Hallo liebe Kollegin,
kenne Dein Problem selber (wenn auch in abgewandelter Form).
Ich bin aufgrund der schulpolitischen Lage in einem Bundesland als Studienrätin vor anderthalb Jahren an eine Gemeinschaftsschule gewechselt.
Einer der Schüler in meiner sechsten Klasse, der mir Kopfzerbrechen bereitet(e), ist ein reichlich verwahrloster Junge mit ADHS, der sich bis vor kurzem weigerte, sein Ritalin zu nehmen, ungewaschen und stinkend wie ein Iltis in die Schule kam und, wenn er nicht wie ein Großer störte, schnarchend auf dem Tisch lag.
Was tun?
Wenn ich ihn zur Ordnung rief, wurde er richtig aggressiv, schrie, dass er mich hasste, war unverschämt, das volle Programm halt.
Ein dreiviertel Jahr lang habe ich ihm richtig Zunder gemacht - und sobald er den winzigsten Ansatz bot, bis über den Klee gelobt.
Zusätzlich habe ich den Schulpsychologen eingeladen, der eine Doppelstunde bei mir hospitierte, um mich dann auführlich zu beraten.
Die Mutter war auch nur sehr schwer erreichbar und scheinbar ziemlich überfordert. Irgendwann hatte ich sie dann mal, und erklärte ihr, dass ihr Junge bitteschön in Zukunft geduscht und in von ihr gewaschenen Klamotten auftaucht, sie persönlich samt Blick unter die Zunge kontrolliert, ob er seine Tablette geschluckt hat und sie spätestens um 21:00 sämtliche multimediale Geräte einsammelt, damit er nicht weiter seine Klassenkamerade nachts um eins per WA aus dem Schlaf reißt.
Ihn habe ich mir zusätzlich auf einem Ausflug geschnappt, mich bei ihm entschuldigt, dass ich ihn immer so hart angehe und erklärt, warum ich das mache. Dass es ein Zeichen von Interesse und Fürsorge ist, wenn ihn ein Lehrer so piesackt.
Darauf reagierte er total super und wir trafen dann ein "gentlemen´s agreement": Ich wolle mehr Geduld mit ihm haben, er sich mehr bemühen. Das haben wir mit einem Eis besiegelt - seitdem ist er wie ein Welpe, der sich um Aufmerksamkeit und Wohlwollen bemüht und, das ist das Verrückteste, andere Störenfriede in der Klasse richtig zurechtweist.
Freitag nach der Zeugnisausgabe hat er sich, als er die positive Verbesserung in seinem Zeugnis gesehen hat, sogar bei mir bedankt, dass ich das letzte Jahr so streng mit ihm war! Hach... :-)
Aus der Beschreibung Deiner Schülerin vermute ich, dass zuhause im großen Stile etwas im Argen liegt. Möglicherweise ist sie nicht nur sehr sich selbst überlassen, sondern muss aufgrund von Krankheit oder Suchtproblematiken Verantwortung aus der Welt der Erwachsenen übernehmen, die man ihr in ihrem Alter nicht zumuten sollte. Das würde nicht nur ihr verantwortungsvolles Sozialverhalten erklären, sondern auch, warum sie Anweisungen von Erwachsenen erstmal in Frage stellt.
Weiß ja nicht, ob die Vorgehensweise für Dich so passen würde, aber ich würde sie mir beiseite nehmen und ihr erklären, dass wir ein ernsthaftes Gespräch führen müssten. Ich würde erstmal alles aufzählen, was mir positiv an ihr auffiele. Und dass sie nicht verpflichtet sei, mir irgendwelche persönlichen Sachen preiszugeben, dass ich dann aber nur mutmaßen könnte, was bei ihr vorgeht. Und dass das mir große Sorge bereite. Gleichzeitig könne ich bei allem Verständnis weder die zu erreichenden Lernziele außer acht lassen, noch Ausnahmeregelungen für sie anwenden, das wäre den Klassenkameraden gegenüber nicht fair. Ihr muss klar werden, dass es so für sie nicht weitergeht, Du aber gewillt bist, sie zu unterstützen und auf ihre Vorschläge diesbezüglich einzugehen.
Was die Eltern betrifft:
Sprich mit Deiner Schulleitung (melden macht frei..), lade die Eltern zu einem Gesprächstermin in die Schule (3 Terminalternativen zu unterschiedlichen Uhrzeiten vorgeben) und wenn sie ihren elterlichen Pflichten nicht nachkommen (laut Schulgesetz sind sie ebenso für ein Gelingen des schulischen Miteinanders verantwortlich), frag Deine Schulleitung, ob man ggf. das Jugendamt einschalten sollte.
Hole auf jeden Fall den Schulpsychologen ins Boot (wobei Du für eine Unterrichtsevaluation die schriftliche Einverständnis der Eltern brauchst..).
In ganz hartnäckigen Fällen empfehle ich außerdem den unangekündigten Hausbesuch. Zeitaufwendig, kann aber bei desinteressierten Eltern Wunder wirken! Für solche Besuche empfiehlt sich übrigens ein formelles Outfit, um Dein Auftreten als Vertreter einer amtlichen Institution zu unterstreichen. ;-)
So, was ein Lex... Hoffe, das hilft Dir ein wenig weiter!
LG,
UnionJane