Hey,
leider gibt es wohl viele junge Mädchen und Frauen, denen es so ergeht wie dir. Keine Ahnung, ob das ein Trost für dich ist, aber du bist definitiv nicht allein mit deinen Problemen und immerhin - und damit bist du anderen einen Schritt voraus - hast du beschlossen, etwas dagegen zu unternehmen. Sonst hättest du dich bestimmt nicht hier angemeldet. So weit schaffen es andere Mädchen gar nicht; die verfallen irgendwann in Resignation und akzeptieren ihr Schicksal.
Was also kannst du tun? Du kannst drei Wege gehen:
-> 1. Du setzt deine eigenen Interessen gegen die deiner Familie durch und verschaffst dir dadurch mehr Freiheit. Ich kann schwer bewerten, wie realistisch dieser Weg wäre. Aus deinem Fragetext geht nicht hervor, wie deine Familie reagieren würde, wenn du plötzlich dein eigenes Ding machst, also kein Kopftuch mehr aufsetzt und dich mit Jungs triffst. Wären sie nur beleidigt, würden es aber irgendwann akzeptieren? Oder würden sie dich bestrafen, vielleicht sogar mit körperlicher Gewalt? Das kannst nur du bewerten, weil wir kennen deine Familie nicht.
-> 2. Du verlässt deine Familie und lebst dein eigenständiges Leben, in einer neuen Stadt, mit neuen Freunden. Klar ist dieser Schritt schmerzhaft, denn niemand löst sich gerne von seiner Familie. Gerade in deinem Kulturkreis spielt Familie eine wichtige Rolle, damit bist du aufgewachsen und das hat sich tief in dir eingebrannt. Du müsstest also deine Komfortzone verlassen und - was für dich als Mädchen in deiner Kultur sicherlich auch ungewohnt ist - die volle Verantwortung für dich übernehmen, deine eigenen Entscheidungen treffen. Ein echter erwachsener Mensch sein, der sich selbst Rede und Antwort steht, statt der Spielball und das "Besitztum" deiner Familie, die alles über deinen Kopf hinweg entscheidet. Bis dato bist du wie ein Kind gewesen, also ein unmündiger Mensch, dem man keine Entscheidungsfähigkeit oder Verantwortung zutraut und den man mit Lob und Tadel so lenkt, wie man ihn gern hätte. Mit Freiheit hat das wenig zu tun. Und mit Liebe meiner Meinung nach auch nicht, denn lieben dich deine Eltern wirklich? Lieben sie wirklich dich als Individuum, so wie du bist und gern leben möchtest? Du als einzigartiger Mensch, mit deinen Wünschen und Gefühlen? Oder lieben sie nur die gehorsame Tochter bzw. Schwester, die sich nach dem erwarteten kulturellen Regelkatalog verhält? Also eine Vorstellung von dir, eine Rolle, die theoretisch jedes Mädchen einnehmen könnte?
-> 3. Du bringst nicht genug Mut für die beiden erstgenannten Schritte auf und resignierst. Das mag auf den ersten Blick der gemütlichste und einfachste Weg sein, denn so gehst du Konflikten aus dem Weg und bleibst in deiner Komfortzone. Aber auf lange Sicht ist es wohl der schmerzhafteste Weg, denn ein erfülltes Leben wirst du so sicher nicht haben, weil du immer nur nach den Vorstellungen deiner Familie leben musst und nicht nach deinen eigenen. Du wirst immer das unmündige Kind sein, gefangen in der kulturellen Agenda, die deine Eltern für dich beschlossen haben und zu der dich auch dein Bruder immer zwingen wird.
Beim Lesen hast du bestimmt schon fühlen können, dass ich dir eindeutig zum ersten oder zweiten Weg rate. (Je nach dem, wie streng und gewalttätig deine Familie ist, sogar eher zum zweiten.) Ja ich weiß, ich habe leicht reden, weil ich selber nicht in der Situation stecke. Aber ich weiß von mir selber gut genug, dass es immer leicht ist, in seiner Komfortzone zu bleiben und den einfachen Weg zu wählen. Aber ebenso habe ich festgestellt, dass man niemals den kurzfristigen Komfort vorziehen sollte, wenn der Preis dafür das langfristige Leid ist. Du hast nur dieses eine Leben, und selbst wenn du an ein Leben nach dem Tod glaubst, dann hast du trotzdem nur ein irdisches Leben im Hier und Jetzt, wenn alles gut läuft etwa 90 Lebensjahre, und es wäre eine Tragödie, wenn du die einfach wegwerfen würdest. Wenn du sie verschwenden würdest und nach Regeln lebst, die dir nicht gefallen und dein eigenes Ich verleugnest, statt dich selbst in deinem Tun und Handeln zu verwirklichen. Ich hoffe, du schaffst es, dir deinen Weg in die Freiheit zu erkämpfen. Gerne begleite ich dich dabei, hab dir ja wie du bemerkt haben müsstest eine Freundschaftsanfrage geschickt.
"Der Schmerz der Disziplin wiegt 1 Kilogramm. Der der Reue 1 Tonne."
Ganz liebe Grüße und viel Glück!! :-)