Viele Türken haben ihre eigene Art, ihren Glauben auszuleben und sind dennoch weder offiziell Atheisten noch ultrareligiös. Es gibt ja auch keine bipolare Ordnung was das angeht. Das meiste in der Gesellschaft findet ja sowieso zwischen den Extremen statt.
Kurden und Türken sind in der Türkei sehr gemischt, teilweise kann man sie allein am Aussehen kaum unterscheiden, auch geografisch sind sie teils gemischt. Es gibt zwar Regionen, die kurdisch geprägt sind, aber dennoch offiziell zur Türkei gehören, wo auch offiziell Nicht-Kurden bzw. ganz durchschnittliche Türken leben. Sehr viele Kurden leben bspw. auch in Istanbul.
Als besonders weltoffen und säkular gelten die südwestlichen Küstenregionen der Türkei, welche Städte wie Izmir und Antalya umfassen, aber auch Istanbul. Diese sind aufgrund ihrer Geschichte und touristischen Attraktivität sehr beliebt bei Ausländern. Es gibt viele Europäer, die dort leben, aber selbst gar keine Türken sind.
In den von dir genannten Regionen der Kurden gibt es neben Muslimen auch Jesiden, die natürlich keine Muslime sind. Daneben gibt es auch Aleviten, die teilweise sehr unterschiedlich aufgestellt sind. Möglicherweise könnte es sein, dass dein Kumpel aus so einer Familie kommt?
Ich war erst irritiert, als ich das las, denn es ist üblich, dass der Osten der Türkei konservativer ist als der Westen. Ich selbst war noch nie in der Osttürkei. Ich weiß aber, dass es rein vom Aussehen her nicht so große Unterschiede gibt zwischen den Türken, die hier im Westen der Türkei leben, und dem Gesellschaftsbild, das man aus europäischen Großstädten kennt.
Die Türkei ist, was Religiosität angeht, sehr gemischt. Es gibt Frauen, die Kopftuch tragen und welche, die es nicht tragen. Auch innerhalb einer Familie gibt es verschiedene Konstellationen. Und das ist auch gut so. Keiner sollte weder das eine noch das andere stigmatisieren. Deshalb irritiert mich die Frage doppelt, denn ich mag diese Vereinfachungen oder Bemühungen davon nicht, wo eine ganze Volksgruppe pauschal als so oder so abgestempelt wird. Letzten Endes sind wir alle einzelne Individuen und sollten auch so betrachtet werden.
Was ich aber aus meiner Erfahrung bestätigen kann, ist, dass politisch Religiöse hier kontextbedingt mehr Diskriminierungserfahrungen machen können als in Deutschland. Während in Deutschland eine offizielle Toleranzpolitik betrieben wird, gibt es in der Türkei eine Tendenz zur Ausgrenzung bestimmter Minderheiten, einschließlich politisch-religiöser Extremisten oder auch nur streng Religiöser, die evtl.. religiöse Gewänder tragen. Diese werden oft mit der arabischen Kultur in Verbindung gebracht, und Türken bzw. Menschen in der Türkei grundsätzlich, neigen dazu, sich von Arabern abzugrenzen, da sie im Ausland oft als ein und dasselbe wahrgenommen werden, was sie nicht wollen.
Die Türkei ist einfach ein anderes Land mit einer anderen Ordnung. Ich verstehe deine Tendenz, die Dinge in Gläubige und Ungläubige einteilen zu wollen. Aber die Realität ist, dass die Gesellschaft in der Türkei eine andere ist als in Deutschland und auch die Konstellationen anders verteilt sind, als wir in Deutschland von außen auf die Türken schauen.
Btw. definieren sich viele Kurden gleichzeitig auch als Türken, beides schließt sich nicht aus.