Die griechische und römische Antike waren kein Paradies für Schwule und Lesben.
Häufig werden die griechische und römische Antike als Musterbeispiele für Toleranz in Bezug auf Homosexualität genutzt. Aber in Wirklichkeit war die Toleranz nur sehr begrenzt und mit der gleichgeschlechtlichen Liebe, die wir heute akzeptieren würden, nicht vereinbar. Im Antiken Griechenland war die Knabenliebe weit verbreitet (Beziehungen zwischen Jungen im Alter von 12 bis unter 18 Jahren und deutlich älteren Männern), wobei der Erwachsene aktiv und der Junge passiv sein sollte. Mit Sklaven und Ausländer in der passiven Position war das ebenfalls gesellschaftlich möglich. Aber gleichberechtigte schwule Beziehungen waren geächtet und wurden verspottet. Ein attischer Bürger, der sich prostituierte, konnte sein Bürgerrecht verlieren. In Rom waren schwule Beziehungen zwischen freien Römern unabhängig vom Alter gesellschaftlich verpönt und ab dem 2. Jahrhundert nach Christus sogar illegal. Nur wenn die passive Rolle ein sozial niedriger Gestellter wie etwa ein Sklave oder Ausländer einnahm, wurde es toleriert. Im römischen Militär wurden Soldaten für sexuelle Handlungen mit anderen ebenbürtigen Soldaten sogar zu Tode ausgepeitscht. Hört sich doch wohl gar nicht nach einem Paradies für Schwule an. Sowohl in Griechenland, als auch in Rom war neben weiblicher Prostitution auch männliche Prostitution häufig. Sklaven beiderlei Geschlechter wurden teilweise von ihren Hausherren dazu gezwungen, nur um das dadurch erlangte Geld selbst (gemeint die Hausherren) einzusacken.
Es waren also Beziehungen, die von Hierarchien geprägt waren. Wie würden wir heute eine sexuelle Beziehung zwischen einem zwölfjährigen Jungen und einem dreißigjährigen Mann bezeichnen? Richtig: sexuellen Missbrauch. Und wie wenn jemand gegen seinen Willen zu sexuellen Kontakten gezwungen wird? Richtig: Sexuelle Nötigung oder gar Vergewaltigung. Für gleichberechtigte schwule Beziehungen wurde man damals stigmatisiert oder gar in Rom bestraft.
Kaiser Nero und Kaiser Hadrian haben auch gleichgeschlechtliche Partner geheiratet, aber Kaiser durften sowieso auch alles.
Für die Mehrheitsbevölkerung war dies nicht so einfach. Und letztendlich war eine rein homosexuelle Lebensweise für viele sowieso nicht vorgesehen. Auf Männer und Frauen lastete enormer gesellschaftlicher Druck Kinder zu bekommen. Die meisten auch gleichgeschlechtlich orientierten Männer hatten nur nebenbei Sex mit Sklaven, in Griechenland mit Knaben, etc.
Zur weiblichen Homosexualität in den beiden Antiken Kulturen ist weitaus weniger bekannt. Die Dichterin Shappo, die viel über gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Frauen vertonte, war eine ganz große Ausnahme. Die meisten Frauen in der Antike besaßen deutlich weniger Rechte als Männer oder sogar kaum. Ihre sexuellen Freiheiten waren meist sehr eingeschränkt. Und spätere römische Dichter wie Martial und Juvenal verhöhnten weibliche Homosexualität sogar.
Auch darüber hinaus waren die beiden Kulturen keine menschlichen Vorbilder. Sklaverei war sehr tief verankert in beiden. Auch Frauen wurden sehr unterdrückt. Kinder mit Behinderungen wurden meist schon kurz nach ihrer Geburt getötet oder ausgesetzt und verhungerten. In Rom wurden Kriegsgefangene und religiöse Minderheiten im Kolosseum vor ca. 50 000 Zuschauern zur Belustigung bei lebendigen Leib wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen.
Alles nicht schön. Soll die queere Community wirklich weiterhin diese zwei Kulturen als Musterbeispiele verwenden, obwohl es deutlich egalitäre und weniger grausame historische Kulturen gab/gibt mit sexueller Vielfalt (z.B. Polynesien, Navajo, Zuli, Indische Veden, San, Bugis)?
4 Antworten
Ich bin durchaus bis zu einem gewissen Grade in entsprechenden Communitys unterwegs und habe dort eher nicht mitbekommen, dass die als Musterbeispiele angeführt werden, sondern eher als Gegenargumente gegen Konservativ-Traditionalistische Positionen, welche Rollenbilder im Grunde über das definieren wollen, was sich während der letzten 250 Jahre oder so herausbildete, aber das als "Uralte Abendländische Identität" o.ä. verkaufen wollen...
Dabei geht es weniger um eine Idealisierung als vielmehr um das in fragestellen sehr eng gefaster kultureller Identitätskonstruktionen.
Primär weil es bei den Diskussionen oft um eine Spezifisch "Abendländische" oder europäische Kultur geht in welcher sich Konservative u.ä. hierzulande durch Queere Lebensrealität bedroht fühlen...
da bringt dann der verweis auf Gruppen von denen sich diese Personen ohnehin eher abgrenzen als sich damit zu identifizieren wenig.
Ich selbst neige zwar dazu eher Gemeinsamkeiten zu betonen (und dann z.B. auch in anderen Bereichen z.B. chinesischen Taoismus und Griechen Kynismus als verwandte Ideologien anzusehen, auch wenn sie keinerlei Austausch gehabt haben dürften etc.) aber das bringt halt in einer Diskussion wenig wo der gegenüber eben genau vom Gegenteil ausgeht.
Danke für diese Anmerkung. Ich würde dann vorschlagen: Bei der Frage ob es in der europäischen Geschichte schon früher Homosexualität gab, da sollten wir tatsächlich eher auf europäische Beispiele zurückgreifen. Die minoische Kultur (ebenfalls eine griechische Kultur bis um etwa 1600 vor Christus auf Kreta) scheint auch egalitärer im Allgemeinen gewesen sein als das spätere Antike Griechenland und Hinweise deutet daraufhin, dass Homosexualität hier auch nicht unüblich war und dort wahrscheinlich akzeptiert wurde. Diese minoische Kultur könnten wir dann eventuell auch noch in Betracht ziehen. Aber ich stimme dem zu, die anderen von mir genannten Kulturen sind eher Beispiele für außerhalb Europas. Diese kann man dann aber bei der Frage vorlegen ob es Homosexualität oder Transidentität generell unabhängig vom Kontinent schon auch vor Jahrtausenden gab und nicht erst in den letzten Jahrzehnten.
Ja, die Minos ginge aber auch hier greifen wieder psychologische Mechnaismen wie Verfügbarkeitsheuristik etc. - d.h. Menschen halten für wahrscheinlicher an was sie sich besser erinnern können...
...wenn ich also Beispiele bringe, wenige Verknüpfungen im Gehirn haben, erziele ich ggf. das Gegenteil des erwünschten, d.h. Anstelle das konservative Idenditätskonzept in Frage zu stellen, wirkt dass als würde ich Rosinenpickerei betreiben, sowas lässt sich viel leichter in die Schublade "Ausnahme von der Regel" packen, als wenn ich Griechen, Römer und "Germanen" anführe etc.
Deshalb ist unkonkreter manchmal leider auch deutlich effektiver als konkret, weil dass eben auch oft eher unter "Ausnahme" eingeordnet wird.
Ok. Vielleicht könnten wir uns darauf einigen, dass das Antike Griechenland und das Antike Rom als Gegenargumente zu “Homosexualität in Europa ist eine Modeerscheinung” nützlich sind, dazu vielleicht auch noch andere europäische Kulturen wie die minoische. Allerdings sollte die Queere Community diese nicht idealisieren und im Hinterkopf die Schattenseiten der griechischen und römischen Antike behalten. Wer sich jedoch umfangreicher über die Geschichte der sexuellen Vielfalt informieren möchte oder nach wirklichen vergleichsweise fortschrittlichen historischen Beispielen oder Beispielen außerhalb von Europa sucht, da könnten dann mehr die anderen Kulturen erwähnt werden. In Afrika und Indien beispielsweise ist sexuelle Vielfalt heute auch ein ganz heikles Thema. Dort könnte man dann eher auf die indischen Veden oder die San zurückgreifen.
Ja, natürlich, nur habe ich bisher nicht mitbekommen, dass sie dort Idealisiert würde.
Umgekehrt auch eher selten, dass sie von außen Attackiert wurde, was einer der Gründe sein dürfte, weshalb sie gerne genommen wird*, sondern eher aus den eigenen Reihen - das mag jetzt natürlich auch daran liegen wo ich dort unterwegs bin, was allgemein relativ Linke und Progressive Kreise sind, aber die Antike ist da eher kein Sehnsuchtsort sondern selbst Gegenstand harter Kritik an Patriarchat und Privateigentum.
*(ist in anderen Politischen Diskussionen nervig wo oft recht schnell Stalin, Nordkorea und Pol Pot hervorgeholt werden und dann eingeschnappt reagiert wird, wenn mensch die gesamte Kolonialgeschichte, über CIA-Aktionen während des Kalten Kriegs bis Guantanamo ausbreitet, von wegen das wäre alles typisch Linksextremer antiwestlicher hass, während sie es waren welche mit Red-Scare-Allgemeinplätzen angefangen haben)
Ich bezweifle, dass man wirklich so ganz genau weiß wie es vor ca. 2.500 - 2.000 Jahren war.
Das ist m. W. falsch bzw. anders
Bei den Römern war Anal als passiver Teil unter Männern geächtet. Man durfte aktiv sein. Das war ok. Der Akt wurde aber wohl als Unterwerfung bewertet.
Die Greichen waren da wohl etwasfFreier und nicht umsonst wird anal ja auch als "griechisch" bezeichnet.
Die Ächtung der Homosexualiät ist eher christlichen Ursprungs.
Das die Gesellschaften anders als heute waren, ist eine Binsenweisheit und m. E. keiner Erwähnung wert.
Bei einer Beziehung zwischen zwei freien männlichen Römern, musste ja einer davon die passive Rolle einnehmen. Deswegen waren sie ja verpönt. Und auch im Antiken Griechenland weißen viele neue Entdeckungen daraufhin, dass schwule Beziehungen unter erwachsenen Bürgern mit nur wenigen Ausnahmen ebenso wie in Rom geächtet wurden. Verbreitet war vor allem die Knabenliebe. Und auch in diesen Konstellationen zwischen erwachsenen Männern und männlichen Jugendlichen kam Analsex vor. Was erklären dürfte, weshalb es griechischer Sex genannt wird.
Obwohl es in beiden Kulturen auch viele moralische und sittliche Entgleisungen gab, die zum Untergang führten, waren die Standards sehr wohl allen bekannt.
Das kann ich gut verstehen und ich bin auch der Meinung. Man kann es aus meiner Sicht als Beweis nehmen, dass Homosexualität im Allgemeinen keine “Modeerscheinung” ist solange man es nicht idealisiert. Ich frage mich allerdings, weshalb andere historische Kulturen wie die indischen Veden, Polynesien, Navajo, Zuli, Bugis oder San nicht genommen werden. Diese waren meinen Kenntnissen nach nicht nur generell deutlich egalitärer und weniger grausam als das Antike Griechenland und das Antike Rom, sondern diese Kulturen boten auch eine Bandbreite an sexueller Vielfalt. Bei San in Afrika zum Beispiel konnte man Artefakte sogar noch aus der Steinzeit finden, die auf Homosexualität oder Transidentität hindeuten. Diese Kulturen wären aus meiner Ansicht viel geeigneter. Aber wahrscheinlich (so vermute ich) sind diese Kulturen leider zu unbekannt. Was ich zwar Schade finde, aber die Leute kennen wohl eher das Antike Griechenland oder Rom.