Wie ist im Koran ein Abrogieren älterer Verse möglich, wenn man die chronologische Versreihenfolge des Koran nicht kennt?

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Na ja, viele Exegeten haben sich ja damit beschäftig, schau hier. Wichtig wurde dies insbesondere wegen den Jihad-Versen. Sure 9,29 abrogiert nämlich Verse, die einen eher defensiven Charakter haben:

Bereits in den frühen Werken zum islamischen Recht wurde eine grundsätzliche Zweiteilung der Welt entwickelt, die bis ins 20. Jahrhundert hinein mit Modifikationen Grundlage der Erörterungen war. Dem islamischen Herrschaftsgebiet (dar al-Islam, „Haus des Islam“), auf dem die Normen der Scharia durchgesetzt werden, stand der grundsätzlich als feindlich und rechtlos angesehene Rest der Welt als „Haus des Krieges“ (dar al-harb) gegenüber. Dauerhafte Friedensschlüsse ließ die klassische Doktrin nicht zu, sondern nur zeitlich begrenzte Waffenstillstände im Falle der eigenen Unterlegenheit. Im Übrigen blieb der – von den Schriftgelehrten zweifellos vor allem militärisch verstandene – Einsatz zur Ausbreitung der der Religion (Dschihad) im Sinne der Erweiterung muslimischen Herrschaftsterritoriums religiöse Pflicht einer hierfür hinreichenden Zahl von Gläubigen (fard kifaya). Einschränkungen des Dschihad auf diejenigen von Nicht-Muslimen beherrschten Gebiete, die sich im Konflikt mit der islamischen Herrschaft befanden, konnten sich nicht durchsetzen. Die klassische Lehre bezog sich hierbei nicht auf diejenigen Koranverse, die eine nur defensive Ausrichtung gegen Angriffe erkennen lassen, sondern betrachtete diese durch die „Schwertverse“ in Sure 9,29 ff. als abrogiert (vgl. zur Abrogation oben II.I). Wohl nicht zufällig wurde diese Lehre in der Zeit militärischer Expansion unter den Umaiyaden und den frühen Abbasiden entwickelt.
Die Verse, die zu einem Kampf gegen die "Ungläubigen" bzw. "Bilderverehrer" aufrufen, werden heute allgemein als (nur) auf die heidnischen Mekkaner zu Lebzeiten Muhammads bezogen angesehen. Das vorhandene Schriftmaterial bedarf der Interpretation, wobei die Haltung der Interpreten von entscheidender Bedeutung ist, die maßgeblich von den unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geprägt wurde und wird.

Quelle: Das islamische Recht: Geschichte und Gegenwart von Prof. Dr. Mathias Rohe, 3. Auflage 2011, Seite 149

So wurde der Weg frei für die Islamische Expansion:

„Jihad“ bedeutet wörtlich „Bemühung“ oder „Anstrengung“. Die islamische Tradition kennt den „kleinen Jihad“ und den „großen Jihad“. 
- Der „große Jihad“ ist friedlich. Er bezeichnet das individuelle Bemühen um das richtige religiöse Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen.
- Der „kleine Jihad“ ist kriegerisch. Er wird auch als „militanter Jihad“ bezeichnet. Er beschreibt den gewalttätigen Kampf zur Verteidigung bzw. Ausweitung des Herrschaftsgebiets des Islam.

Quelle: Islamismus: Entstehung und Erscheinungsformen, Bundesamt für Verfassungsschutz, S. 17

na, erst dadurch entsteht die Flexibilität, die man in der Praxis braucht, wenn man in unterschiedlichen Situationen sich auf den Koran berufen will ...