Kann man bei Kanjis noch von "Lesen" sprechen?
Während man beim Lesen von Deutsch, bzw. allen romanischen Sprachen (fast) mit dem Finger beim Lesen die Zeilen entlang gleiten kann und jedes Wort einen bis mehrere Zentimeter lang ist, dauert es immer ein wenig bis sich das Verständnis für die Wörter einfindet. Mann muss ja mit dem Auge von links nach rechts "abscannen".
Im Japanischen hingegen kann man doch eigentlich nicht mehr von "Lesen" sprechen, also nicht das Lesen und Entziffern in diesem Sinne wie wir es verstehen?
Du schaust auf ein Zeichen und musst nicht erst mit dem Auge entlangfahren sondern die Bedeutung erschließt sich direkt in deinem Verstand wenn man draufguckt. Also wirklich direkt und unverzüglich. Instant.
Eine krasse Erfahrung die ich gemacht habe als ich in Japan an einer Werbetafel vorbeigefahren bin, die aber direkt wieder weg war. Eine Sekunde oder so und ich wusste komplett was da drauf stand. (War wenig aber trotzdem). Ich war baff und verdutzt. Auch ein wenig verunsichert was da gerade passiert war. Es war irgendwie gruselig, dass eine Werbefirma (in diesem Falle zumindest) einen direkten Draht in meinen Verstand hatte....
Ist das noch "Lesen" in unserem westlichen Sinne?
3 Antworten
Beides, lateinische Schrift und Kanji, werden gelesen. Wer fließend lesen kann, liest auch lateinische Schrift nicht Buchstabe für Buchstabe von links nach rechts, sondern springt und erfasst dabei unterschiedlich große Teile.
Du hast also 1 Datenpunkt, der einzig und allein auf deinem subjektiven Eindruck ohne direkten Vergleichen beruht.
Aber nehmen wir einfach mal an, Kanji wären generell schneller zu lesen. Wieso sollte das nicht mehr "Lesen" sein? Das ergibt aus linguistischer Perspektive schlichtweg keinen Sinn.
Das mit dem Datenpunkt und dem subjektiv stimmt natürlich, dafür bin ich ja hier in die Diskussion gegangen. Direkte Vergleiche habe ich insofern, dass dieser Effekt Effekt immer da ist.
Ich nehme an du kannst kein Japanisch oder Chinesisch lesen?
Das ist wie wenn du auf ein Stillleben kurz draufschaust. Da weisste auch was da abgebildet ist ohne das Bild von oben nach unten mit den Blicken abzuscannen.
Es geht mir ja nur darum ob das Lesen von Kanjis und Alphabet anders funktioniert. Also die Verarbeitung im Gehirn anders funktioniert.
Vielleicht bin ich dafür im falschen Bereich, sorry.
Nicht anders als bei romanischen Sprachen, wo du ebenfalls nicht jedes Wort Buchstabe für Buchstabe liest, sondern als ganzes.
dauert es immer ein wenig bis sich das Verständnis für die Wörter einfindet. Mann muss ja mit dem Auge von links nach rechts "abscannen"
Muss man das? Also ich eigentlich nicht, ich erfasse normalerweise mehrere Wörter „auf einmal“. Erinnert mich auch an diese experimentellen Texte, in denen die Buchstaben innerhalb der Wörter vertauscht oder verändert sind man (oder naja, ich zumindest) sie trotzdem beinahe genauso schnell lesen kann.
Und so ähnlich ist es bei Japanisch auch. Bei einem fortlaufenden Text (also nicht nur ein paar Zeichen wie bei deiner Werbetafel) bin ich aber definitiv langsamer bei Japanisch (was ich mir aber auch verzeihe, es ist nun einmal nicht meine Muttersprache). Aber ja, ich würde schon beides als lesen bezeichnen.
Ja der Begriff lesen ist wohl richtig. Ich bin aber immer noch der Meinung, dass die Informationsübertragung beim Anschauen eines Stilllebens (=Lesen von Kanji) und dem Lesen eines europäischen Textes anders abläuft.
Ich bin immer schwer beeindruckt wenn ich sehe wie schnell Japaner die Buchseiten umblättern.... Wenn das alles in Kana oder Romaji geschrieben wäre wärens 3 mal so viele Seiten und das Lesen würde alleine deswegen schon länger dauern.
Das stimmt allerdings, Japaner lesen unglaublich schnell. Auch im TV, bei Werbung etc arbeiten Japaner ja viel schrifttextlich, und mir fällt da oft auf, dass mir das Tempo von Text manchmal viel zu schnell ist. So ähnlich, wie mir das Tempo von Dialogen in US-amerikanischen Filmen zu schnell ist. Also nicht das grundsätzliche Sprechtempo, sondern dass Figur B schon zu sprechen anfängt, bevor Figur A den letzten Ton vom letzten Wort gesagt hat. Für mich gehört eine kleine Pause zwischen zwei Redebeiträgen. Schnelligkeit ist irgendwie nichts, was ich bewundere…. Manchmal, wenn ich im Zug einem Japaner über die Schulter schaue, der einen Manga liest und umblättert, umblättert, umblättert, umblättert, bekomme ich manchmal fast PTSD und möchte ihn anschreien „Typ! Guck dir gefälligst die Bilder und auch den Text auch richtig an! Das ist Kunst, die ist zum Genießen da!“ Und mit textlicher Werbung ist es eigentlich ähnlich bei mir. Ich mag Kanji (auch wenn ich nicht extrem gut in ihnen bin), ich finde sie einfach ästhetisch, und ich gucke sie gerne in Ruhe an…. Zum Beispiel dieses in der Werbung sehr häufige 激安, sieht das nicht extrem ästhetisch aus? Das macht bei mir ein ganz anderes Gefühl als das deutsche Pendant „Billig! Billig! Billig!“. Ich will nicht, dass 激安 in so einem hässlichen gelb-roten Stern in Rekordzeit eingezoomt und gleich wieder ausgeblendet wird, ich will dass das hübsch mehrere Sekunden gezeigt wird, in Kalligraphie, mit Musik… 🥲 Naja, so sind Menschen halt unterschiedlich.
Hmm, also sogar als native deutscher Lese ich deutsch signifikant langsamer als Japanisch. Selbst mit überspringen und den erfassen ganzer Teile....