In der heutigen Zeit ist es sehr schwer geworden, sich in sich selbst zurück zu ziehen. Die Welt ist hektisch und laut geworden und es geht immer mehr darum, überall gleichzeitig zu sein. Es ist heute wichtig, 24 Stunden in What's Ap präsent zu sein, um nur ja nicht eine Information zu verpassen und überall dabei zu sein. Das ist die persönliche Globalisierung. Das Individuum geht bis in den persönlichen Bereich in der Masse auf und verschwindet darin.
Wer aber überall ist, der ist überall, bloß nicht bei sich selbst oder in sich selbst. Für viele Menschen ist der Weg in das eigene Selbst so schwierig geworden. Man tut alles, um den Weg "hinunter" in die Tiefe zu vermeiden.
Ich denke, dass das daran liegt, dass der Mensch in sich selbst ein übermächtiges extrem hässliches und abstoßendes Wesen vermutet, dem er nur ja nicht begegnen mag. Aus Angst, man würde die eigenen Gesichtszüge auf diesem Gesicht des inneren Monsters, das man selbst zu sein glaubt, erkennen.
Wer sich wirklich auf dieses Abenteuer einlässt, der wird feststellen, dass das kleine verhutzelte und verstoßene Wesen, das tief in uns lebt, ein Kind ist. Ein trauriges, fortgeschobenes verletztes Kind. Das niemand haben mag, vor dem alle fortlaufen. Weil es so weh und einsam ist, dass es tief berührt.
Wer diesen Weg einmal gegangen ist, der kann anderen helfen, ihren eigenen Weg zu ihrem eigenen verhutzelten Wesen zu gehen. Und sich damit auszusöhnen.
Der Weg hinab in uns selbst ist aber steinig. Es gibt viele Instanzen, die ihn bewachen. Sie bei unserem Vorbeischreiten den Kopf heben, unsere Kerzenflamme auspusten wollen, die unsere Angst im Hinabsteigen verstärken, in dem sie uns einreden, doch lieber umzukehren, in dem sie im Kerzenlicht groteske Schattenbilder des kleinen Hutzelwesens an die Wände zeichnen und uns einreden, dass es uns übel will und dass es ganz schlecht wäre, das Bekannte und Vertraute Wegsehen zu verlassen und uns auf das Neue zu uns selbst Hinsehen und Hinfühlen einzulassen.
Manchmal zeigen sich diese Hindernisse, ich nenne sie die inneren Schweinehunde, auch im Außen. Indem wir den Weg zu wichtigen Terminen verlieren, bei denen wir neue innere Wege gehen werden. Die wissen das GANZ genau, programmieren den Navi um und lassen uns in die verkehrte Richtung fahren.
Wenn man die inneren Hindernisse gesehen und erlebt hat, dann erkennt man sie schneller. Dann kann man ungebetene Gedanken da sein lassen und wegplätschern lassen. Und geht dennoch unbeirrt seinen Weg weiter.
Ich denke, dass insgeheim heute viele Menschen den Weg nach Innen suchen oder ihn gerne finden würden. Da das aber nicht geht, ohne sich auf den Abstieg und das Hutzelwesen einzulassen rennen viele mit einem Affenzahn durch die Welt, von Freund zu Action, von Action zu Fete, von Fete zu Disco und von Disco zum Freund.
Seltsamerweise verfolgt sie in den stillen Stunden ein leiser Schritt, der wie ein Stalker immer genau so weit im Dunklen hinter uns liegt, das wir nur erahnen können, welches Monster dort hinter uns her stalkt. Die ganz aufmerksamen hören die leise Stimme, die immer wieder darum bittet, gesehen zu werden. "Bitte, sieh mich doch. Sie wenigstens DU mich. Ich bin Du. Ich bin doch kein Monster. Bitte sieh mich doch nur einmal an. Schau mir doch nur ein einziges Mal ins Gesicht."
Aber je eindringlicher die Stimme darum bittet, umso lauter macht sich der Mensch die Welt.
Und umso weniger wird er den Weg in sich selbst und zu sich selbst finden.
Irgendwann geschehen sonderbare Dinge, die uns dann dazu zwingen, in uns selbst hinein zu schauen. Denn tief drinnen sehnen wir alle uns danach, den Mut zu finden, uns umzudrehen und dem Wesen ins Gesicht zu sehen, das in uns lebt.
Leider braucht es dazu oft großen Leidensdruck, sich immer wieder wiederholende Kalamitäten des Lebens, bis man sieht, dass es nur einen Weg gibt in uns selbst: Augen auf und durch.
Geht man aber diesen Weg erhält man ein großes Geschenk. Einen Moment höchster Klarheit. Man begegnet sich selbst neu. Man hat die Chance, sich mit sich selbst auszusöhnen. Und man bekommt die Chance, das kleine einsame Hutzelwesen behutsam ein Stück weit durch alte Verletzungen zu begleiten, dem Hutzelwesen Liebe, Mitleid und Aufmerksamkeit zu schenken, sodass es heilen kann und nicht mehr so einsam und verstoßen sein muss.
Wer diesen Weg in sich selbst hinein einmal gegangen ist, der wird mit dem Wissen belohnt, dass man vor sich selbst nie fortlaufen kann, da man sich selbst immer mitnimmt. Und dass so mancher Blick auf uns selbst ganz anders und viel weniger abstoßend ausfällt, als man vorher geglaubt hat.
Und, dass wir uns in unseren Fluchten alle ähneln. Und dass jeder in sich diese tiefsitzende Angst vor der Hässlichkeit des eigenen Selbst hat, die uns daran hindert, dessen Schönheit und Wahrhaftigkeit überhaupt zu erleben.
Nur, wer den Mut aufbringt, sich einmal wirklich selbst in die Seele zu sehen, sich einmal wirklich in sich selbst zu versenken, der wird damit beschenkt.