht in sehr kleiner Schrift (für die politische Botschaft unwichtig), wer für das Wahlplakat verantwortlich ist und wer den Druck besorgt hat (Lindemann und Lüdecke).

„Verantwortlich: Wittstock, Berlin S. W. 11,  Beenburgerstr. 18 LINDEMANN U. LÜDECKE BERLIN 3.0. 36“

„S. W. 11“ ist (S. W. = Südwesten) ein Postzustellbezirk von Berlin. Vielleicht ist „3.0. 36“ auch so gemeint, als „S.O. 36“ (Südosten).

„Frauen denkt daran!“ ist ein Apell an Frauen, die Zielgruppe des Wahlplakats sind.

Sie sollen an die sozialen Nöte denken, die angegeben werden. Mietsteigerung und Wohnungsnot betriffft Schwieigkeiten, Mieten zu bezahlen und eine (passende) Wohung zu finden. Teuerung bedeutet Preisteigerung und weckt Erinnerungen an die Inflation 1923. Es gab 1927 rund 1, 5 Millionen gemeldete Arbeitslose, die Arbeitslosenquote betrug 8, 8 Prozent. Zölle erhöhen den Preis von Waren (gedacht werden kann vor allem an Schutzzölle, mit denen Agrarprotektionismus betrieben wird, was Nachteile für Konsumenten hat). Steuerdruck bedeutet eine starke Steuerbelastung.

Die rote Schriftfarbe der sozialen Nöte könnte Bedrohung und Gefahr signalisieren sollen.  

Die Frau wird vor allem als Hausfrau und Mutter dargestellt (in häuslicher Umgebung mit Kind; Arbeitslosigkeit und Steuerdruck sind auch als Probleme für einen Ehemann denkbar). Sie trägt eine graue Bluse, ein weißes Hemd und einen dunkelbraunen oder schwarzen Rock.  Die Farben sind nicht farbenfroh, gedeckte und trübe Alltäglichkeit überwiegt. Ein neben ihr an einem Tisch sitzendes Mädchen mit blonden Haaren, das eine Bluse trägt, blickt mit leicht schräg nach oben geneigtem Kopf zur Mutter hin, vielleicht erwartungsvoll. Eine Mahlzeit ist nicht aufgetischt. Der Raum dazwischen ist grau gefärbt, was für Sorgen, Bedrücktheit und Not stehen könnte.

Auf dem nicht vollstandig gezeichneten Tisch scheint eine rote Decke zu liegen. Papiere liegen auf der einen Seite. Es ist nicht alles deutlich erkennbar. Mit Phantasie könnte bei dem, das an einer Stelle grau auf einem Papier ist und an einer Stelle in rot erscheint, eine Vorstellung einer Kneifzange und einer Schere entstehen und assoziativ mit Kürzungen und Einschnitten verbunden werden, die Farbe rot mit »roten Zahlen«.

Deutlicher ist eine Geste der Verzweiflung, mit der die Frau mit etwas erhobenem Kopf eine Hand vor das Gesicht hält. Der erhobene Arm vor den Augen wirkt, als könne sie das Hinschauen zu den drohenden Nöten nicht mehr gut ertragen. Mit ihrer rechten Hand stützt sie sich auf den Tisch. Sie steht nicht sehr fest und aufrecht da. Mutter und Tochter wirken eher schwach und alleingelassen.

„Nie wieder Rechtsregierung“ zeigt eine Stoßrichtung gegen politisch rechtsstehende Parteien. Dabei ist wohl besonders die konservativ-autoritäre Deutschnationale Volkspartei (DNVP) gemeint, daneben auch die rechtsliberale Deutsche Volkspartei (DVP). DNVP und DVP waren in der damaligen Reichsregierung (Kabinett Marx IV, 1927 - 1928) mit Ministern vertreten, die DDP nicht (der Reichswehrminister Otto Geßler war 1926 aus der DDP ausgetreten).

Mutter und Tochter auf dem Wahlplakat scheinen zwar in einfachen Verhältnissen zu leben, aber nach der ordentlich Haartracht und Kleidung bürgerlich zu sein. Von dieser gesellschaftlichen Gruppe versucht die DDP in Konkurrenz zu rechten Parteien, denen sie soziale Nöte anlastet, Stimmen zu bekommen.

Dazu folgt ein Wahlaufruf:

„Wählt

Deutsche Demokratische Partei

Liste 6“

Die Wahlvorschlagsliste der DDP war auf dem Stimmzettel entsprechend ihrem Ergebnis bei der letzten Reichstagswahl an 6. Stelle.