Unmittelbar nach dem Fall der Mauer kratzte meine Familie ihr weniges Westgeld zusammen, um damit eine eintägige Busreise nach Paris zu unternehmen.
Wir waren dort natürlich ganz arme Schlucker, liefen bei eisigen Temperaturen den ganzen Tag alle Sehenswürdigkeiten ab, hatten unseren eigenen Proviant dabei und konnten uns gerade Mal jeder einen Espresso in einem Straßencafé leisten, um uns mal kurz aufzuwärmen.
Aber es war trotzdem etwas ganz besonderes für uns und ein Traum erfüllte sich.
Natürlich waren wir auch auf den Champs Elysee. Die waren wunderschön weihnachtlich beleuchtet und besonders meine Mutter bewunderte die prachtvoll dekorierten Schaufenster der Luxus -Geschäfte und Parfümerien.
Mein Vater dagegen sah auf einmal ganz blass und erschöpft aus. Und dann deutete er auf die ausschließlich dunkelhäutigen bzw. arabisch aussehenden Fensterputzer, und Straßenkehrer , die da zwischen den in Pelzen und schmuckbehangen herumstolzierenden feinen Damen mit ihren zahlreichen Einkaufstüten zu sehen waren. Dieser Anblick deprimierte und schockierte ihn.
Es war nur eine kleine Momentaufnahme. Aber dieses Bild hat sich mir eingeprägt. Sicher auch, weil das damals alles noch so neu und fremd für uns war und die Wahrnehmung dadurch geschärft war?
Ich war danach noch öfter und länger in Frankreich und habe dort zum ersten Mal richtige Ghettos gesehen. Stadtteile, die man als Touristin lieber meidet, insbesondere als Frau.
Man hält sich eben lieber da auf, wo einem noch die Illusion des alten Frankreich, wie man es aus Filmen kennt, vorgegaukelt wird. Aber das hat etwas von einer Theaterkulisse. Das andere Frankreich und das reale Leben der Menschen dort, lernt man so nicht kennen.
Für mich sind diese Entwicklungen schon lange absehbar gewesen. Dass sich da etwas zusammenbraut. Der aktuelle Vorfall ist da meines Erachtens nur ein (weiterer) Anlass, der das Fass (wiedermal) zum Überlaufen brachte.
Da ist politisch schon jahrzehntelang extrem viel schief gelaufen, wurde ignoriert und heruntergespielt. Irgendwann lässt es sich dann nicht mehr ausblenden und man kann sich davor auch nicht mehr in seiner abgeschotteten Luxuswelt verstecken. Die Kulisse droht einzustürzen.
Ich befürworte Gewalt absolut nicht und für mich hat vieles, was da passiert, absolut nichts mehr mit legitimem Protest zu tun. Das ist wie Krieg und erzeugt viele unschuldige Opfer.
Aber genau das passiert eben irgendwann, wenn man jahrzehntelang gefährliche gesellschaftliche Entwicklungen verschläft, keinen ehrlichen Diskurs führt und kurzsichtig politische Entscheidungen trifft, die diese Negativspirale sogar noch beschleunigen.
Uns sollte das eine Lehre sein. Denn wir bewegen uns in eine ganz ähnliche Richtung.
Leider kann man aber vergessen, dass das hierzulande zu irgendeinem Umdenken oder gar konstruktiven Konzepten oder Handlungen führen wird.
Frei nach Einstein:
Verrückt ist, wer immer das selbe tut, aber andere Ergebnisse erwartet.