Bei Moral und Miteinander sehe ich nicht wirklich einen Unterschied; allenfalls dass die Individualisierung (die Ansprüche des Einzelne an die Gesellschaft, die Erwartungshaltung und auch eine Überbewertung der eigenen Leistungen und Fähigkeiten) etwas zugenommen hat, wobei die tatsächliche Leistungsbereitschaft eher gesunken ist.
Ansonsten finde ich die Menschen eigentlich sogar eher bereit sich zu engagieren und ihren altruistischen Trieben freien Lauf zu lassen - nur die Art & Weise hat sich etwas geändert; d.h. das Engagement ist wesentlich weniger formalisiert (Vereinsarbeit, öffentliche Arbeit, Unterstützung wohltätiger Orgas) vermutlich auch weil wesentlich mehr Menschen sehr viel flexiblerer Arbeitsbedingungen haben und weil sich die Zahl der möglichen Einsatztätigkeiten & Themen stark vermehrt hat.
Die größeren Unterschiede sehe ich tatsächlich in den grundsätzlichen Einstellungen: Es gibt eine wesentlich stärkere Grundströmung zum irrationalen, esoterischen und teilweise auch religiösen Argument. Die generelle gesellschaftliche Basis ist nach wie vor das humanistische, rationale und von der Naturwissenschaft getragene Weltbild, aber die Irrationalität (Glauben, FakeNews, alternative Wahrheiten) hat zugenommen.
Dazu kommt, dass im Zuge des Aussterbens meiner Großeltern- und Elterngeneration auch eine gewisse (positive) Härte und ein pragmatischer Realitätsbezug verloren ging. Z.B. das Wissen, dass wir immer nur ein paar Mahlzeiten von Gewalt und Barbarei entfernt sind oder dass zum Erreichen bestimmter Ziele & Wünsche auch harte Arbeit, Verzicht und Leistungsbereitschaft gehört.
Das Gejammere bestimmter Berufsgruppen über ihre harte Arbeit, die geringe Bezahlung und das allgemeine Elend gab es schon immer (heute sind es eben Pflegekräfte) und es ist heuet genauso viel oder wenig gerechtfertigt wie damals.
Ich sehe auch beim besten Willen keine geteilte Gesellschaft oder zumindest keine die mehr geteilt ist als vor 25 oder 50 Jahren. Die einzig deutlich sichtbare Lücke klafft zwischen denen, die sich in einem freien Bildungssystem mit mehr Möglichkeiten als jemals zuvor eine gewissen Erfolg erarbeiten und dem sehr viel kleineren Teil, der über sein Elend jammert und zu dumm oder zu unfähig ist seine Chancen zu nutzen (das die dann von einem aufgeblähten Apparat an Sozialtransfervereinen, die gut davon leben das System schlecht zu reden, und den ganzen Internet(social media Blasen noch darin bestärkt werden hilft auch nicht)