Da hast Du eine schwere Frage gestellt. Es gibt ganz verschiedene Phasen von Judenhass, die inhaltlich anders begründet wurden, sich aber dennoch teilweise überlappen. Grob würde ich einen religiös motivierten von einem römisch-imperialen sowie von einem atheistisch-(pseudo) wissenschaftlichen Judenhass unterscheiden.
a) Der erste, der rein religiöse Judenhass wird aus der Gottesmordthese der Christen abgeleitet.
b) Der zweite wird aus dem Widerstand radikaler jüdischer Gruppierungen abgeleitet, die sich gegen die römischen Besatzer erhoben.
c) Der dritte folgt aus einer behaupteten, aber völlig abwegigen "rassischen" Minderwertigkeit jüdischer Menschen.
Atheisten verweisen darauf, dass a) die direkte Ursache für c) sei oder zumindest den Boden für c) bereitet habe. Christen dagegen sehen das anders: wenn zur Zeit Jesu die Weltbevölkerung in Juden und Nicht-Juden zerfiel und wenn Jesus Christus der in den heiligen Schriften des Judentums vorhergesagte Messias ist, der in Fleisch und Blut auf die Welt gekommen ist, dann ist es schon ein Problem, warum die Juden ihn nicht annahmen. Weniger für die Nicht-Juden, denn sie hatten den Talmud nicht und waren gewissermaßen durch Unwissenheit entschuldigt. Aus diesem Grund bittet die Kirche in der sog. Karfreitagsfürbitte ausdrücklich für die Juden. Sie bittet übrigens im selben Atemzug auch für Atheisten und Andersgläubige.
Es ist, glaube ich, wichtig zu erkennen, daß hier eine systematische Problematik behandelt werden soll, nämlich die vom Handeln oder Glauben wider besseren Wissens. Denn das Bild, wonach die Kirche gewissermaßen kraft ihrer Jurisdiktion ein Urteil über die Juden gefällt hätte, welches dann zu Antisemitismus und Judenhass im 20.Jh. geführt habe, ist m.E. zu einfach.