Ab wann spricht man von einer neuen Art?

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Es gibt verschiedene Artkonzepte. Mehr oder weniger weit verbreitet sind etwa 13 von ihnen. Aktuell vor allem unter dem Gesichtspunkt der Evolutionsforschung mit am bedeutendsten ist das "phylogenetische Artkonzept", das heute vor allem durch molekularbiologische Methoden zur Anwendung kommt. Demnach wird als eine Art definiert, was sich in einem auf Grundlage genetischer Daten erhobenen Stammbaum als eigenständige Linie zeigt. Demnach existiert eine Art entsprechend dieses Konzepts solange, bis sie entweder ausstirbt (der Ast im Stammbaum also "blind" endet) oder sich in zwei neue Arten aufspaltet (der Ast sich also in zwei Seitenäste aufspaltet).
Eines der großen "Probleme" des phylogenetischen Artkonzepts ist aber, dass es keine festgelegte Grenze gibt, ab welchem Prozentsatz von genetischen Unterschieden man nun schon von einer eigenen Art sprechen soll oder nicht. Auf die Spitze getrieben könnte man jedes einzelne Individuum somit als einen eigenständigen Zweig und damit als eigene Art betrachten. Daher hat sich die moderne Phylogenie aktuell in zwei mehr oder weniger große Lager gespalten: die "Splitters" erheben z.B. bislang als Unterarten geführte Taxa, sofern das durch die Daten natürlich gerechtfertigt ist, in den Rang eigenständiger Arten. Während die "Lumpers" hingegen eher konservativ sind und Taxa lieber größer halten.
2016 wurde von der Arbeitsgruppe um Julian Fennesy beispielsweise vorgeschlagen, aufgrund molekulargenetischer Belege die Giraffe (Giraffa camelopardalis) in vier verschiedene Arten aufzuspalten, während andere Wissenschaftler wie Fred Bercovitch entgegneten, dass dies nicht gerechtfertigt sei. Ein anderes Beispiel ist eine Überarbeitung der Hornträger von Grubb und Groves vor einigen Jahren, die die bisherige Artenanzahl mal eben "verdoppelte" und ebenfalls nicht überall auf Zustimmung stieß.

Das am weitesten verbreitete Artkonzept ist sicher das biologische Artkonzept, das im Wesentlichen durch Ernst Mayr geprägt wurde. Demnach definiert sich eine Art als Fortpflanzungsgemeinschaft. Man kann also sagen, dass alles, was sich untereinander nicht mehr fortpflanzen (und dabei fruchtbaren Nachwuchs hervorbringen) kann, verschiedenen Arten angehört.
Um noch mal auf das Giraffenbeispiel zurückzukommen: ein Argument, das beispielsweise gegen die Aufspaltung in vier Arten spricht ist, dass sich alle Giraffenunterarten untereinander fruchtbar fortpflanzen können, was im Zoo sogar öfter passiert (ist). In der natur ist das zwar selten und die Unterarten bilden genetisch weitgehend isolierte Entwicklungslinien, es kommt aber trotzdem selten vor - was ebenfalls gegen die Aufspaltung sprechen würde.

Darüber hinaus gibt es beispielsweise noch das morphologische Artkonzept, das die Anatomie und Morphologie als Untershciedungsmerkmal zugrunde legt. Beim ökologischen Artkonzept gilt alles als eine Art, was eine gleiche ökologische Nische besetzt, ... wie gesagt, die Liste ist lang!

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Das kommt natürlich darauf an, von welchem Artkonzept man ausgeht. Nutzt man das gebräuchliche (aber nicht perfekte) biologische Artkonzept, kann man erst dann von einer neuen Art sprechen, wenn keine Kreuzung mit der Stammart mehr möglich ist.

Betrachtet man fossile Arten oder asexuelle Organismen, wie z.B. Bakterien, ist dieses Artkonzept natürlich nicht mehr anwendbar bzw. überprüfbar. In dem Fall kann man nur nach morphologischen und biochemischen Ähnlichkeiten gehen. Grenzwerte sind hier zwangsläufig willkürlich, etwa wie die 70%-ige genetische Übereinstimmung in der Mikrobiologie als Konvention für die Artgrenze.