Ist das ferne Ziel der Lebenserfahrungen den Übermenschen zu erschaffen?
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Solange Menschen leben haben sie Phantasien und Träume, dass sie nicht in ihrer Leistungsfähigkeit und ihren Kompetenzen eingeschränkt wären, sondern weit darüber hinaus Befähigungen hätten, die sie vor den anderen auszeichnen würden. In der Psychologie wurde dafür der Begriff "Allmachtsphantasien" geschaffen.
Die Evolution hat den Menschen in seinem Verhalten so geschaffen, dass er ständig im Wettbewerb steht, und dass er unter keinen Umständen verlieren darf. Zu siegen ist natürlich der Prozess, der in besonderem Maße angestrebt wird. Man möchte der Gewinner sein, und wann ist man der Gewinner? Wenn man mehr kann, mehr weiß, stärker, gesünder, leistungsfähiger, kompetenter, liebenswerter, reicher ist und zudem viele Menschen in seinem Umfeld hat, von denen man bewundert, verehrt und geliebt wird. Un genau dieser Mensch ist der Übermensch. Damit ist überhaupt nicht gemeint, dass man gottgleich sein wollte, sondern eben nur in allen positiven Attributen überlegen ist.
Da nun aber der Mensch immer ein Wesen mit einer Fülle von Unzulänglichkeiten ist, weil man immer krankheitsanfällig ist, weil man sich verletzen kann, weil man älter wird, weil man Sachverhalte nicht kennt und folglich scheitern kann, weil man in seinem Wissen zwangsläufig beschränkt ist, weil man einen Körper hat, der keineswegs allen ästhetischen Erwartungen der Mitmenschen genügt und weil man nie so trainiert sein kann, um allen sportlichen Anforderungen zu genügen, wird die Sehnsucht nach dem Übermenschen zwar bleiben, aber immer nur im Feld der unerreichbaren irrealen Phantasien verbleiben.
Nietzsche würde zwar zustimmen, dass der Mensch sich zum Übermenschen erheben und die Fesseln der christlichen Sklavenmoral nach dem vermeintlichen Tod Gottes abwerfen müsse. Allerdings offenbart das Ideal des Übermenschen eine tiefe menschliche Hybris, den irrigen Glauben, ein endliches und sterbliches Wesen könne sich an die Stelle Gottes setzen. Diese irrige Vorstellung nährte die nationalsozialistische Wahnidee von der Überlegenheit der arischen Rasse und mündete in die industriell betriebene Vernichtung sogenannter "Untermenschen" in den KZs Europas, wofür Auschwitz zum Synonym wurde. Auschwitz steht für das beispiellose größte Menschheitsverbrechen und illustriert auf erschreckende Weise ganz konkret Nietzsches radikales Denken. Darum mahnte auch die Philosophin und Totalitarismusforscherin Hannah Arendt: "Wer groß denkt, denkt gefährlich." Auschwitz sollte uns allen eine unauslöschliche Mahnung sein: Nie wieder Faschismus!
Das Ziel kann nur ein freier selbstbestimmter Mensch sein, der seine gesamte Gestaltungskraft ausleben kann, wobei diese positive Utopie nur durch eine soziale Anstrengung möglich werden kann, jedoch kaum durch eine individuell bleibende Bemühung, die sich auf eine Karriere in einem Machtapparat und Gutmenschentum reduziert.
Einige haben es so gesehen, z.B. Nietzsche (obwohl er weiter gedacht hat). Der Übermensch und der "Wille zur Macht" sind Ausdruck von erlebten Defiziten.
Frankl hat den Willen zum Sinn betont. Es ist viel glaubwürdiger.