Aristoteles "Werden und Vergehen" Bitte beim Verständnis helfen!

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Der Text ist in seinen Einzelheiten schwierig.

Nützlich zum Verständnis kann sein:

  • Lesen einer Inhaltsübersicht zum Aufbau des Gedankenganges in dem Werk insgesamt

  • Heranziehen ausführlicher allgemeiner Philosophielexika mit Informationen auch zu Begriffsgeschichte und besonderer Lexika zur Antike (Wörterbuch der antiken Philosophie. Herausgegeben von Christoph Horn und Christof Rapp. Originalausgabe. München : Beck, 2002 (Beck'sche Reihe ; 1483). ISBN 3-406-47623-6) und Aristoteles (Aristoteles-Lexikon. Herausgegeben von Otfried Höffe. Redaktion: Rolf Geiger und Philipp Brüllmann. Stuttgart : Kröner, 2005 (Kröners Taschenausgabe ; Band 459). 978-3-520-45901-5)

  • Heranziehen philosophiegeschichtlicher Darstellungen über die Theorien zu Entstehen und Vergehen, die von den von Aristoteles genannten Denkern vertreten worden sind

  • Lesen der Abschnitte in Büchern über Aristoteles zu dieser Schrift

Περὶ γενέσεως καὶ φθορᾶς (über Entstehen und Vergehen; lateinisch: De generatione et corruptione) ist ein naturphilosophische und naturwissenschaftliche Schrift.

Sie ergänzt die in dem Werk Περὶ οὐρανοῦ (Über den Himmel; lateinisch: De Caelo) Buch IV entwickelte kinetische Theorie (Theorie der Bewegung) durch eine Untersuchung über Entstehen und Vergehen im Sinne einer Umwandlung der Elemente ineinander.

Buch I behandelt die physikalischen Vorgänge des Entstehens und Vergehens.

Kapitel 1- 5 beschäftigen sich mit den Begriffen Entstehen und Vergehen selbst in Abgrenzung gegenüber anderen Formen der Veränderung.

Kapitel 1- 2 setzen sich mit den Lehren früherer Denker auseinander: Empedokles, Anaxagoras, Atomisten (Leukippos, Demokritos) und Platon führen (wie Aristoteles urteilt, fälschlich) Entstehen und Vergehen auf Qualitäts- und Quantitätsunterschiede zurück. Sie legen eine stets gleich bleibende Größe zugrunde, die nicht Entstehen und Vergehen unterworfen ist.

Kapitel 3 vertritt die These: Entstehen ist nicht ein Prozeß wie Wachstum, Mischung, Scheidung, auch nicht ein Entstehen aus einem (absoluten) Nicht-Sein, sondern substantielles Entstehen ist Vergehen im Sinne der Umwandlung der Elemente.

Zu Kapitel 2 (Inhalt ist Werden, Veränderung und das Problem der unteilbaren Körper):

Zentrale Aufgabe der Untersuchung ist eine Unterscheidung und theoretische Darstellung der verschiedenen Vorgänge/Arten von Prozessen (gibt es Werden und Vergehen schlechthin und sonstige Bewegungen wie beispielsweise Wachstum und Veränderung) oder nicht, wenn ja, auf welche Weise.

Bei Platon und Demokritos gibt es atomistische Erklärungsansätze (unteilbare Körper): Platon hat nur Entstehen/Werden der Elemente untersucht.

Demokritos und Leukippos haben unbegrenzt vielfältige Figuren angenommen, die Veränderung und Werden/Entstehen bewerkstelligen: Werden/Entstehen durch Trennung und Verbindung/Zusammenschließen, Veränderung durch Anordnung und Lage.

Bei einer Untersuchung, die zu diesem Thema leicht in Schwierigkeiten, Aporien, Dilemmata führen kann, ist eine Grundfrage, ob die primär vorhandenen Gegebenheiten unteilbare Größen sind oder es keinerlei unteilbare Größe gibt. Bei Demokritos und Leukippos sind die unteilbaren Größen Körper, bei Platon (in seinem Dialog »Timaios«) ebene Flächen.

Eine Auflösung/Zerlegung bis in ebene Flächen hält Aristoteles für unsinnig, weil dann bei einem Zusammensetzen nichts außer festen Gebilden entstünde, sie aber sich überhaupt nicht daran machten, daraus irgendeine Beschaffenheit herzustellen. Die Annahme unendlicher Teilbarkeit führt in eine ausweglose Schwierigkeit. Es ist nicht zu erkennen, was es dann noch geben könnte, das der Zerlegung entgeht. Ein Körper bzw. eine Größe könne nicht übrig bleiben. Denn diese gelten nach der Annahme als teilbar und wenn sie übrig bleiben, wird etwas Geteiltes da sein, was der Annahme widerspricht.

Wenn aber die Teilung existiert, ohne einen übrigbleibenden Körper und eine übrigbleibende Größe, wird ein Körper aus Punkten, also aus Ausdehnungslosem, zusammengesetzt oder ganz und gar nichts, nur Erscheinendes sein.

Wenn eine Art trennbare Form oder eine weggefallene Beschaffenheit angenommen wird, bliebe trotzdem ungereimt, daß aus Nichtgrößen Größe sein soll.

Wenn es unmöglich ist, daß eine Größe aus Punkten und Berührungen besteht, muß es notwendig unteilbare Körper und Größen geben.

Aus Erfahrung ist klar, daß bei einer Teilung ein Körper in gesonderte und immer kleinere Größen geteilt wird, die voneinander abstehen und getrennt sind. Daher kann bei einer Theorie der Zerlegung in Teile die Zerstückelung weder unbegrenzt sein noch eine Teilung zugleich an jeder Stelle stattfinden, sondern nur bis zu einem gewissem Grad geteilt werden, damit der Körper nicht in Körperloses zugrundegeht. Ein Argument (eine Lösung für Demokritos), daß die Folgerung zu erzwingen scheint, es gebe unteilbare Größen, ist die Behauptung nicht wahrnehmbarer Atome: Es müssen notwendig atomare Größen unsichtbarer Art darin sein.

Albrecht  15.01.2013, 09:27

Aristoteles versucht, einem in diesem Lösungsversuch seiner Auffassung nach verborgenen Trugschluß zu erklären. Die Größe, so behauptet Aristoteles, würde doch in Nichts zerteilt. Überall wäre ein Punkt und sie bestünde daher entweder aus Berührungen oder aus Punkten. Überall sei ein (einziger) Punkt, da kein Punkt an einen Punkt anschließen könne, und daher seien nicht überall Punkte. Eine Stelle schließe nicht an die nächste Stelle an oder ein Punkt an den nächste, was aber doch Zerlegung bzw. Zusammensetzung bedeute. So gibt es wohl Verbindung/Zusammenschluß und Trennung, aber nicht in Atome (Unteilbares), nicht aus Atomen und auch nicht so, daß überall eine Trennung geschehen wäre, sondern eine Teilung in immer kleinere Teile und Verbindung/Zusammenschluß aus jeweils kleineren Teilen.

Definitionen: Aristoteles unterscheidet begrifflich Entstehen/Werden schlechthin von Veränderung. Manche behaupten, das schlichte und vollendete Entstehen/Werden werde durch Verbindung/Zusammenschluß und Trennung bestimmt, Veränderung sei dagegen Wandel in einem Zusammenhängendem/Kontinuierlichen. Doch darin gründeten alle Irrtümer. Entstehen/Werden und Vergehen schlechthin gibt es nicht durch Verbindung/Zusammenschluß und Trennung, sondern wenn etwas aus diesem (aus einer Seiendheit/Wesenheit/Substanz [οὐσία], wie in Kapitel 3 dargelegt wird) in dieses (in eine andere Seiendheit/Wesenheit/Substanz [οὐσία]) als Ganzes sich wandelt. Wenn eine Wandlung zwischen diesen stattfindet, handelt es sich um Entstehen/Werden oder Vergehen, wenn dagegen zwischen Beschafffenheiten und akzidentell (etwas, das nicht zum Wesen einer Sache gehört), handelt es sich um Veränderung.

Andere behaupten, jede so beschaffene Wandlung sei Veränderung, was aber einen Unterschied außer Acht läßt: Im Zugrundeliegenden ist das eine gemäß der Definition, das andere gemäß der Materie.

Getrennt- und Kompakt-Sein (gedacht ist wohl an Erklärungen durch Verdünnung und Verdichtung) ist dagegen eine Frage der Anfälligkeit.

Bücher, die hilfreich sein können:

Hellmut Flashar, Aristoteles. In: Ältere Akademie, Aristoteles, Peripatos (Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Herausgegeben von Helmut Holzhey. Die Philosophie der Antike - Band 3). Herausgegeben von Hellmut Flashar. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 2004, S. 249 – 250 und S. 355 – 356

Aristoteles, Über Werden und Vergehen. Übersetzt und erläutert von Thomas Buchheim. Berlin : Akademie-Verlag, 2010 (Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach, herausgegeben von Hellmut Flashar ; Band 12, 4), S. 21 – 26 (Übersetzung des Kapitels), S. 155 – 156 (Gliederung der Abhandlung und Schrittfolge der Argumentation) und S. 157 – 158 (Buch I, Kapitel 1 – 2: Zur Unterscheidbarkeit von Werden und Vergehen)

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Albrecht  15.01.2013, 09:28

S. 157 – 158: „Aristoteles beginnt mit […] der Frage, inwieweit man historisch angenommen hat (Kapit. I 1) und aus systematischen Gründen annehmen muß (Kapit. I 2), daß Werden und Vergehen je eine grundverschiedene oder ein und dieselbe Natur haben. Denn die früheren Denker zeigten laut Aristoteles’ Diagnose fast ausnahmslos Neigung, beide nicht für verschieden zuhalten. Vielmehr machen die einen, wie z. B. Anaxagoras, strenggenommen auch Empedokles und geradezu idealtypisch der erst später namentlich genannte Diogenes von Apollonia, auf je verschiedene Weise das Werden zu einer bloßen Spielart der Veränderung dessen, was im Grund immer dasselbe bleibt. Während andere, wie (neben Platon) vor allem die Atomisten, umgekehrt die Veränderung zu einer Spielart dessen erklären, was sie unter ‚Werden’ verstehen. Denn für die Atomisten heißt Werden soviel wie ‚Zusammenschluß’(σύγκρισις) von Atomen, und wo sich etwas verändert, da denken sie, daß sich im Prinzip ein und dieselbe Anhäufung von Atomen nur auf eine andere Weise zusammenschließt, aber die Bestandteile, also die Atome selbst, sich in keiner Weise verändern.

Diesen Ansichten setzt nun Aristoteles, vor allem im 2. Kapitel, ein entschiedenes Plädoyer dafür entgegen, daß Veränderung und Werden verschiedene Natur haben müssen und daß man ohne echte Veränderung der Bestandteile keinerlei Werden dessen, was nicht schon vorher war, erklären kann. In Beziehung auf die Veränderung von Bestandteilen hängt nach Aristoteles’ Meinung alles an der Frage, ob es unteilbare Körper in der Natur gibt oder nicht. Denn unteilbar zu sein hieße, daß kein Eingriff in ihre Struktur möglich ist und somit keine Einwirkung auf sie derart, daß dadurch eine Veränderung zustande käme. Im zweiten Kapitel verteidigt er deshalb besonders den Gedanken, daß keine Atome – das sind „unteilbare“ Körper existieren können und die Körper daher kontinuierlich zusammengesetzt sein müssen.

Es ist hier nicht der Ort, die Thesen des Aristoteles zu bewerten. Doch läßt sich immerhin soviel sagen, daß tatsächlich wahr ist, daß die Bestandteile der körperlichen Realität verändernde Eingriffe in ihre Struktur zulassen müssen, wenn ein Werden überhaupt möglich sein soll. Insofern wird die absolute Unteilbarkeit der Atome, wie sei der antike Atomismus behauptete, von Aristoteles zu Recht kritisiert. Jedoch täuscht er sich darin, daß die einzige Alternative dazu in der strengen Kontinuität alles körperlich Seienden selbst bestehe. Das nämlich trifft, all unserem Dafürhalten nach, nicht zu. Vielmehr ist zwar die räumliche Extension der Körper kontinuierlich, aber nicht der Masse besitzende Inhalt dieser Extension. Hier hat Aristoteles zwei unterschiedliche Gedankenstränge, einen eher mathematischen und einen eher physikalischen, miteinander verwechselt und kommt daher zur Ablehnung einer bloß gestückelten und vakuumdurchsetzten Realität des Körperlichen.

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blacky25 
Fragesteller
 16.01.2013, 12:42
@Albrecht

Ganz lieben Dank!!! Bin das Kapitel mit Hilfe deiner Ausführungen zum gefühlten 50 mal durchgegangen und es hat mir sehr geholfen, den doch recht schweren Text zu verstehen...

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http://dtserv3.compsy.uni-jena.de/ws2012/philhist_uj/97275422/content.nsf/Pages/EBA02B4E87755AD2C1257AB100591DBB/$FILE/aristotelesueberwerdenundvergehen.pdf

Oder unter De generatione et corruptione suchen

blacky25 
Fragesteller
 13.01.2013, 23:23

Danke, aber den Text habe ich selbst, was anderes konnte ich deinen Link nicht entnehmen?!

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Bloodyrainbow  15.01.2013, 06:08
@blacky25

Aber unter Kap 2/ Buch 1 steht doch alles prima erklärt was du wissen willst. Einfach Schlagworte per Strg+ F5 suchen

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Siehe Wikipedia "Aristoteles" und da insbesondere a) Naturphilosophie, b) Metaphysik, c) Biologie und d) Theologie. Werden und Vergehen ist für A. nur eine prinzipielle Eigenschaft "vergänglicher Substanzen".