"was du nicht willst das man dir tut, das füge auch keinen anderen zu" Kategorischer Imperativ??

3 Antworten

Nein. Das ist die Goldene Regel. Der kategorische Imperativ lautet: Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.

Der Unterschied ist: Die Goldene Regel verlangt, sich vorzustellen, dass jemand sich dir gegenüber auf eine bestimmte Art und Weise verhält. Wenn du das wollen würdest, dann ist die Handlung richtig. Wenn du es nicht wollen würdest, dann ist sie falsch. Die Goldene Regel appelliert daher an die Empathie: Wie würdest du dich fühlen, wenn sich jemand dir gegenüber so verhalten würde?

Der kategorische Imperativ dagegen verlangt, sich vorzustellen, was passieren würde, wenn alle sich so verhalten würde. Hier liegt das Augenmerk auf den Konsequenzen für die Gesellschaft als ganzes: Würde die Gesellschaft noch funktionieren, wenn alle so handeln würden?

Die Goldene Regel nimmt also die Empathie als Kriterium, der Kategorische Imperativ die Vernunft und die Funktionalität der Gesellschaft. Das ist der große, bedeutende Unterschied.

Das Prinzip „Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu!" wird auch Goldene Regel genannt und kann nicht mit dem Kategorischen Imperativ gleichgesetzt werden, den Immanuel Kant vertritt.

Die Redensart enthält in der direkten Aussage nur ein Vermeiden. Für Aussage, was getan werden soll, ist eine Umformulierung nötig (z. B.: jemand solle einen anderen so behandeln, wie er selbst behandelt werden möchte).

Zwischen dem Kategorischen Imperativ und der sogenannten Goldenen Regel (die in verschiedenen Formulierungen vorkommt, z. B. lateinisch: Quod tibi fieri non vis, alteri ne feceris!) besteht eine gewisse Ähnlichkeit. Die Ähnlichkeit liegt darin, über die eigene Perspektive in einem Einzelfall des Handelns hinauszugehen und zu einer größeren Allgemeinheit zu kommen. Die Allgemeinheit ist beim Kategorischen Imperativ größer. Denn bei der Goldenen Regel ist die Allgemeinheit beschränkt auf das Einnehmen einer Perspektive mit der eigenen Person als von der Handlung betroffen.

Der Kategorische Imperativ gebietet, so handeln, daß die Maxime (der subjektive Grundsatz) des Handelns zugleich als allgemeines Gesetz gewollt werden kann. Die Anforderung an die Maxime ist, widerspruchsfrei als Bestandteil einer allgemeinen Gesetzgebung der Vernunft gedacht und gewollt werden zu können.

Die Goldene Regel beruht auf einem Grundsatz einer Gegenseitigkeit (Reziprozität). Kants Ethik enthält auch eine Gegenseitigkeit. Andere Personen sollen als Zweck an sich selbst behandelt werden, nicht nur als bloßes Mittel. In einer Gemeinschaft/einer Gesellschaft/einem Staat geht es bei rechtlichen Regeln für das Zusammenleben darum, die Freiheit des einen mit der Freiheit des anderen nach einem allgemeinen Gesetz zu vereinen und in Gegenseitigkeit an ein Gesetz zu binden. 

Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden (1795). Ein philosophischer Entwurf. Zweiter Abschnitt, welcher die Definitivartikel zum ewigen Frieden unter Staaten enthält. Erster Definitivartikel zum ewigen Frieden. Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein. AA VIII, 350:  

Rechtliche (mithin äußere) Freiheit kann nicht, wie man wohl zu thun pflegt, durch die Befugniß definirt werden: »alles zu tun, was man will, wenn man nur keinem Unrecht tut«. […] – Vielmehr ist meine äußere (rechtliche) Freiheit so zu erklären: sie ist die Befugnis, keinen äußeren Gesetzen zu gehorchen, als zu denen ich meine Beistimmung habe geben können. – Eben so ist die äußere (rechtliche) Gleichheit in einem Staate dasjenige Verhältnis der Staatsbürger, nach welchem keiner den anderen wozu rechtlich verbinden kann, ohne daß er sich zugleich dem Gesetz unterwirft, von diesem wechselseitig auf dieselbe Art auch verbunden werden zu können."

Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten (1797). Erster Teil. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Einleitung in die Rechtslehre. § B. Was ist Recht? AA VI, 230:  

„Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“

Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten (1797). Erster Teil. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Einleitung in die Rechtslehre. § C. Allgemeines Prinzip des Rechts AA VI, 230 - 231:  

„»Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann etc.

«Wenn also meine Handlung, oder überhaupt mein Zustand, mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, so tut der mir Unrecht, der mich daran hindert; denn dieses Hindernis (dieser Widerstand) kann mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen nicht bestehen.“

Kant fordert allerdings von einem allgemeinen Gesetz, einen Grund der Pflichten zu enthalten.

Unterschiede der Goldenen Regel zum kategorischen Imperativ:

  • geringere Allgemeinheit
  • Grund der Pflichten fehlt (bei Kant geht es letztlich um ein Aufzeigen der Vernünftigkeit der Maxime)
  • bezieht sich auf das Tun, nicht den Grundsatz der Handlung (einander äußerlich ähnliche Tat können in ihrem Grundsatz anders sein; auf der Grundlage eines Tuns könnte mit der Goldenen Regel auch ein Verbrecher gegen einen ihn verurteilenden Richter argumentieren)
  • subjektive Neigungen/Vorlieben können Bedeutung bekommen, da nicht alle das Gleiche stört/nicht allen das Gleiche mißfällt/nicht allen das Gleiche etwas ausmacht (z. B. kann jemand eventuell nicht abgeneigt sein, Konflikte durch Schlägerei zu entscheiden), und daher keine Wirkung in Richtung auf das wünschenswerte Verhalten zustandekommen
Albrecht  27.05.2015, 05:54

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785; 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten AA IV, 429/BA 66/67 stellt eine Zweck-an-sich-Formel des kategorischen Imperativs auf:

„Der praktische Imperativ wird also folgender sein: Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.

Kant unterscheidet sie ausdrücklich von der Goldenen Regel und hält diese für eine eingeschränkte Ableitung der Zweck-an-sich-Formel des kategorischen Imperativs.

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785; 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. AA IV, 430/BA 68 Fußnote:

„Man denke ja nicht, daß hier das triviale: quod tibi non vis fieri etc. zur Richtschnur oder Prinzip dienen könne. Denn es ist, obzwar mit verschiedenen Einschränkungen, nur aus jenem abgeleitet; es kann kein allgemeines Gesetz sein, denn es enthält nicht den Grund der Pflichten gegen sich selbst, nicht der Liebespflichten gegen andere (denn mancher würde es gerne eingehen, daß andere ihm nicht wohlthun sollen, wenn er es nur überhoben sein dürfte, ihnen Wohlthat zu erzeigen), endlich nicht der schuldigen Pflichten gegen einander; denn der Verbrecher würde aus diesem Grunde gegen seine strafenden Richter argumentiren, u. s. w..“

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Die angeführte Redensart ist die platte Formulierung für Kants Kategorischen Imperativ.